Autohändler Hilferufe aus dem Industriegebiet

Die Autohändler in Deutschland haben ein Problem: Es wird immer teurer, ihr Geschäft auf die Zukunft auszurichten. Fünf Gründe, warum der Handel sich verändern muss, um zu überleben.

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Vor allem kleinen Autohändlern in Deutschland steht das Wasser bis zum Hals. Die Rendite sind niedrig. Die Zahl der Betriebe schrumpft. Quelle: dpa

Düsseldorf Die Wissenschaftler des Nürtinger Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) sind nicht bekannt für Alarmismus. In einer jährlichen Studie untersuchen sie, wie sich der Autohandel in Deutschland entwickelt. Auf den ersten Blick wirken ihre Ergebnisse für das Jahr 2015 beruhigend. Die Rendite der Händler ist um 0,4 Prozentpunkte auf durchschnittliche 1,4 Prozent leicht gestiegen, der Umsatz legte um 6,2 Prozent auf 157 Milliarden Euro zu, und mit 292 Insolvenzen ist auch die Zahl der gescheiterten Betriebe etwas niedriger ausgefallen als im Jahr davor. Dennoch beunruhigt etwas die Studienautoren.

So ist die Zahl der Autohändler erneut gesunken. Eine Entwicklung, die sich seit Jahren fortsetzt. Anno 2000 waren noch 18.000 verschiedene Händlergruppen in Deutschland aktiv, dieses Jahr sind es nur 7.400. „Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Händlersterben in den nächsten Jahren fortsetzen wird“, warnt IFA-Chef Willi Diez.

Denn der Autohandel wandelt sich mindestens genauso rasant wie das Geschäft der Hersteller. Nicht alle Händler sind gerüstet für diesen Wandel. Rund 26 Prozent aller Betriebe arbeiten defizitär, weitere 50 Prozent erwirtschaften eine Rendite von unter einem Prozent. Für große Investitionen ist da wenig Spielraum. Doch genau die sind in den kommenden Jahren gefragt. Der kleine Händler im Industriegebiet ist zum Auslaufmodell geworden.

„Die Strukturen im Automobilhandel werden sich in den nächsten Jahren immer stärker an die des klassischen Einzelhandels angleichen: Große Handelsketten, sogenannte Mega-Dealer, werden mit einem weit gestreuten Netz an eigenen Filialen den Markt beherrschen“, sagt Diez. Sein Institut erwartet, dass die Zahl der Automobilhändler bis zum Jahr 2020 auf 4.500 sinken wird.

Es sind fünf Probleme, die den Händler und Werkstätten zu schaffen machen:

Gefahr 1: Die Konkurrenz aus dem Internet

Die Zeiten, in denen der Preis eines Autos vor allem vom Verhandlungsgeschick des Händlers und seines Kunden abhing, sind lange vorbei. Wer heutzutage ein Auto kauft, kommt meist bestens informiert ins Autohaus. Viele Kunden orientieren sich an Sonderangeboten, die sie auf entsprechenden Vergleichsseiten im Internet gefunden haben. „Andere stehen ganz am Anfang und wollen sich nur mal umsehen, um dann später über das Internet einen Jahreswagen oder billigeren Wagen zu kaufen“, sagt ein Händler, der namentlich nicht in diesem Artikel auftauchen möchte.

Er beschreibt eine Erfahrung, die Händler derzeit täglich machen. Sie müssen sich mit den besten Angeboten im Netz messen. Denn gerade auf den Plattformen werben die großen Händler, die ihre Fahrzeuge zu besonders guten Konditionen anbieten können. Ohne Rückendeckung und Sonderaktionen der Hersteller ist es schwer, im Preiskampf zu überleben.


Warum die Händler investieren müssen

Gefahr 2: Starker Konzentrationsdruck

Trotz der zuletzt gestiegenen Zulassungen ist der Wettbewerb im deutschen Automarkt hart. Denn der Markt gilt als übersättigt. „Offensichtlich ist die Branche gemessen am Marktvolumen nach wie vor überbesetzt“, schreiben die IFA-Wissenschaftler in ihrer Studie.

Auch bei den Herstellern ist der Kostendruck auf die Niederlassungen gestiegen. Beim französischen Autobauer PSA spricht man offen über die sich immer weiter öffnende Schere zwischen erfolgreichen und erfolglosen Betrieben. Die Umstrukturierung des Vertriebs bei Daimler sorgte für viele Diskussionen. Und Fiat trifft sich mit einigen seiner deutschen Händler sogar vor Gericht, weil die Struktur umgestellt wurde. Dass die Zahl der Händler erneut gesunken ist, hängt aber nicht nur mit Umstrukturierungen und Insolvenzen, sondern auch mit der gestiegenen Zahl an Übernahmen zusammen. Kleine Händler scheinen dem Konkurrenzdruck kaum noch gewachsen.

„Das ist wie früher mit den Tante-Emma-Läden“, sagt IFA-Chef Diez. Diese seien zwar klein gewesen, aber praktisch um die Ecke. „Inzwischen fahren viele Verbraucher zum Einkauf in den großen Supermarkt in städtischen Randlagen – der ist zwar weiter weg, aber die Auswahl ist größer.“ Als Gewinner gehen aus diesem Prozess vor allem die großen Händlergruppen hervor, die besonders stark mit den Autoherstellern um Konditionen verhandeln können. Dazu zählen etwa die Stuttgarter Emil-Frey-Gruppe mit einem Jahresumsatz von zuletzt 1,77 Milliarden Euro oder die Augsburger Avag-Holding mit 1,57 Milliarden Euro Jahresumsatz.

