Hansestadt Stralsund Wie ostdeutsche Mittelständler der Krise trotzen

Ohne den Mittelstand läuft in den neuen Bundesländern nichts. Auch unter schwierigen Bedingungen stemmen sich Unternehmer erfolgreich gegen die Krise – ein Besuch in Stralsund.

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Drei Generationen, ein Ziel: Familie Masson-Wawer ist mit Möbeln und Deko-Kugeln erfolgreich Quelle: Timmo Schreiber für WirtschaftsWoche

Angela Merkel hat zum20-jährigen Firmenjubiläum gratuliert. Stolz liest Susanne Masson-Wawer die Glückwünsche der Regierungschefin vor. Die 53-Jährige hat den Möbelhersteller Masson gemeinsam mit ihrem Mann Manfred aufgebaut – in Merkels Wahlkreis Stralsund-Nordvorpommern-Rügen. Als Merkel nach der Wende vor 20 Jahren ihre politische Karriere startete, begann auch für die Massons ihr unternehmerischer Aufstieg. 1990 zogen sie von Köln, wo Manfred Wawer einen kleinen Bauelementehandel betrieb, nach Stralsund. Es war eine Mischung aus Pioniergeist und der Aussicht, gutes Geld zu verdienen, die sie nach Osten trieb. Die ersten Monate, als ihr Haus noch nicht fertig war, übernachteten sie im Wohnwagen.

Aus dem früheren Kleinbetrieb ist heute ein florierender Mittelständler mit 60 Beschäftigten geworden; auch Sohn und Schwiegertochter arbeiten mittlerweile in leitenden Positionen im Unternehmen mit. Jahr für Jahr haben die Eheleute neue Mitarbeiter eingestellt. Susanne Masson-Wawer kümmert sich insbesondere um Produktion und Vertrieb der Fiberglas-möbel, die Masson als einziges Unter-nehmen in Deutschland herstellt: Wie Rattanmöbel sehen die Masson-Produkte aus, sind aber robuster und bruchsicherer. Der Jahresumsatz der Firmengruppe liegt bei fünf Millionen Euro. Die Exporte gehen unter anderem nach Russland, Tschechien und Dubai.

Mittelständler bringen Ostdeutschlands Wirtschaft nach vorne

Es sind Mittelständler wie Masson, die Ostdeutschlands Wirtschaft nach und nach voranbringen. „Am erfolgreichsten sind jene, die mit Spezialwissen klein angefangen haben. Die sind jetzt herangewachsen zu mittelständischen Unternehmen mit 100, 200, oft noch 250 Mitarbeitern“, lobt Lothar Späth, früherer -baden-württembergischer Minister-prä-sident und in den Nach-Wendezeiten Geschäftsführer des Ostunternehmens Jenoptik.

Noch immer liegt beim Vergleich der Wirtschaftsdaten der Osten Deutschlands gegenüber dem Westen im Hintertreffen. So hat die Produktivität der Betriebe zwischen Zwickau und Rügen nach 20 Jahren Einheit erst 76,6 Prozent des Westniveaus erreicht. Die Arbeitslosenquote im Osten (11 Prozent) liegt deutlich höher als im Westen (6,2 Prozent). Zu den strukturellen Nachteilen zählt auch, dass in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklen- burg-Vorpommern und Brandenburg kaum Großunternehmen ansässig sind.

Dafür finden sich dort jede Menge erfolgreicher Mittelständler, die pfiffige Produkte produzieren und lukrative Nischenmärkte gefunden haben. So wie Ilka-Zell aus Zwickau, die Kühlräume in alle Welt exportieren: „Unsere Kühlzellen werden für alles benötigt, was frisch bleiben muss: Blumen, Nahrungsmittel, Leichen“, sagt Geschäftsführer Gert Kehle. Zu den Ilka-Kunden zählen auch Autokonzerne, die in den Kühlkammern bei minus 30 Grad Antriebe und Bremsen für ihre neuen Modelle testen.

Ein weiteres Beispiel liefert der Sportschuhhersteller Rass aus dem Erzgebirge, der die Weltelite der Skispringer mit Schuhwerk ausstattet. Der Dresdner Arzneimittel-Lieferant Apogepha hat sich auf Urologie-Präparate von Blasenschwäche bis Prostatavergrößerungen spezialisiert und steigert seit Jahren kontinuierlich seine Umsätze – auf zuletzt 39 Millionen Euro. Oder Eurocoin Saxonia, einer der größten Münzhersteller der Welt, der im sächsischen Dorf Halsbrücke produziert.

