WirtschaftsWoche: Herr Sanktjohanser, am Dienstag wollen Sie mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel über die Lage im Handel sprechen. Geht es der Branche so schlecht, dass Sie Hilfe von der Politik brauchen?
Josef Sanktjohanser: Es gibt eine Teilung im Handel. Der Gesamtmarkt stagniert, während der Online-Handel stark wächst. Die großen Handelsketten können damit gut umgehen. Einen Großteil der Erlöse, die sie im klassischen Verkauf verlieren, nehmen sie über ihr eigenes Online-Geschäft wieder ein. Heikel ist die Situation dagegen für viele mittelständische Händler, denen oft das Geld und das Know-how fehlen, um ihre Waren auf allen Kanälen zu verkaufen.
Zur Person
Sanktjohanser, 64, ist seit 2006 Präsident des Einzelhandelsverbands HDE. Von 2004 bis 2012 war er Mitglied im Rewe-Vorstand.
Welche Folgen hat das?
Wir rechnen damit, dass in den kommenden fünf Jahren bis zu 50.000 Läden vom Markt verschwinden werden. Das betrifft Tausende Arbeitsplätze vor allem in Geschäften in strukturschwachen Gebieten. Der Betrieb der Läden rechnet sich schon heute vielerorts nicht mehr, weil die Kundenfrequenz eingebrochen ist. Das liegt nicht nur am Online-Handel, sondern auch an Faktoren wie der demografischen Entwicklung und der Abwanderung der Menschen in größere Städte. Vielen Klein- und Mittelstädten droht so die Verödung.
Die wird auch Minister Gabriel nicht stoppen können.
Die Politik kann aber dazu beitragen, dass Innenstädte attraktiv bleiben. Über die Dialogplattform Einzelhandel wollen wir das Bewusstsein dafür schärfen, dass vom Staat mehr Geld in die Infrastruktur investiert werden muss – etwa um Stadtzentren und Straßen zu sanieren. Gleichzeitig drängen wir auf Reformen im Bau- und Steuerrecht, um den Händlern Investitionen zu erleichtern. Nicht zuletzt brauchen wir aber einheitliche Spielregeln im Markt. Derzeit werden die klassischen Händler gegenüber Online-Anbietern diskriminiert.
Wo sehen Sie denn Nachteile für die Geschäfte vor Ort?
Das fängt bei den Öffnungszeiten an und reicht bis zur Steuergesetzgebung. Nehmen Sie die Debatte um Amazon und Co. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass ein Konzern, der in Deutschland Milliardenumsätze erzielt, hierzulande keine Gewinn- und Gewerbesteuern zahlt. Das Thema Steuergerechtigkeit werden wir im Rahmen der Dialogplattform sicherlich ansprechen.
Informations- und Kaufverhalten der Deutschen
Frage: Wie häufig trifft dieses Verhalten auf Sie zu
Zahl der Befragten: 1012
Quelle: „Aktueller Stand der Nutzung von LBS im Jahresvergleich“ – Studie der Hochschule Niederrhein, des HDE und Kaufda
„Sehr oft“: 39 Prozent
„Öfter“: 18 Prozent
„Sehr oft“: 37 Prozent
„Öfter“: 18 Prozent
„Sehr oft“: 30 Prozent
„Öfter“: 14 Prozent
„Sehr oft“: 22 Prozent
„Öfter“: 9 Prozent
„Sehr oft“: 14 Prozent
„Öfter“: 13 Prozent
„Sehr oft“: 10 Prozent
„Öfter“: 14 Prozent
„Sehr oft“: 8 Prozent
„Öfter“: 17 Prozent
Das klingt fast so, als wären Sie vom HDE zur Gewerkschaft Verdi gewechselt.
Ich kann Sie beruhigen, bei der Frage, ob Amazon nach Einzelhandelstarif bezahlen soll, vertreten wir eine grundlegend andere Auffassung als Verdi. Zwar ist Amazon ein Händler, weshalb es mit dem Management immer wieder Gespräche über eine Mitgliedschaft im HDE gibt. Aber die Tätigkeit im Lager, um die es beim Streit zwischen Verdi und Amazon geht, ist natürlich eine reine Logistik-Arbeit, die auch nach dem entsprechenden Tarif bezahlt werden kann. Das handhaben andere Handelsunternehmen ganz ähnlich.
Worum werden sich die Tarifgespräche mit Verdi im Sommer drehen?
Ein Punkt sind sicherlich Lohnerhöhungen, die aus Sicht der Beschäftigten nachvollziehbarerweise gefordert werden. Da sehe ich gute Chancen auf eine Einigung. Für uns ist es aber genauso wichtig, einen zukunftsfähigen Tarifvertrag durchzukriegen, der endlich auch Themen wie die Digitalisierung abbildet. Dabei gilt es etwa, Qualifikationen und Lohngruppen neu zu sortieren. Das ist sicherlich ein ganz dickes Brett, aber im Zweifel werden wir verhandeln, bis die Hölle einfriert. Es muss sich etwas tun.