Aus Panzerriese wird U-Boot-Bauer Rheinmetalls riskante Zukunftspläne

Der Düsseldorfer Panzerriese Rheinmetall will sich neu erfinden. Der Umbau zum Rüstungselektroniker und U-Boot-Bauer ergibt strategisch zwar Sinn - ist aber kompliziert, teuer und riskant.

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Deutschlands wichtigste Rüstungsgüter
U-Boot U212/214Hersteller: Thyssen-Krupp. Die Tauchungetüme gelten dank des Elektroantriebs als leiseste Unterwasserschiffe Foto: Pedro Vilela Quelle: Creative Commons
Lenkwaffe Iris-THersteller: Diehl Die Rakete des Nürnberger Konzerns gilt als weltweit präziseste Waffe für Kampfflugzeuge Foto: HaraF Quelle: Creative Commons
Panzer Leopard 2Hersteller: KMW/Rheinmetall Mehrere Überarbeitungen machen den Boliden zum sichersten aller Panzer Foto: Bundeswehr-Fotos Quelle: Creative Commons
Sturmgewehr G36Hersteller: Heckler & Koch Weltweit begehrt wegen des geringen Gewichts – auch von nicht opportunen Ländern. Quelle: dpa

Nach dem jüngsten Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Anfang September war die Stimmung unter Deutschlands Waffenbauern so explosiv, dass selbst dem für die extrem diskrete Branche sehr zurückhaltenden Frank Haun der Kragen platzte. „Berlin behandelt uns wie eine Mätresse“, giftete der Chef des Münchner Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) im Fachblatt „Defense News“ wie auf dem Kasernenhof.

„Jeder will, was wir bieten, aber am liebsten würden sie uns tot sehen, wenn sie nur keiner beim Mord erwischt“, schimpfte Haun über die Tatsache, dass sein Hauptkunde Bundeswehr immer weniger bestellt und Gabriel ihm zugleich den wichtigsten Ausweg Export verbaut.

Grundlegender Umbau

Rheinmetall-Chef Armin Papperger, mit dem Haun gemeinsam Kampfpanzer wie den Leopard baut, war dagegen spürbar entspannter. Der sonst zurückhaltende gebürtige Niederbayer scherzte auf dem Weg zur Pressekonferenz mit dem Minister.

Die gute Laune hat Gründe. Während sich das Gros der Waffenwirtschaft im Schraubstock wähnt, setzt der 51-Jährige auf Selbsthilfe. Der Chef des größten rein deutschen Rüstungsunternehmens hat einen grundlegenden Umbau im Visier.

Offiziell will sich bei den Düsseldorfern keiner zu den Plänen äußern. Aber klar ist: Rheinmetall prüft milliardenschwere Zukäufe. Die größte Überraschung: Ausgerechnet die spekulierte Übernahme von KMW findet dem Vernehmen nach wenig Interesse bei Papperger, im Gegenteil.

Insider vermuten, Rheinmetall könnte den klassischen Panzerbau rund um die gemeinsam mit KMW gefertigten Leopard 2 und Boxer weitgehend an die Münchner abgeben. Deutlich größer ist das Interesse an bisher als nachrangig geltenden Zielen wie der U-Boot-Tochter des Essener Stahlkonzerns ThyssenKrupp und am Elektronik- und Drohnengeschäft von Airbus.

Neuordnung der deutschen Rüstungsindustrie

„Am Ende stünde eine komplette Neuordnung der deutschen Rüstungsindustrie inklusive einer Konsolidierung, wie sie in Frankreich und Großbritannien bereits erfolgt ist“, urteilt Heinz Schulte, Chef des Informationsdienstes Griephan aus Hamburg und intimer Kenner der Branche mit Zugang zu den Chefetagen. Die drei Leitunternehmen wären dann Airbus (Flugzeuge und Raketen), KMW (Panzer) und Rheinmetall (Elektronik und U-Boote).

Europas größte Rüstungskonzerne nach einer Fusion von Rheinmetall mit Krauss-Maffei Wegmann und anderen Waffenschmieden

Lediglich beim Bau von Fregatten und anderen Überwasserschiffen blieben noch mehrere Anbieter auf dem Markt wie die Bremer Werften Lürssen sowie Abeking & Rasmussen.

Auf den ersten Blick machen die Papperger zugeschriebenen Pläne Sinn. „Ein mittelgroßer Waffenbauer und Autozulieferer wird zum global agierenden Rüstungskonzern, der sich durch Neugeschäft in weniger kritischen Branchen den Zwängen aus sinkenden Etats und Exportkontrollen entzieht und in Europa zu den größten zählen könnte“, beschreibt der Hamburger Branchenexperte Heinrich Großbongardt das Konzept.

