Hartmut Mehdorn Ein sturer Kopf für Air Berlin

Der Ex-Chef der Deutschen Bahn soll neuer Vorstandschef bei Air Berlin werden. Er kehrt damit zurück zu seinen Wurzeln. Seinen ramponierten Ruf wird er nicht sanieren können.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Hartmut Mehdorn Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Hartmut Mehdorn favorisierte schon immer den Flugverkehr. Lange Zugfahrten seien ihm ein Graus, bekannte der Ex-Bahnchef 2002 in einem Interview. Über vier Stunden in einem Waggon zu sitzen, sei für ihn „eine Tortur“. Für die Strecke Berlin-München nehme er daher lieber das Flugzeug.

Für seine Gegner waren solche Äußerungen gefundenes Fressen. Doch Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn von Dezember 1999 bis April 2009, scherte sich nicht um die Kritik von außen. Nicht nur, dass er bis heute als stur und dickhäutig gilt – Mehdorn faszinierten von Beginn an Turbinen und Propeller mehr als Gleise und Loks. Als designierter Interimschef von Air Berlin kehrt Mehdorn zurück zu seinen Wurzeln.

Diplomarbeit über Turbinentechnik

Der Sohn eines Maschinenfabrikanten studierte Anfang der 1960er-Jahre Leichtbau an der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Seine Diplomarbeit schrieb er über Turbinentechnik. In Bremen nahm er eine Planungsstelle bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken (ehemals Focke-Wulf) an, stieg rasch auf und wirkte an der Entwicklung erster Airbus-Prototypen mit. Über die Deutsche Airbus GmbH, der DASA und der Heidelberger Druckmaschinen AG wechselte er auf Wunsch des Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröders an die Spitze der Bahn.

Mehdorn übernahm einen der schwersten Jobs, den die deutsche Wirtschaft zu vergeben hat. Kaum ein anderes Unternehmen steht so im Fokus der Öffentlichkeit und der Politik wie die Deutsche Bahn. Doch Mehdorn kämpft sich durch. Reden ihm Politiker rein, schlägt er mit der  Faust auf den Tisch. Verlangen Mandatsträger, er möge Gutes für die Region  tun, weist er sie in die Schranken. Wer etwas von der Bahn wolle, müsse dafür bezahlen, so sein Credo.

Intern merzt der heute 69-Jährige unnötiges  Eigen- und Doppelleben in den Abteilungen aus, bündelt Einkauf,  Beschaffung und Juristerei und bringt alle Geschäftszweige auf  einheitlichen Kurs. Dass Mehdorn dabei „ein bisschen unverblümt“ zu Werke geht und „nicht  gerade der geborene Diplomat“ ist, findet nicht nur sein damalige Kollege von der  französischen Staatsbahn SNCF und heutiger EADS-Chef, Louis Gallois. Mehdorn selbst beschreibt sich gern so: „Ich bin kein elitärer Arsch.“ 

Hartmut Mehdorn Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Seine französische Frau Hélène, mit der er seit 1973 verheiratet ist, hat sich für die Arbeit als Hausfrau entschieden und die drei Kinder groß gezogen. Sie packt ihm den Koffer, kleidet ihn ein, setzt  ihren 1,74 Meter großen Cherie auf Diät, wenn er auf die 90-Kilo-Marke  zuzugehen droht. Mehdorn gehört keiner Konfession an, liest  Johannes Mario Simmel, nicht Günther Grass. Entspannung findet er beim Golfen, Segeln oder Spazieren. Geht er ins Theater, dann schon mal mit Big Mac und open air in Südfrankreich. 

Viele seiner unmittelbaren Mitarbeiter bei der Bahn hatten mit seiner ruppigen Art zu kämpfen. Doch ungeachtet aller Kritik baute der in Warschau geborene Mehdorn das klassische Eisenbahnunternehmen in einen internationalen Logistikkonzern um und trieb es bis zur Börsenreife. Unpopuläre Schritte waren alternativlos. 1999 standen 241.000 Eisenbahner auf der Gehaltsliste, 2004 bereits 35.000 weniger. Mehdorn erreichte, dass die Arbeitnehmer auf einen Tag Urlaub verzichteten und flexiblen Wochenarbeitszeiten zustimmten. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, machte er zu Geld, von Immobilien bis zur Speisewagengesellschaft Mitropa.

