Hochtief-Übernahme Wie gefährdet sind die Dax-Konzerne?

Der Angriff auf Hochtief zeigt, dass kaum ein Unternehmen vor Übernahmeattacken sicher ist. Wie gefährdet sind Dax-Konzerne?

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Baustelle von Hochtief in Quelle: dpa

Die Attacke kam heimtückisch und gut vorbereitet. Frühmorgens am 16. September erfuhr Herbert Lütkestratkötter, Chef des Bauriesen Hochtief, aus der spanischen Presse vom Vorstoß seines Hauptaktionärs Florentino Pérez, der den spanischen Baukonzern ACS leitet. Erst eine Woche zuvor hatte der Aufsichtsrat getagt – ohne auch nur eine Andeutung der ACS-Vertreter.

Enttäuscht fühle er sich und nicht fair behandelt, bekannte Lütkestratkötter wenig später. Klar, dass der Westfale nun gegenhalten will, um die Selbstständigkeit von Hochtief zu erhalten. Die Spanier, die sich 2007 mit 25,1 Prozent beim größten deutschen Baukonzern einkauften, halten inzwischen knapp 30 Prozent. Als Abwehrberater hat Lütkestratkötter neben Credit Suisse und Goldman Sachs auch die Kanzlei Hengeler Mueller bestellt. Überrascht von dem Angriff waren nicht nur Lütkestratkötter und Credit Suisse, die Hochtief schon länger bei der Abwehrstrategie gegen mögliche unfreundliche Übernahmen berät, sondern auch die Frankfurter Finanzgemeinde. „Damit hatte keiner gerechnet“, sagt Axel Gollnick vom Fusionsberater M&A International. Doch gefeit ist kaum ein börsennotiertes Unternehmen vor feindlichen Attacken.

Auch Dax-Konzerne nicht. Dass schiere Größe allein nicht schützt, zeigen die Übernahmeversuche bei den Rohstoffunternehmen. Zurzeit will der britisch-australische Minenkonzern BHP Billiton den kanadischen Düngemittelhersteller Potash für 39 Milliarden Dollar kaufen. BHPs Versuch, den ebenfalls britisch-australischen Konkurrenten Rio Tinto für rund 140 Milliarden Dollar zu kaufen, scheiterte nur knapp.

Für die Staatsfonds, die die Krise zum großen Teil erstaunlich gut überstanden haben, ist Geld ohnehin kein begrenzender Faktor. So verfügt die chinesische CIC über Mittel in Höhe von 200 Milliarden Dollar, die norwegische Norges über rund 450 Milliarden Dollar, die Abu Dhabi Investment Authority sogar über 875 Milliarden Dollar.

Übernahmen deutscher Unternehmen durch ausländische Käufer

Dennoch geht die Frankfurter Finanzszene nicht von einem Übernahmefeuerwerk durch ausländische Käufer in den kommenden Monaten aus. Zwar stiegen die Übernahmen deutscher Unternehmen durch Ausländer im ersten Halbjahr (siehe Grafik). Doch meist handelte es sich um kleinere Deals. Große Transaktionen wie die versuchte Übernahme von Hochtief dürften vorerst die Ausnahme bleiben.

Dabei haben sich finanzielle Basis und Marktposition bei den deutschen Unternehmen im Vergleich zu den beiden Vorjahren stabilisiert. „Die Unsicherheiten sind zurückgegangen und die Auftragsbücher gut gefüllt, sodass wieder verlässlichere Bewertungen von Unternehmen möglich sind“, sagt Alexander Gehrt, Leiter des deutschen Übernahmegeschäfts bei der Schweizer Bank UBS.

Derzeit jedoch wollten Unternehmen bei Übernahmen vor allem Wachstum kaufen. Das findet, trotz der auch in Europa gestiegenen Wachstumsraten, vor allem in Schwellenländern statt. „Deutsche Unternehmen sind für ausländische Käufer vor allem wegen des Zugriffs auf Technologien interessant“, sagt Gehrt.

Besonders solide Kapitalbasis

Doch bei den Deutschen ist das Interesse an einer Flucht unter das Dach eines Aufkäufers oder auch nur an einem Verkauf von Firmenteilen eher gering: „Der Verkaufsdruck ist nicht hoch, weil die Verschuldung der meisten Unternehmen gering ist“, sagt Wilhelm Schulz, Leiter des Übernahmegeschäfts bei der US-Bank Citi.