Zukauf könnte mehr als vier Milliarden kosten

Doch der Plan ist nicht nur ambitioniert, er ist auch riskant. Für den Aufstieg müssten die Düsseldorfer nicht nur ein halbes Dutzend Akteure aus Politik und Wirtschaft mit extrem unterschiedlichen Interessen unter einen Hut bringen. Die Sache würde auch extrem teuer.

Ein Analyst einer deutschen Großbank, der lieber anonym bleiben will, schätzt den Finanzbedarf auf mindestens vier Milliarden Euro: „Das kann sich Rheinmetall mit seiner gegenwärtigen Bilanz wenn überhaupt, dann nur durch Verkäufe leisten.“

Für die Zukäufe müsste sich Rheinmetall wohl von einem großen Teil des Stammgeschäfts Panzerbau sowie vom Autozulieferer-Geschäft trennen, das mit 2,5 Milliarden Euro Umsatz etwas größer ist als das Geschäft mit Haubitzen und Granaten. Und das hieße: komplette Abhängigkeit von der extrem politisch dominierten Rüstung

Wohlwollen beim Minister

Die Konsolidierungs-Idee genießt das Wohlwollen des Wirtschaftsministers. Sie entlockte dem Vizekanzler seine bislang konkreteste Äußerung zur Zukunft der maladen Branche. Er habe Interesse „an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und dem Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und industrieller Fähigkeiten“, so Gabriel. „Dafür unterstützen wir jede Form von Konsolidierung“, skandieren seine Ministerialen.

Kenner der Szene übersetzen das freundlich als „ermuntern, nicht forcieren“. Konkret bedeutet dies aber: Die Unternehmen sollen fusionieren und dann schrumpfen, bis die verbliebenen Aufträge der Bundeswehr und politisch genehme Exporte ihnen das Überleben und der Bundesrepublik militärisches High-Tech-Wissen sichern.

Große deutsche Rüstungskonzerne

Das umzusetzen sei freilich ausschließlich Aufgabe der Unternehmen selbst. „Die in Presseberichten beschriebene volle Rückendeckung oder gar aktive Hilfe kann keiner erwarten“, sagt ein Kenner der Berliner Szene. Kein Wunder, dass sich KMW-Chef Haun nicht nur als imaginäre Mätresse behandelt fühlt, schlimmer noch: „Sie wollen uns zu Tode aushungern.“

KMW wäre für Rheinmetall nur Ballast

Das Schicksal möchte Papperger Rheinmetall durch den Umbau ersparen. Den Beginn sehen Insider freilich nicht durch eine Übernahme des Panzerrivalen KMW. „Das brächte Rheinmetall statt einem Gewinn vor allem viel Ärger“, so ein Insider. Denn die Idee einer Fusion Rheinmetall-KMW, die seit gut 20 Jahren kursiert und bereits im Jahr 2000 in einem Papier der rot-grünen Bundesregierung angemahnt wurde, scheiterte bisher an persönlichen Gründen. „Zwischen den beiden Top-Managements herrschte lange offener Hass“, klagt ein Ex-Mitarbeiter.

Auch jetzt ist die Lage angespannt. Da fühle sich Gabriel machtlos, sagen seine Leute: „Der Minister ist nicht der Psychotherapeut der Branche.“

Und selbst wenn sich beide Seiten vertrügen, wäre KMW für Rheinmetall kaum mehr als Ballast. Die eher patriarchalisch geführten Bayern leben vor allem vom Auslaufmodell Panzer. „Dagegen haben die börsennotierten Düsseldorfer erfolgreich expandiert in neue Geschäftsfelder“, sagt Aude Fleurant, Programmdirektorin am renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri.

Hierzu zählen intelligente Munition, Elektronik und die Zusammenarbeit mit dem israelischen Drohnenhersteller IAI beim unbemannten Flugkörper Heron für die Bundeswehr.

Zudem wäre die innerdeutsche Panzer- Allianz das Aus für die Fusion von KMW mit dem staatlichen französischen Panzerbauer Nexter. Das Projekt „Kant“ – militärisch-unphilosophisch für „KMW And Nexter Together“ – ist aber ein Lieblingskind der Regierung in Paris. Es soll über die Kombination deutsche Technik und laxe französische Exportrichtlinien Tausende gefährdete Jobs retten. Sollte KMW unter dem Druck Gabriels „Kant“ aufkündigen, droht ein deutsch-französischer Krach.

