Aluminium für die Autobranche Wettstreit der Leichtgewichte

Autobauer setzen immer mehr auf Aluminium, um ihre Autos leichter zu machen. Der Alu-Riese Hydro baut nun die Fertigung in Deutschland aus. Doch die Stahlindustrie will der Konkurrenz das Feld nicht kampflos überlassen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der norwegische Konzern Hydro hat in Grevenbroich eine neue Produktionsstraße für Aluminium errichtet. Quelle: AP

Grevenbroich Der Gastgeber war sich sicher, dass er den beiden Damen rechts und links an seiner Seite nicht zu viel zumutet. „Nehmen Sie ruhig den Zeigefinger“, riet Hydro-Vorstandchef Svein Richard Brandtzaeg Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer norwegischen Amtskollegin Erna Solberg – und schon baumelte der Rahmen einer Autotür an zwei Fingern der beiden Politikerinnen. Womit Brandtzaeg eindrucksvoll das demonstrieren konnte, was zuvor alle drei auf der Bühne im Hydro-Werk in Grevenbroich bei Neuss gepriesen hatten: Die Leichtigkeit von Aluminium.

Die soll noch stärker als bisher die Autokonzerne in die Lage versetzen, Fahrzeuge mit weniger Gewicht herzustellen – unabdingbar mit Blick auf den anstehenden Schwenk in Richtung Elektromobilität. Aber auch schon jetzt wird es dringend benötigt, um Modelle mit klassischem Verbrennungsmotor leichter zu machen und so Verbrauch und Ausstoß klimaschädlicher CO2-Emissionen zu drücken.

Merkel und Solberg waren am Donnerstag an den Niederrhein gereist, wo Hydro eine neuen Produktionsstraße für Autobleche aus Aluminium einweihte. Der norwegische Konzern will mit der 130 Millionen Euro teuren Investition seine Kapazitäten glatt mal vervierfachen – von 50.000 auf künftig 200.000 Tonnen. Hydro, das rund um Neuss das größte und leistungsfähigste Aluminium-Netzwerk in Europa unterhält, steigt damit zur weltweiten Nummer zwei unter den Aluminiumlieferanten für die Autoindustrie auf – nach Weltmarktführer Novelis, einem indischen Konzern mit Hauptsitz in den USA.

„Die Automobilindustrie ist einer der wichtigsten Wachstumstreiber für die Aluminiumindustrie. Der Trend zum Leichtbau, insbesondere auch mit Blick auf die E-Mobilität, wird in den kommenden Jahrzehnten zu einer starken Zunahme der Nachfrage nach Aluminium führen“, ist sich Christian Wellner, Präsidiumsmitglied des Gesamtverbandes der Aluminiumindustrie, sicher.

Schon jetzt bestehen vor allem bei Premiummodellen von Mercedes, Audi oder BMW viele der großen Flächenteilen wie Motorhaube, Heckklappe oder Dach aus dem silberfarbenen Leichtmetall. Dessen unschlagbares Argument: Aluminium wiegt bei gleichem Volumen nur ein Drittel so viel wie einfacher Stahl. Die Geschäfte mit der Autobranche haben sich seit 2011 allein bei Hydro verdoppelt.

Vor allem Audi gehört mit seinen Premiummodellen wie dem A8 oder dem SUV Q7 zu den großen Kunden. Aber auch bei vielen anderen Autoherstellern wie BMW, Mercedes, Porsche oder Jaguar-Landrover verlässt kein Fahrzeug mehr das Band ohne verbaute Aluminiumteile.

Der Bedarf der Autoindustrie an Aluminium hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht. Das betrifft fast alle Bereiche: Räder, Fahrwerk, Motor, Ausstattung und Karosserie. So hat sich Anteil des Leichtmetalls in Europa hergestellten Pkw zwischen 1978 und 2015 von 32 Kilogramm auf 160 Kilo erhöht. Allein im Karosseriebau verzehnfachte sich der Einsatz von 1998 bis heute von fünf Kilogramm auf 50 Kilo. Im neuen Range Rover sind schon heute Teile aus Aluminium von 350 Kilogramm verbaut.

