Abrissbirne Eine Branche verliert ihr Wahrzeichen

Längst ist die tonnenschwere Kugel im Stadtbild zur Seltenheit geworden. Angesichts gut gefüllter Auftragsbücher investiert die Abbruchbranche zunehmend in ferngesteuerte Roboter – zulasten der klassischen Abrissbirne.

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Da die Abbruchbranche zunehmend in in neue Maschinen investiert, wird es immer schwerer, qualifizierte Bauleiter oder Maschinenführer zu finden. Quelle: dpa

Köln „Abgebrochen wird immer“, heißt es in der Abrissbranche schon lange. Derzeit aber sind die Auftragsbücher der vorwiegend klein- und mittelständischen Unternehmen besonders gut gefüllt. In die Jahre gekommene Bauten sollen für schicke neue Projekte Platz machen und Schrottimmobilien aus dem Stadtbild verschwinden. Die Abrissbirne kommt dabei immer seltener zum Einsatz: Dem Wahrzeichen einer ganzen Branche droht das Aus.

Über Jahrzehnte hinweg galt die Arbeit mit der tonnenschweren Kugel als ebenso filigraner wie anspruchsvoller Job für Spezialisten, sagt Andreas Pocha, Geschäftsführer des Deutschen Abbruchverbands. Nun werden die „Künstler an der Kugel“ von modernen Baggern mit Arbeitsreichweiten von bis zu 50 Metern und ferngesteuerte Robotern verdrängt. Bewaffnet mit Abbruchzange und Greifer können so ganze Etagenflure in Angriff genommen werden.

Einsatzgebiet sind dabei neben Industrie- und Gewerbebauten zunehmend auch Wohnhäuser in den Innenstädten. „In einer Großstadt haben Sie jeden Tag irgendwo eine, in der Regel sogar mehrere Abbruchbaustellen“, berichtet Pocha. Während die Abrissfirmen in neue Maschinen und mehr Personal investierten, werde es aber immer schwerer, qualifizierte Bauleiter oder Maschinenführer zu finden.

In der Regel nach durchschnittlich 35 Jahren ist das Aus von Industrie- und Gewerbeimmobilien besiegelt. Dann lohnt die Nutzung nicht mehr. Der Abbruch und anschließende Neubau gilt als die wirtschaftlichere Alternative im Vergleich zur Sanierung.

„Vielfach ist Abriss und Neubau die geeignete Variante, wenn ein Wohngebäude nur noch durch Vollmodernisierung gerettet werden kann“, sagt Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Vor allem bei privaten Hausbesitzern stünden jedoch oft Emotionen dem wirtschaftlichen Kalkül entgegen, beklagt der Abbruchverband. Abrisswürdige Immobilien würden dann doch eher saniert als abgebrochen.

Gesicherte Zahlen für die eher im Hintergrund arbeitende Branche gibt es kaum. Das Statistische Bundesamt listet für das Jahr 2015 allein den „Abgang“ von 6786 Wohngebäuden und 27 630 Wohnungen auf. Das waren 365 Häuser und 4028 Wohnungen mehr als noch im Jahr zuvor.

Gefragt ist die Branche gerade dort, wo Bauland knapp und teuer ist. In den Jahren 2000 bis 2015 sei der Durchschnittspreis je Quadratmeter Bauland um 42 Prozent gestiegen, heißt es bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland. In Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern, wo der Wohnungsmangel besonders groß ist, seien Grundstücke fünf bis sechs Mal teurer als im deutschen Durchschnitt.

In weniger begehrten Wohnlagen wird der Abriss von maroden Häusern auch als Maßnahme eingesetzt, um das soziale Umfeld zu verbessern. Im Kampf gegen überfüllte und verwahrloste Immobilien bekommen etwa acht Städte in Nordrhein-Westfalen dieses Jahr 33 Millionen Euro Subventionen vom Land. Damit sollen Problem-Immobilien aufgekauft und abgerissen oder saniert werden.

In das Modellvorhaben sind die Städte Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne und Wuppertal eingebunden. Allein in der Schalke-Stadt Gelsenkirchen stehen 15 Gebäude auf der Abbruchliste. Kein schlechtes Geschäft für die Branche - auch wenn die klassische Abrissbirne immer seltener zum Einsatz kommt.

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