Toshiba Fehlgriffe und Skandale verdüstern Zukunftsaussichten

Toshiba steckt in der Krise. Der Verkauf der Speicherchips-Sparte soll sie retten. Experten sehen darin aber eher eine Verzweiflungstat. Denn die Japaner würden damit ihr letztes erfolgversprechendes Geschäft abgeben.

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Das Traditionsunternehmen Toshiba steckt tief in der Krise. Quelle: REUTERS

Seit 140 Jahren ist Toshiba auf dem Markt - und doch braucht der Traditionskonzern gerade dringend etwas Zeit. Ein paar Milliarden aus dem Verkauf der Computerchipsparte kämen da sehr gelegen. Ob sie ausreichen würden, um auch dauerhaft auf dem Markt zu bleiben, ist allerdings unklar. Zu lang ist die Liste der Pannen. Der Verlust von 950 Milliarden Yen (rund 7,6 Milliarden Euro) in dem im März abgelaufenen Geschäftsjahr gibt einen deutlichen Eindruck vom Ernst der Lage.

Rückblickend waren es wohl vor allem die massiven Investitionen in die Atomkraft vor gut zehn Jahren, die den Abwärtstrend besiegelten. Spätestens seit der Katastrophe von Fukushima ist klar, dass die Nukleartechnik nicht die erhoffte Goldgrube ist, sondern ein Fass ohne Boden. Doch das allein reicht als Erklärung nicht aus. Ein Skandal um gefälschte Bilanzen legt vielmehr nahe, dass es sich um ein generelles Problem in der Unternehmenskultur handelt.

Die Geschichte Toshibas ist eng mit dem Aufstieg Japans zur Industrienation verbunden. Anfangs waren es Telegrafen und Glühbirnen, später die ersten Mikrowellen und elektrischen Reiskocher des Landes, schließlich dann Laptops und Flash-Speicher, mit denen der Konzern aus Tokio Profit machte. Seit den 70er Jahren mischte Toshiba auch in der Atomkraft mit. Unter anderem baute das Unternehmen zwei der Reaktoren im Kraftwerk von Fukushima.

Im Jahr 2006 übernahmen die Japaner auch die amerikanische Nuklearsparte des Konkurrenten Westinghouse. Zu der Zeit schien Atomkraft nicht nur in den USA und in China, sondern geradezu weltweit eine blühende Zukunft zu haben. Den Preis von 5,4 Milliarden Dollar (nach heutigem Kurs 4,8 Milliarden Euro) bewerteten viele Experten allerdings schon damals als viel zu hoch. Und sie sollten am Ende recht behalten.

Schon vor dem Fukushima-Drama von 2011 gab es bei Toshiba Probleme mit dem Management. Ehemalige Mitarbeiter, darunter der pensionierte Nuklearexperte Muneo Morokuzu, beklagten in Interviews mit der Nachrichtenagentur AP einen Werteverfall. Während in den 70er Jahren unter den Mitarbeitern ein „Geist der Mitmenschlichkeit“ geherrscht habe, hätten die Chefs später zunehmend Geld veruntreut und sich etwa in teuren Firmenwagen herumfahren lassen. „Es ist problematisch, wenn die Grenze zwischen eigenem Geld und dem der Firma verschwimmt“, sagte Morokuzu. „Die Marke wurde beschädigt. Ich hoffe, Toshiba kriegt noch die Kurve.“

Im Jahr 2015 räumte Toshiba ein, seit 2008 systematisch die eigenen Bücher gefälscht zu haben. Wie eine unabhängige Untersuchung ergab, hatte das Management Angaben zu Profiten künstlich aufgebläht und hohe Ausgaben unter den Teppich gekehrt, um überambitionierte Ziele wenigstens auf dem Papier zu erreichen.

„Wenn die obersten Führungskräfte sich nicht mehr an die Regeln halten, kann sie niemand stoppen“, sagt Koichi Okamoto von der Toyo-Eiwa-Universität, der sich intensiv mit den Vorgängen bei Toshiba beschäftigt hat. „Ob groß oder klein, solche Unternehmen werden am Ende untergehen.“

"Nicht einmal Kurswechsel nach Fukushima"

Parallel wehte auch außerhalb des Konzerns ein immer härterer Wind. Der Markt für günstige Unterhaltungselektronik wurde von chinesischen Anbietern kräftig aufgemischt. Im Bereich besonders hochwertiger Produkte machte die Konkurrenz aus Südkorea das Rennen. Unter den Computer-Herstellern verschoben sich die Marktanteile vor allem in Richtung Apple und Dell aus den USA sowie Acer aus Taiwan und Lenovo mit Sitz in Hongkong. Im vergangenen Jahr verkaufte Toshiba sein Geschäft mit Haushaltsgeräten an die chinesische Midea-Gruppe. Ihre Sparte für medizinische Geräte verkauften die Japaner an den Kamerahersteller Canon.

Nur im Bereich der Speicherchips zählt Toshiba derzeit noch zur absoluten Weltspitze. Und ausgerechnet diese Sparte wurde im April nun ausgegliedert. Mit dem geplanten Verkauf soll wieder frisches Geld in die arg gebeutelte Unternehmenskasse gespült werden. Potenzielle Käufer gibt es offenbar mehrere. Berichten zufolge soll Hon Hai aus Taiwan ebenso interessiert sein wie Toshibas bisheriger Joint-Venture-Partner Western Digital und ein Konsortium aus Japan und den USA.

Selbst wenn Toshiba die aktuelle Krise überstehen sollte, bliebe vom einstigen Großkonzern also nur noch sehr wenig übrig. Es bliebe etwa das Geschäft mit Eisenbahnen, elektrischen Anlagen und Fabrik-Automation. Und natürlich das Nukleargeschäft - zumal Toshiba noch die Verantwortung für den Betrieb oder die Abwicklung von 17 Reaktoren in Japan trägt, einschließlich derer in dem Kraftwerk von Fukushima.

Toshiba-Präsident Satoshi Tsunakawa hat versichert, keine neuen Nuklearprojekte mehr in Angriff nehmen zu wollen. Die inzwischen ebenfalls in Zahlungsschwierigkeiten geratene Tochterfirma Westinghouse will Toshiba nach eigenen Angaben möglicherweise ebenfalls verkaufen. Allerdings sind hier noch zahlreiche Klagen anhängig, so dass noch vollkommen unklar ist, welche Kosten die Japaner zunächst noch schultern müssen.

Das Unternehmen habe selbst nach Fukushima noch viel zu lange an der Atomkraft festgehalten, sagt der ehemalige Toshiba-Ingenieur Masashi Goto, der heute ein Gegner dieser Technik ist. Dabei seien die Reaktoren wie bettlägerige Patienten - die Branche werde sie noch viele Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte pflegen müssen. „Nicht einmal nach Fukushima hatte das Management von Toshiba die Weisheit, einen Kurswechsel vorzunehmen.“

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