Zudem haben die Aktienkäufer in den vergangenen Monaten Unternehmen mit einer besonders soliden Kapitalbasis bevorzugt. Obwohl die Bewertung vieler Übernahmeziele durchaus attraktiv ist, zögern viele Manager noch, ihre Kapitalausstattung durch einen großen Zukauf zu verringern und es sich mit ihren Aktionären zu verscherzen.

Hinzu kommen weltwirtschaftliche Unsicherheiten und Skepsis gegenüber dem deutschen Boom. „In vielen Industrien basiert der Aufschwung nur auf der stark gestiegenen Nachfrage in Asien“, sagt Frank Schönherr, Deutschland-Chef der italienischen Investmentbank Mediobanca. Ob diese aber ausreicht, um die Konjunktur dauerhaft zu stabilisieren, ist unklar. Gerade die Situation in den USA beurteilen viele Unternehmen weiter skeptisch.

Infineon: technologisch auf vielen Feldern führend Quelle: dpa

In absoluter Sicherheit wiegen können sich Deutschlands Konzerne dennoch nicht. Überraschungsangriffe sind jederzeit möglich. Eine Analyse der 30 Unternehmen aus der Börsen-Königsliga Dax ergibt, dass immerhin jeder vierte Konzern von der reinen Zahlenlage her übernahmegefährdet ist – sei es, weil ein Großaktionär fehlt, der eine Attacke erschweren könnte, oder weil der günstige Aktienkurs zu einer Übernahme einlädt (siehe Shortfacts).

Zu den Unternehmen, die schon für Kaufgerüchte sorgen, gehört die Deutsche Börse AG. Denn die Konsolidierung der internationalen Börsenlandschaft ist zurzeit im vollen Gange, und die Deutsche Börse hat keinen Großaktionär. Sie will nun ihr Eigenkapital um rund 20 Prozent aufstocken und sich damit gegen Attacken wappnen.

Die meisten Übernahmeaspiranten gehören aber zum industriellen Herzen Deutschlands. Ein Überblick über die Lage bei denkbaren Verkaufskandidaten.

Infineon

Der Chiphersteller verfügt über keinen Ankerinvestor jenseits der Fünf-Prozent-Marke und gilt deshalb seit Jahren als Übernahmeziel: Die Geschäfte liefen schlecht und die Aktie noch schlechter, sodass das Unternehmen notorisch unterbewertet war. Zugleich gilt Infineon technologisch auf vielen Feldern als führend. 

Kein Wunder also, dass in den vergangenen Jahren der russische Mischkonzern AFK Sistema mehrmals in München – und auch bei der Bundesregierung in Berlin – anklopfte und sein Interesse als Infineon-Großaktionär bekundete. Das Interesse der Russen liegt vornehmlich bei den Sicherheitschips – was Berlin in der Abwehrhaltung noch bestärkte.

Seit dem erfolgreichen Turn-around von Vorstandschef Peter Bauer ist der Halbleiterkonzern noch interessanter für potenzielle Käufer. Erst in der vergangenen Woche hob das Unternehmen die Prognose für das im September endende Geschäftsjahr 2010 erneut an.

Ende August verkündete Bauer zudem den Verkauf der Sparte für Mobilfunkchips für rund 1,1 Milliarden Euro. Nach Abschluss der Transaktion im ersten Quartal 2011 werden die Münchner dann über Barbestände von rund 2,2 Milliarden Euro verfügen. Vor dem Hintergrund ist Infineon mit einem Börsenwert von rund 5,2 Milliarden Euro ein Schnäppchen.

Daimler

Der Kurs der Daimler-Aktie stieg in den vergangenen eineinhalb Jahren von unter 20 auf etwa 45 Euro. Zudem holte Daimler-Chef Dieter Zetsche mitten in der Autokrise das Emirat Abu Dhabi an Bord: Für zwei Milliarden Euro sicherte sich der Staatsfonds Aabar neun Prozent.