Volle Kraft voraus: Ostseestaal-Geschäftsführer Kühmstedt setzt auf neue Märkte Quelle: Timmo Schreiber für WirtschaftsWoche

In Merkels Wahlkreis sind die Herausforderungen für die Wirtschaft besonders groß. Die Stadt Stralsund, von Wasser -umspült, ist mit ihren alten Backsteinbauten und gotischen Kirchen durchaus hübsch anzuschauen. Die Insel Rügen liegt direkt gegenüber; eine neue Brücke zwischen Festland und Halbinsel ist seit 2007 in Betrieb.

Jährlich kommen etwa drei Millionen Touristen. Im Stralsunder Hafen liegt das 1933 gebaute frühere Segelschulschiff Gorch Fock vor Anker. Für den Einsatz auf See ist es allerdings längst ausgemustert – die Bundesmarine verwendet heute ein baugleiches Schwesterschiff aus dem Jahre 1958 zur Ausbildung. Neben der alten Gorch Fock erstreckt sich ein futuristischer weißer Bau. Das Ozeaneum ist der neue Besuchermagnet der Stadt: Hinter Panoramascheiben lassen sich dort Fische aus allen Weltmeeren beobachten.

Doch die Einnahmen aus dem Tourismus reichen nicht. Die Arbeitslosenquote liegt mit 15 Prozent überdurchschnittlich hoch. Es gibt wenig Industrie, dafür viel plattes Land. Lediglich einige Callcenter haben sich in jüngster Zeit angesiedelt. Früher zählte der Schiffbau zu den wirtschaftlichen Stützen der Region. Doch seitdem durch die Wirtschaftskrise deutlich weniger Schiffe gebaut werden, ist es damit auch vorbei. Stralsund zählt zu den Randlagen Deutschlands, liegt weit ab vom Schuss.

Umbruch erfordert bei Ostseestaal tiefe Einschnitte

An der Ostseeküste ist das Ehepaar Masson damals eher zufällig gelandet – ein Freund der Familie stammte aus der Hansestadt. Doch hier finden sich noch mehr Unternehmer wie die Massons, die sich von den schwierigen Bedingungen der Region nicht abschrecken lassen, sondern stattdessen die Ärmel hochkrempeln und investieren.  Auf völlig neue Märkte wagt sich zum Beispiel Thomas Kühmstedt, Geschäftsführer des Stahlspezialisten Ostseestaal. Aus dem Fenster des Besprechungsraums blickt der 44-Jährige auf die Ladekräne am Stralsunder Ostseekai. Ostseestaal – das Unternehmen gehört zur mittelständischen CIG-Gruppe in Holland – ist darauf spezialisiert, dreidimensional verformte Bleche aus Stahl, Chrom-Nickel oder Aluminium herzustellen. „Krumme Platten“, wie Geschäftsführer Kühmstedt sagt.

Jahrelang hat das Unternehmen mit seinen Spezialteilen vor allem die Schiffbauindustrie beliefert, auch die nebenan beheimatete Volkswerft Stralsund. Doch seitdem mit der Krise die Nachfrage nach Containerschiffen weltweit eingebrochen ist, gibt es dort nicht mehr viel zu holen. Entschlossen investiert Ostseestaal nun in neue Märkte. Statt auf den klassischen Schiffbau setzt Kühmstedt nun auf Architektur, alternative Energien und den Bau von Mega-Yachten.

Der Umbruch erfordert erst einmal tiefe Einschnitte: Der Umsatz wird in diesem Jahr von 15 auf etwa 12 Millionen Euro schrumpfen. Von etwa 200 Beschäftigten mussten 50 gehen. Kühmstedt hofft, bald wieder an alte, bessere Zeiten anknüpfen zu können. So setzt er große Hoffnungen in Windkraftanlagen: Der Stahl aus Stralsund steckt in etlichen Rotorblättern. Und für etwa 60 Prozent aller Mega-Yachten stellt sein Unternehmen Bauteile her. Stolz erzählt der Geschäftsführer, dass sein Unternehmen die Außenhaut für die Yacht Eclipse des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch geliefert hat. Das Schiff wurde von der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaut und soll 340 Millionen Euro gekostet haben.

Kühmstedt zeigt farbige Modellzeichnungen und Fotos von weiteren Projekten, für die Ostseestaal den Spezialstahl geliefert hat: futuristische Gebäude wie das Ozeaneum, das Qatar National Convention Center oder das Yas Hotel in Abu Dhabi. „Da stehen dann die Scheichs und verfolgen das Formel-1-Rennen“, sagt Kühmstedt und zeigt auf das Foto des Yas Hotels. Von der Brücke zwischen den beiden Hotelkomplexen aus haben die Herrscher beste Sicht auf die Rennstrecke.