Gefahr 3: Hohe Investitionen sind nötig

Offen sagt es niemand, doch der Händler im Industriegebiet ist für die Marken längst ein Ärgernis geworden. Während die Zentrale eigene Markenwelten erschaffen will, herrscht in vielen Verkaufsräumen noch ein Ambiente wie im Glashaus. Die Marken drängen darum längst in die Innenstädte – so wie der Elektropionier Tesla es vormacht. Mit eigenen Stores präsentieren sich bereits Premiummarken wie Mercedes und DS in den Einkaufsstraßen der Republik. Und auch Volumenhersteller wie Opel denken laut über neue Verkaufsmodelle nach.

Um den Glashaus-Charme abzulegen sollen die Händler darüber hinaus massiv in die optische Aufwertung ihrer Häuser investieren. Jede Marke soll in den Häusern ihre eigene Präsentationsfläche bekommen. Doch für viele Händler sind solche Investitionen aus dem laufenden Betrieb kaum zu stemmen. Immerhin fällt die Rendite mit durchschnittlich 1,4 Prozent vor Steuern alles andere als üppig aus.


Wenn der Besuch beim Händler überflüssig wird

Gefahr 4: Weniger Verdienst mit Reparaturen

Das Geschäft mit Service und Reparaturen war in den vergangenen Jahrzehnten ein wichtiger Gewinnbringer der Autohändler. Der Bereich macht zwar nur ein Fünftel des Umsatzes, aber 60 Prozent des Deckungsbeitrags aus. Denn die die Rendite in diesem Bereich fällt mit rund 20 Prozent auch 2015 vergleichsweise hoch aus.

Doch die Rendite mit Reparaturen schrumpft seit Jahren. In einem Jahr ist sie um 1,2 Prozentpunkte gefallen. Die gestiegene technische Komplexität moderner Fahrzeuge fordert auch die Werkstätten. Nicht umsonst liegt die Zahl der insolventen Servicebetriebe höher als bei den reinen Autohändlern.

Dass das Geschäft mit der Werkstatt nicht mehr so rund läuft wie in den Vorjahren, machen die Wissenschaftler auch für die gesunkene Beschäftigtenzahl im Kraftfahrzeuggewerbe verantwortlich. Die sank 2015 um 1200 Beschäftigte auf 460.800. „Offensichtlich sehen sich die Betriebe im Kraftfahrzeuggewerbe trotz der gestiegenen Absatz- und Umsatzzahlen zu Personaleinsparungen gezwungen“, heißt es in der Studie. „Dabei dürfte insbesondere die schwieriger werdende Situation im beschäftigungsintensiven Werkstattgeschäft eine Rolle spielen.“

Gefahr 5: Der Wandel der Industrie

Das größte Problem der Autohändler ist aber die Erosion des Geschäftsmodells. Virtuelle Verkaufsräume im Internet oder auf 3D-Brillen machen den Gang zum Händler zunehmend überflüssig. Seit Jahren sinkt die Zahl der Autohäuser, die Kunden durchschnittlich vor dem Kauf besuchen. Auch hier sinkt die Macht des Verkäufers, die Kunden vom eigenen Produkt zu überzeugen. Der direkte Kundenkontakt verlagert sich mehr und mehr auf andere Vertriebskanäle.

Alternative Geschäftsmodelle wie Carsharing und Ridesharing, also die Autobestellung per Knopfdruck, könnten dazu führen, dass Autokauf und Reparaturen künftig nur noch zwischen dem Mobilitätsdienstleistern und der Herstellern direkt abgewickelt wird. Händler und Werkstätten wären in diesem Konstrukt für den Kunden quasi unsichtbar. Nicht umsonst versuchen Hersteller wie Ford, ihr Carsharing über ihre Händler anzubieten, um die eigenen Verkaufshäuser nicht zu übergehen.

Bei Händlern mit angeschlossener Werkstatt ist auch das Elektroauto eine Bedrohung für das Geschäft. Steigt der Anteil von Elektroautos wie vorgesehen, hat das direkte Folgen für das Werkstattgeschäft. Denn die Wartungskosten die Autos mit elektrischem Antrieb sind nach IFA-Berechnungen um 35 Prozent geringer. Motoren und Getriebe sind wesentlich simpler und mit weniger Verschleißteilen konstruiert.

Alle fünf Gefahren sorgen dafür, dass die Hilferufe aus dem Industriegebiet auch in den kommenden Jahren nicht leiser werden dürften. Das Ende des Autohandels sehen die IFA-Autoren aber noch nicht gekommen. „Offensichtlich setzen die großen Automobilhandelsgruppen trotz Digitalisierung und internetbasierten Vertriebsmodellen auf den stationären Präsenzhandel“, schreiben die Wissenschaftler.

Die Digitalisierung sei für den Automobilhandel nicht nur ein Bedrohung, sondern auch eine Chance. Kunden könnten direkter und professioneller betreut werden. Die Häuser könnten sich evolutionär zum „Digital Dealer“ entwickeln – und so am Ende doch noch für die Zukunft gewappnet sein.

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