Mehr konnte Zetsche für den Schutz vor ungeliebten Investoren kaum tun. Und doch bleibt eine offene Flanke: Mehr als 75 Prozent der Aktien sind im Streubesitz. Und mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 12 für 2010 ist die Daimler-Aktie immer noch relativ billig. Das könnte Angreifer ermutigen, einen Batzen zusammenzukaufen.

Anders ist die Lage bei BMW, wo nur rund die Hälfte der Aktien frei gehandelt wird. Die Industriellenfamilie Quandt hält 46,7 Prozent und gibt dem Konzern Stabilität. Bei VW liegt der frei handelbare Anteil der Stammaktien nach dem Einstieg des Emirats Kuwait 2009 sogar unter zehn Prozent.

Dass der neue Ankeraktionär von Daimler in absehbarer Zeit seine Anteile erhöht und die Schwaben dadurch vor Übernahmen schützt, gilt als unwahrscheinlich. Erst im Frühjahr kassierten die Araber wegen des Kursanstiegs ihre ursprünglichen Pläne wieder ein, den Anteil auf 15 Prozent zu erhöhen.

BASF Hauptversammlung 2009. Quelle: dpa

Auch der Ludwigshafener Chemieriese, ein Schwergewicht mit mehr als 40 Milliarden Euro Börsenwert, muss ohne schützenden Großaktionär auskommen. „Ein Angriff ist möglich“, räumte BASF-Chef Jürgen Hambrecht 2009 im WirtschaftsWoche-Interview ein. Er nannte sogar eine Preisvorstellung: Das Doppelte des Börsenwertes müsse ein Käufer schon bieten. „Das Geld muss aber erst mal hereinkommen, und die Banken müssten dafür Kredite zur Verfügung stellen“, relativierte Hambrecht die Gefahr.

Insider berichten, dass derzeit im BASF-Management durchaus Furcht vor einer Übernahme herrscht. Wie beim Leverkusener Pharma- und Chemieriesen Bayer, dessen Börsenbewertung mit der von BASF vergleichbar ist und der auch keinen Großaktionär hat, könnten vor allem chinesische Staatskonzerne wie Sinopec oder CNPC eine Übernahme wagen.

K+S

Der Düngemittel-Spezialist verfügt zwar mit der MCC Holding des russischen Milliardärs Andrej Melnitschenko (etwa 15 Prozent) und BASF (etwa zehn Prozent) über zwei Großaktionäre. Doch seit dem Übernahmevorstoß von BHP Billiton beim K+S-Konkurrenten Potash blühen auch bei den Kasselern Übernahme-Fantasien.

Im Düngermarkt werden die Karten derzeit neu gemischt – und K+S könnte dabei in das Visier von Aufkäufern geraten, glaubt offenbar die Börse: Seit der Offerte von BHP Billiton für Potash kletterte der K+S-Aktienkurs um fast zehn Prozent.

Nicht zuletzt, um Einstiegsversuche früh auszumachen, wandelt der Sportkonzern Adidas gerade seine Inhaber- in Namensaktien um. Damit bekommt das Unternehmen mehr Informationen über seine Eigentümer.

Der Traditionskonzern aus Herzogenaurach hat keinen Ankeraktionär, einzig zwei US-Investoren besitzen jeweils mehr als fünf Prozent der Anteile. Der große Rest ist in Streubesitz – nach der Zahl der Einladungen zur Hauptversammlung schätzt das Unternehmen die Gesamtzahl seiner Aktionäre auf rund 60.000.

Von denen konnte der Sportausstatter immerhin mehr als 86 Prozent zuordnen. Demnach halten in Nordamerika ansässige Investoren 28 Prozent der Aktien, auf deutsche Profi-Investoren entfallen zehn Prozent. Doch bei 14 Prozent der Aktien weiß bei Adidas niemand, wer sie besitzt.

Attraktiv ist der hinter dem US-Konkurrenten Nike zweitgrößte Sportartikler der Welt allemal: Die Umsätze steigen 2010 voraussichtlich erstmals auf mehr als elf Milliarden Euro, die Verschuldung wurde deutlich zurückgeführt, und außerdem lockt ein hübsches Eigenkapitalpolster von 4,7 Milliarden Euro. Zudem gehört Adidas laut Interbrand mit einem Markenwert von 5,5 Milliarden Dollar zu den weltweit wertvollsten Brands.  

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