Teure Tauchwunder

Insider halten es für sinnvoller, wenn Rheinmetall das klassische Panzergeschäft an die Münchner abgibt. Das würde KMW stärken und gäbe auch Gabriel ein größeres Mitspracherecht bei „Kant“. Zudem würden die Erlöse von mindestens einer halben Milliarde Euro Pappergers gebeutelte Konzernkasse für Zukäufe stärken.

Das Angebot ist da: Vorige Woche hat Airbus-Chef Tom Enders Teile seines Rüstungsgeschäfts zum Verkauf angeboten, von denen etwa die Rüstungselektronik Rheinmetall gut ergänzen würde. „Da könnte es noch in diesem Jahr eine Einigung geben“, mutmaßt ein Airbus-Insider.

Ebenfalls interessant für Rheinmetall ist die von Airbus und ThyssenKrupp gemeinsam geführte Atlas Elektronik aus Bremen. Die Sonarsysteme für U-Boote wären eine Ergänzung zu Rheinmetalls Radartechnik.

Reizvoll sind auch die Tauchroboter wie der selbst in trübsten Brühen sicher navigierende Sea Otter. Die Technik würde Rheinmetall zusammen mit dem Wissen um Flugdrohnen zu einem Marktführer im Zukunftsfeld unbemannte Rüstungsgüter erheben. Vor allem, wenn Rheinmetall wie erwartet das U-Boot-Geschäft von ThyssenKrupp kauft, ist Atlas eine gute Ergänzung.

Rheinmetall fehlt die Erfahrung

Doch der Schritt ins tiefe Wasser stellt Rheinmetall vor Probleme. Die rühren weniger aus der Technik. Den Schiffbau bestimmen weniger die Fähigkeiten zum Bau der Boote, sondern zu ihrer Ausrüstung. Hier hat Rheinmetall die nötige Erfahrung mit Schutzsystemen und der weltweiten Vermarktung der im Vergleich zu Panzern politisch eher unkritischen Schiffe.

Aber die Integration der vielen Felder könnte den Konzern überfordern. „Geschäfte in einer Größe von der Hälfte des eigenen Umsatzes einzufügen braucht die Erfahrung eines notorischen Umbauers wie General Electric. Die hat Rheinmetall beim besten Willen nicht“, warnt ein auf Fusionen spezialisierter Berater.

Kriegswaffenausfuhren in den Jahren 2004 bis 2013

Kaum einfacher wird die Finanzierung. Zwar gilt der Bau der fast nicht zu ortenden Tauchwunder U212 und U214 innerhalb des ThyssenKrupp-Konzerns wegen Bestechungsskandalen und des Schmuddelimage als Ballast. Doch die Verkaufsverhandlungen werden schwierig: Thyssen dürfte für sein Marinegeschäft wohl mindestens zwei Milliarden Euro fordern, um die schmerzhaften Wertberichtigungen im Stahlwerksbau auszugleichen. Rheinmetall kann sich das derzeit kaum leisten, hat aber im Preispoker gute Karten: Weil der militärische Bootsbau als sensible Kerntechnik in deutscher Hand bleiben soll, muss der Stahlriese Rheinmetall mangels anderer heimischer Bieter entgegenkommen.

Im Tausch gegen KSPG

Ein denkbarer Ausweg wäre der Tausch der U-Boote gegen die Rheinmetall-Autozulieferertochter KSPG. Doch bei beiden Konzernern laboriert das Autogeschäft noch an den Folgen der letzten Umbaurunden. „Wenn nach einer Fusion wieder Restrukturierungen und Entlassungen anstehen, kommen beide Unternehmen an die Belastungsgrenze“, warnt ein Branchenkenner und befürchtet Schwankungen in der Fertigungsqualität. Zudem werden bei dem Deal auch die großen Autokonzerne als Kunden mitsprechen. „Finanzierung, ungewohnte Integration und jede Menge Beteiligte – Pappergers Punsch hat es wirklich in sich“, so der Integrationsberater.

Somit glauben Experten, dass Papperger die Pläne zwar angeht, aber nur dosiert umsetzt. Er könnte in 2014 etwa Atlas Elektronik oder kleine Teile von Airbus kaufen und dann aufstocken. Dabei könnte dem Rheinmetaller ausgerechnet die ungeliebte Regulierung des Rüstungsgeschäfts helfen, die Verkäufe an ausländische Unternehmen fast unmöglich macht. „Wer immer sich von einem Teil seines Rüstungsgeschäfts trennen will, für den ist am Ende Rheinmetall als Käufer eine ernsthafte Option“, urteilt Branchenkenner Schulte.

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