Prost! Marketingmanager Triebe feiert einen neuen Absatzrekord der Stralsunder Brauerei Quelle: Timmo Schreiber für WirtschaftsWoche

Dass es sich lohnt, auf Neues zu setzen, davon kann auch Karsten Triebe berichten. Der 26-Jährige ist Marketing-Geschäftsführer bei der Stralsunder Brauerei. Vor drei Jahren haben die Brauer aus der Hansestadt ein Biobier unter der Marke Störtebeker aufgelegt. Die Rohstoffe stammen dabei häufig aus der Region, die Qualität soll höchsten Ansprüchen genügen, der Preis fällt allerdings ebenfalls überdurchschnittlich aus: Im Versand kosten zwölf Halbliterflaschen 17 Euro. Konsequent vermarktet die Stralsunder Brauerei Störtebeker als regionales Bier. Der Seeräuber aus dem 14. Jahrhundert soll auch an der Ostsee sein Unwesen getrieben haben.

Der Mix aus regionaler Verwurzelung und Premium-Qualität kommt in der Bevölkerung offensichtlich an, schnell hat die Marke Störtebeker insbesondere die Getränkeregale bei den Händlern geentert. Triebe setzt vor allem auf Vollsortimenter wie Rewe oder Edeka, weniger auf Discounter. Seit 2007 ist der Störtebeker-Absatz jedes Jahr prozentual zweistellig gewachsen. Um der Nachfrage – insbesondere nach der beliebtesten Sorte Bernstein Weizen – Herr zu werden, investierte das Unternehmen vor wenigen Monaten in zwei neue Gärtanks.

Der Gesamtausstoß der Brauerei, die etwa 200 Mitarbeiter beschäftigt, ist von 65 000 Hektolitern im Jahr 2008 auf 70 000 Hektoliter (2009) gewachsen. In diesem Jahr soll die Hunderttausender-Marke erreicht werden. „Im rückläufigen Biermarkt ist das ein schöner Erfolg“, sagt Marketing-Geschäftsführer Triebe. Das Wachstum ist vor allem Störtebeker zu verdanken. Dem Trend zu Billigbieren trotzen die Ostdeutschen mit ihren Premium-Produkt erfolgreich.

Stralsunder Brauerei auf Erfolgskurs

Laut Branchenschätzungen dürfte die Brauerei, die zudem noch die Marken Stralsunder und SPQ (Bitter Lemon, Tonic, Ginger Ale) verkauft, etwa zehn Millionen Euro umsetzen. Zahlreiche Preise hat die mittelständische Gruppe inzwischen mit Störtebeker gewonnen, im Januar verlieh die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft dreimal Gold an die Stralsunder wegen der hohen Qualität. Den Bundesehrenpreis für Bier gab Geschäftsführer Markus Berberich allerdings im vergangenen Jahr an Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner zurück – aus Protest gegen die Genehmigung von Freilandversuchen mit genmanipulierter Braugerste in Mecklenburg-Vorpommern.

Möbel-Chefin Susanne Masson-Wawer verkauft zwar keine Bioprodukte, argumentiert aber ebenso mit der Umwelt: Ihre Fiberglasmöbel würden über Generationen halten und seien komplett recycelbar, versichert sie. Alle Teile sind handgefertigt. In der Produktionshalle umwickelt ein Arbeiter einen Stuhlrohling mit Textilglasfasern. Die Fasern hat er zuvor in Harz getränkt. Ein entsprechend schwerer Geruch durchzieht die Halle.

Neben Fiberglasmöbeln stellt Masson-Wawer auch noch Bauteile für Winter-gärten und Terrassendächer her. „Terassendächer liegen im Trend. Derzeit kaufen die Kunden eben lieber ein Terassendach als einen Wintergarten“, sagt Gründer Manfred Wawer. Die Anforderungen an den Wärmeschutz, die Kosten für Baugenehmigungs- und Prüfverfahren -sowie für Heizung und gedämmte Bodenplatten führen zu deutlich höheren Preisen für Wintergärten. „Das Geschäft mit den Wintergärten entwickelt sich aus -diesen Gründen eher rückläufig“, sagt Wawer.

Einen Wunsch hat seine Ehefrau noch: Dass die Kanzlerin mal persönlich im Unternehmen vorbeischauen möge. Die beiden Frauen sind sich Anfang des Jahres begegnet, beim Neujahrsempfang in Merkels Wahlkreis. Masson-Wawer hatte die Dekokugeln – natürlich aus Fiberglas – für das Buffett gestiftet. Nun würde die Firmenchefin ihrer Abgeordneten gerne mal vor Ort zeigen, wie aus dem Fiberglas Stühle entstehen.

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