Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann Der große Schlussverkauf startet

Die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann steuert auf die Zerschlagung zu. Was passiert mit den Läden und den Mitarbeitern? Die wichtigsten Antworten, wie es bei dem Traditionshändler jetzt weiter geht.

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Die Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann. Quelle: imago images

Im Gerangel um die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann überschlagen sich die Ereignisse: Nach zwei Jahren Gefeilsche und trotz nächtlicher Krisentreffen und Appellen der Politik ist die Zerschlagung des Traditionshändlers kaum noch zu stoppen. Wie geht es nun weiter und was bedeutet das Ende von Kaiser’s Tengelmann für Beschäftigte und Kunden? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Tengelmann-Desaster.

Wie lange wird es Kaiser’s Tengelmann noch geben?

Die Zerschlagung von Kaiser's Tengelmann hat bereits begonnen. Tengelmann habe am Montag die ersten Listen mit rund 100 zum Verkauf stehenden Filialen in Nordrhein-Westfalen verschickt, sagte eine Unternehmenssprecherin. Der Verkauf der Geschäfte in Bayern und Berlin soll dagegen wahrscheinlich erst in einigen Monaten beginnen. Der Chef des Familienkonzerns Tengelmann, Karl-Erivan Haub, gibt damit den Startschuss für die Zerschlagung, an deren Ende auch die Marke Kaiser’s  Tengelmann verschwinden wird.

Die Hängepartie bei Kaiser's Tengelmann

Wie viele Arbeitsplätze fallen weg?

Das hängt vom Verlauf des Verkaufsprozesses ab. Im Worst-Case-Szenario könnten rund 8000 der insgesamt 15.000 Beschäftigten ihre Jobs verlieren. Auch wenn am Ende weniger Stellen gestrichen werden, könnten auf die Mitarbeiter Einschnitte zukommen. So könnten altgediente Mitarbeiter vor der Wahl stehen, ob sie bereit sind, künftig schlechtere Konditionen zu akzeptieren, um ihren Job zu behalten. Schutzregeln wie sie die Ministererlaubnis durch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorsah – etwa den Verzicht auf einen Stellenabbau innerhalb von fünf Jahren nach der Übernahme – sind vom Tisch.

In welchen Bereichen drohen die meisten Stellenstreichungen?

Im Interview mit dem „Handelsblatt“ sagte Haub dazu: „In den rückwärtigen Bereichen Produktion, Logistik und Verwaltung arbeiten über 2000 Mitarbeiter. Hier habe ich die geringste Hoffnung gehabt, sollte es in die Einzelverwaltung gehen.“ So gelten vor allem die Fleischwerke des Unternehmens und die Zentralbereiche als Schließungskandidaten.

Was wird aus den Filialen?

Für die Supermärkte ist das Bild deutlich heterogener. Während Interessenten für die Filialen in Berlin und München Schlange stehen dürften, sieht die Lage in Nordrhein-Westfalen weniger rosig aus. Der Grund: in den wachstumsstarken Metropolen sehen Handelsketten noch Platz für neue Läden. So gibt es gerade in München kaum noch neue Flächen, die dem Einzelhandel zugewiesen werden. Das treibt die Preise. Auch in Berlin hat Kaiser's Tengelmann eine gute Marktposition, die Filialen sind im Schnitt deutlich größer und moderner als die Märkte in der Region Nordrhein. Im Kerngebiet von Kaiser's Tengelmann sind dagegen auch die zentralen Wettbewerber bereits gut vertreten, der Expansionsbedarf ist deutlich geringer und die Filialen teils nicht mehr zeitgemäß. Hier dürfte es auch die meisten Schließungen geben. Bereits in den vergangenen Wochen zirkulierten Listen mit sogenannten Schließungsfilialen.

Welche Bieter kommen infrage?

An einzelnen Standorten sind grundsätzlich so gut wie alle Lebensmittelhändler und Drogerieketten interessiert. „Wir haben bereits viele Interessensbekundungen für Einzelfilialen erhalten“, sagte Haub. Er kündigte an, dass sein Wunschpartner Edeka bei all jenen Märkten den Vorrang erhalten soll, die kartellrechtlich unproblematisch sind. Das könnte den Hamburgern Zugriff auf insgesamt mehr als 100 Standorte verschaffen. Auch der Discounter Norma sowie Bünting, Tegut und Real haben bereits in der Vergangenheit Interesse an Teilen des Filialnetzes signalisiert. Auch Karstadt-Eigentümer Rene Benko soll einen Einstieg ausloten. Ob der Kölner Handelsriese Rewe größere Standortblöcke erhalten wird, bleibt indes abzuwarten. Die Beziehung zwischen Rewe-Chef Alain Caparros und Haub gilt spätestens seit dem Scheitern der Rettungsbemühungen in der vergangenen Woche als zerrüttet. Das dürfte sich auch auf den Einzelverkauf der Standorte auswirken.

Wie kam es zu dem Gezerre?

Wie kam es überhaupt zu dem Gezerre?

Vor zwei Jahren kündigte Haub an, dass Marktführer Edeka seine Supermärkte komplett übernehmen wird. Wenig später stoppte jedoch das Bundeskartellamt die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann. Dann machte Bundeswirtschaftsminister Gabriel den Weg mit einer Ausnahmegenehmigung wieder frei – der Ministererlaubnis. Er wurde ein paar Monate jedoch vom  vom Oberlandesgericht Düsseldorf ausgebremst zu werden, das auf Antrag von Rewe und Markant die Ministererlaubnis vorläufig außer Kraft setzte. Auch Norma klagt gegen die Sondergenehmigung. Eine juristische Klärung dieses Durcheinanders könnte Jahre dauern, weshalb Haub die Reißleine zog, nachdem Bemühungen für eine Kompromisslösung zwischen Edeka, Rewe, Tengelmann, Norma und Markant zuletzt scheiterten.