Das Beratungsunternehmen McKinsey geht in einer Studie davon aus, dass die Autobranche bis zum Jahr 2030 ihren Verbrauch von derzeit rund fünf Millionen Tonnen auf dann 16,9 Millionen Tonnen Aluminium weltweit steigert. Das angenommene durchschnittliche Wachstum beträgt damit sechs Prozent pro Jahr. Im Materialmix werde die Bedeutung von Aluminium von fünf auf 12 Prozent pro Fahrzeug im Durchschnitt zulegen.


Aluminium drängt auch in den Massenmarkt

Diese starken Zuwachsraten der Konkurrenz lassen die Stahlkonzerne als traditionelle Lieferanten der Autobranche nicht kalt. Derzeit kommen sich die beiden Materialien nicht groß in die Quere – die Autoindustrie wächst weltweit schon seit Jahren, beide Metalle haben im Fahrzeugbau mittlerweile ihre Berechtigung. Doch die Aluminiumindustrie will mehr, das wurde auch am Donnerstag in Grevenbroich deutlich: Wurde das Leichtmetall bislang vor allem auch aus Kostengründen in der Premiumklasse verbaut, soll nun nach und nach der Massenmarkt erreicht werden – mit immer größeren Anteilen am Materialmix.

Um nicht weiter Boden bei einem ihrer wichtigsten Kunden zu verlieren, arbeiten die Stahlkonzerne unter Hochdruck an neuen Konzepten. Dabei geht es nicht nur um die Entwicklung neuer hochfester Stähle und den Einsatz neuer Verfahren wie der Warmumformung. Mindestens genauso wichtig ist die Kombination mit anderen Materialien zu sogenannten Hybrid-Werkstoffen. Deren Anteile steigen mit jedem neuen Modellzyklus deutlich an.

Gewichtsreduzierung ist auch hier oberstes Gebot, gerade auch mit Blick auf die E-Mobilität. „Die wesentlichen Faktoren um den Kauf eines Elektroautos für große Teile der Bevölkerung akzeptabel zu machen, sind Reichweite und Preis der Fahrzeuge“, sagte Bernhard Osburg, oberster Vertriebschef von Thyssen-Krupp Steel Europe.

Allein mit dem Einsatz neuer Stähle konnte das Gewicht des neuen VW Golf um 23 Kilo reduziert werden. So soll der Anteil an hochfesten Stählen von derzeit 15 Prozent auf knapp 40 Prozent im Jahr 2030 steigen. Der Anteil einfacherer und auch schwerere Qualitäten geht entsprechend zurück. Vor allem Hybrid-Werkstoffe aus Stahl und Kunststoff kommen dem Gewicht von Aluminium mittlerweile sehr nah. So werden selbst beim Premiummodell Audi A8 in der jüngsten Version wieder vermehrt Stahlteile verbaut, nachdem das die Karosserie lange Zeit aus Aluminium pur bestand.

Der Wettstreit der Systeme entspricht den politischen und wirtschaftlichen Anforderungen und zwingt alle Seiten zu neuen Lösungen, um das Gewicht der Fahrzeuge weiter zu reduzieren. Laut McKinsey-Studie wird der Einsatz von Leichtbaumaterialien wie Aluminium, Magnesium aber auch hochfester Stähle oder Hybrid-Werkstoffen in den Autoindustrie in den kommenden Jahren enorm zunehmen, von derzeit 70 Milliarden Euro und rund 300 Milliarden im Jahr 2030. Damit würde das jährliche Wachstum bei rund acht Prozent liegen. Die größten Wachstumsmärkte sehen die Experten in den USA und China. Die europäischen Autobauer sind dagegen schon sehr weit.

Trotz aller Expansionsgelüste der Aluminiumindustrie: Auch im Jahr 2030 wird Stahl weiter der im Autobau führende Werkstoff sein. Es ist der Einsatz von hochfesten Stählen, der einen spürbaren Sprung nach oben macht. Das gilt vor allem für die sicherheitsrelevanten Teile in einer Karosserie, wenn es darum geht, einen Crash auszuhalten. Eine B-Säule aus Aluminium wiegt bei den gleichen Anforderungen an Festigkeit und Steifigkeit fast genauso viel wie eine aus Stahl – ist allerdings immer noch teurer. Für die kostenbewusste Autoindustrie ein gewichtiges Argument.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%