Andreas Barner Das fromme Doppelleben des Boehringer-Chefs

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Ethischer als die Pharmakonkurrenz?

Und tatsächlich scheint es bei Boehringer ethischer zuzugehen als als bei der Pharmakonkurrenz: „Nicht kurzfristige Renditeorientierung, sondern zielorientierte Forschung steht im Vordergrund“, sagt Norbert Hültenschmidt, Partner bei der Beratung Bain.

Doch anders als in der schönen Kirchentagswelt mehren sich in der Boehringer-Realität die Probleme. Das Schlaganfallmittel Pradaxa des Konzerns etwa steht wegen Blutungen in der Kritik, ein Mittel gegen die Nebenwirkungen (Antidot) ist zwar beantragt, aber noch nicht auf dem Markt. Barner freilich ist überzeugt, dass Pradaxa über hunderttausend Schlaganfälle verhindert hat, der Nutzen also überwiege. „Wir haben sehr früh mit der Entwicklung eines Antidots begonnen“, sagt er, doch „nachdem wir mit der Entwicklung von Pradaxa früher fertig waren, konnten wir das Mittel aus ethischen Gründen nicht zurückhalten“.

Der Boehringer-Umsatz sinkt, in der Produktion mehrten sich Qualitätsprobleme; nach jahrelangem Erfolg herrschte dort Schlendrian. Barner selbst etwa strich zudem 500 Stellen in Deutschland. Er sagt: „Es ist nie gut, wenn Menschen ihre Arbeitsstelle aufgeben müssen.“ Immerhin gab es keine Entlassungen. Altersteilzeit, Frühpensionierungen und natürliche Fluktuation reichten aus. Nach jahrelangem Wachstum überraschte das manchen Mitarbeiter kalt.

Kritische Zeit bei Boehringer

Etliche Forscher und Manager kreiden ihrem Chef an, dass er in dieser kritischen Zeit seltener in der Ingelheimer Unternehmenszentrale gewesen sei, sondern häufig in Stuttgart bei der Vorbereitung des Kirchentages, wo er sogar beim Verschicken der Programmhefte aushalf. Barner hält dagegen, dass er noch nie so viel in den Laboren und auf den Fluren von Boehringer unterwegs war wie in den vergangenen zwei Jahren. Sieben Tage die Woche schuftete er für Kirche und Konzern; Sonn- und Feiertage waren ihm nicht heilig. Seine Mitarbeiter beim Kirchentag verblüffte Barner damit, dass er vor der Lagebesprechung um sieben Uhr morgens schon zehn Kilometer gelaufen war und bereits gefrühstückt hatte.

Neben der Ökonomie ist ihm besonders die Ökumene wichtig. Ehefrau Susanne ist katholisch; Seite an Seite tritt Barner etwa in der Suttgarter Domkirche mit Karl Kardinal Lehmann auf. Eine Umgebung, die ihm sichtlich zusagt. In Stuttgart wirkt er gelöster, als wenn er am Unternehmenssitz im rheinland-pfälzischen Ingelheim die Bilanz erläutert. Den Namen Boehringer erwähnt er von sich aus nicht.

Seit Montag widmet er sich nun wieder seinem Hauptberuf. Womöglich wäre er gern in Stuttgart geblieben: „Das ist ein Gefühl, wie wenn Sie aus dem Urlaub kommen und erst mal jede Menge E-Mails abarbeiten müssen“, beschreibt er seine Rückkehr.

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