Auf Einkaufstour

Gleichzeitig ging Mehdorn auf Einkaufstour. 2002 kaufte er für rund 2,5 Milliarden Euro den Logistikkonzern Stinnes mit der Spedition Schenker, 2005 folgte der US-Logistiker Bax Global für 1,1 Milliarden Dollar. Mehrdorn machte die Bahn 2009 zur Nummer eins im europäischen Landverkehr per Lkw und zählt weltweit zu den drei größten See- und Luftfrachtspeditionen sowie den bedeutenden Anbietern von Logistiklösungen. Das Speditionsgeschäft steuert heute fast die Hälfte zum Umsatz und ein Sechstel zum Gewinn bei.

So kühn Mehdorn zum weltweiten Logistiker aufstieg, so wenig reüssierte er bei den Millionen von Menschen, die sich täglich in überfüllten und verspäteten Zügen auf den Weg zur Arbeit machen. Unter Mehdorn avancierte die Bahn zum Hassunternehmen, er selbst laut einer Umfrage sogar zum unsympathischsten Deutschen. Polemische, teilweise niveaulose Anti-Bahn-Bücher wie „Senk ju vor träwelling“ wurden zu Bestsellern.

Joachim Hunold, Chief Quelle: dpa

Im Oktober 2008 sah sich Mehdorn am Ziel. Bei einer Präsentation der Deutschen Bahn pries er acht Stunden lang, vor Energie strotzend, zusammen mit Kollegen den Mobilitäts- und Logistikkonzern Deutsche Bahn an, damit dieser in wenigen Wochen erfolgreich an die Börse gehe. Doch all die körperliche wie mentale Vehemenz half nichts. Wenige Wochen später sagte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wegen der Finanzkrise den Börsengang der Bahn ab. Mehdorn war tief getroffen.

Nur wenige Monate später wird ein Datenskandal bei der Bahn bekannt. Der Staatskonzern muss zugeben, in den Jahren 2002 und 2003 rund 173.000 Mitarbeiter überprüft zu haben. Zunächst war „nur“ von 1000 Führungskräften die Rede. Nur eine Woche später kommt die wahre Dimension ans Licht: 2005 sollen allen Beschäftigen der Deutschen Bahn - damals rund 220.000 Mitarbeiter - überprüft worden sein. Aus der Politik kommen Rücktrittsforderungen, die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt.

"Ich habe ja etwas Gutes gemacht und nichts Schlechtes"

Mehdorn schimpfte gegen die „unverantwortliche Skandalisierung. Er habe nur die Korruption bekämpfen wollen. Er beharrt: „Ich habe ja etwas Gutes gemacht und nichts Schlechtes.“

Am 30. März 2009 tritt Mehdorn zurück. Er berät im Folgenden die Bahn, insbesondere wenn es um die Zusammenarbeit mit der russischen Staatsbahn geht und arbeitet für Morgan Stanley. Er überreicht Visitenkarte mit seinem Namen, ohne Funktion, nur mit der Adresse seines Büros in Frankfurt am Main, das er mit seinem Ex-Finanzchef Diethelm Sack und Ex-Dresdner-Bank-Chef Herbert Walter teilt.

Nun steht Mehdorn wieder im Fokus. Erneut hat er eine schwere Aufgabe. Im Quartalsbericht hatte Air Berlin tiefrote Zahlen bekanntgegeben. Mehdorn soll Verbindungen streichen, die keine Kostendeckung mehr erbringen und die gleichzeitig strategisch nicht mehr bedeutend sind.

Es ist folglich kein Job, mit dem Mehdorn seien ramponierten Namen aufbessern kann. Aber immerhin kann der Ex-Bahnchef nun ungeniert in den Flieger steigen. Dass er nicht die Bahn nimmt, wird Mehdorn keiner verübeln.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%