Wer ist schuld an dem Drama?

Über die Schuldfrage ist eine regelrechte Schlammschlacht entbrannt. In Interviews machen sich Rewe-Chef Caparros und Tengelmann-Inhaber  Haub gegenseitig verantwortlich für das Scheitern der Rettungsgespräche. Klar ist: ohne die Klagen von Rewe, Norma und Markant gegen die Ministererlaubnis von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hätte Edeka die Supermarktkette komplett übernehmen können.

Klar ist aber auch, dass man Wettbewerbern in einem so umkämpften Markt wie dem deutschen Lebensmittelhandel kaum vorwerfen kann, ihre eigenen Interessen zu wahren und ihre rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Verantwortung für die Lage tragen ohnehin nicht nur die Kläger: Tengelmann-Chef Haub und seine Manager haben es über Jahre versäumt, die Läden zu sanieren. Stück für Stück wurde das Filialnetz geschrumpft  – damit verlor das Unternehmen an der notwendigen Größe. Zu den strategischen Fehlern Haubs gehört auch seine frühe Festlegung auf Edeka als Käufer. Damit waren massive wettbewerbsrechtliche Probleme absehbar. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist für die Misere mitverantwortlich. Erst durch seine Ministererlaubnis konnte das Verfahren so lange weiterlaufen. Ohne die Sondergenehmigung, wäre der Übernahmeprozess schon längst gestoppt worden und die Kaiser’s-Tengelmann-Standorte hätten zu einem Zeitpunkt verkauft werden können, zu dem sie noch nicht völlig abgewirtschaftet waren.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

Besteht noch Hoffnung auf eine Einigung der Kontrahenten in letzter Minute?

Theoretisch gibt es eine Chance, dass sich die Parteien noch zusammenraufen.

Solange keine Kaiser's-Tengelmann-Filiale verkauft wird, besteht die Ministererlaubnis weiter. Die Beteiligten könnten in Verhandlungen noch einen Kompromiss erzielen – und die Kläger ihre Klagen zurückziehen. Vor diesem Hintergrund drängt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf eine Lösung. Die beteiligten Unternehmen sollten nichts unversucht lassen, doch noch eine einvernehmliche Einigung herbeizuführen im Interesse der betroffenen Menschen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Darin seien sich die Kanzlerin und Wirtschaftsminister Gabriel „vollkommen einig“.

Allerdings ist die Atmosphäre – auch nach diversen Interviews – derart vergiftet, dass eine Lösung weit entfernt ist. Gabriel hat daher bereits einen Mediator ins Spiel gebracht, worauf Rewe-Chef Caparros direkt den Wirtschaftsminister als Schlichter nominiert hat. Ob sich Haub auf weitere Gespräche einlässt, ist allerdings unklar.

Wenn es nach Kaiser's-Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub geht, soll Edeka als Bieter bei den Filialverkäufen Vorrang haben. In der kommenden Woche werden die Standorte einzeln verkauft.

Wie reagieren die Mitarbeiter?

Die Belegschaft sei „am Boden zerstört“, sagte der Betriebsratsvorsitzende der Kette in Nordrhein-Westfalen, Rainer Schroers, bereits am vergangenen Freitag. „Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Das ist ein Horrorszenario.“ Auch der Chef des Kaiser's-Tengelmann-Betriebsrats in Bayern, Manfred Schick, reagierte enttäuscht. „Man hat nicht alles versucht in den Verhandlungen an diesem sogenannten runden Tisch, um eine für die Beschäftigten und ihre Arbeitsplätze gute Lösung zu finden“, sagte er. Verdi wollte das Ringen um die Rettung von Kaiser's Tengelmann noch nicht verloren geben. Die Gewerkschaft werde „auch jetzt noch alles daran setzen“, die Zerschlagung zu verhindern, erklärte Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger.

Welche Folgen hat die Zerschlagung von Tengelmann für die Kunden?

Die Kunden werden zunächst keine Änderungen spüren. Erst wenn der Verkauf des Filialnetzes abgeschlossen ist und wird klar sein, welche Läden geschlossen werden. In all jenen Märkten die verkauft werden, müssen sich die Kunden an neue Anbieter gewöhnen. Der Name Kaiser’s Tengelmann wird in jedem Fall vom Markt verschwinden. Zugleich dürften die Preise in den Märkten deutlich sinken. Laut einer exklusiven Untersuchung des Berliner Preisspezialisten GKL Marketing-Marktforschung für die WirtschaftsWoche gehört Kaiser’s Tengelmann zu den teuersten Anbietern im deutschen Lebensmittelhandel. Laut GKL-Analyse kosten Markenartikel in Kaiser’s-Läden derzeit rund fünf Prozent mehr als bei Edeka und rund 4,6 Prozent mehr als bei Rewe. Verglichen mit den Discountern Aldi und Lidl, verkauft Kaiser’s Tengelmann identische Produkte demnach sogar 18 bis 21 Prozent teurer – im Durchschnitt. Wer auch immer die Filialen übernimmt, die Preise werden sinken.

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