Bilanz-Manipulation Olympus-Skandal wird zur Systemfrage

Der Skandal um gefäschte Bilanzen beim Kamerahersteller Olympus weitet sich aus. Der Fall stellt mehr und mehr das System der Unternehmensführung in Japan in Frage. Wer übernimmt eigentlich wofür die Verantwortung?

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Olympus-Logo vor einer roten Ampel: Hatte der Kamera-Hersteller sogar mit der japanischen Mafia zu tun? Quelle: Reuters

Tokio Der Gang dürfte ihm schwer gefallen sein. Aber hätte er sich nicht denken können, dass ihr System irgendwann ruchbar würde? Vielleicht hatte sich Hisashi Mori, einst Vizepräsident des Kameraherstellers Olympus, aber auch nur mit den falschen Leuten eingelassen. Nun müssen er und zwei andere hochrangige Manager des Konzerns sich lästige Fragen anhören – von den Tokioter Bezirksstaatsanwälten und der Polizei.

Am Wochenende wurden Mori vernommen, Ex-Präsident und Chairman Tsuyoshi Kikukawa und Aufseher Hideo Yamada sollen folgen. Von den Gesprächen ist noch nichts publik geworden. Fest scheint jedoch zu stehen, dass die Beträge, die durch die Hand des Trios in dunkle Kanäle geflossen sein sollen, immer größer werden. Im Raum stehen mittlerweile 481 Milliarden Yen (etwa 4,6 Milliarden Euro).

Es ist eine Geschichte ganz nach dem Geschmack der Medien. Hatte die Yakuza ihre Hand im Spiel? War der bieder wirkende Kamera-Hersteller Olympus von der japanischen Mafia unterwandert? Die Vermutungen schießen ins Kraut, seit der Bilanzfälschungsskandal bei dem Unternehmen aus Tokio, das auch medizinische Hochleistungsinstrumente herstellt, ruchbar wurde. Dazu ein Ausländer, der den Stein ins Rollen brachte – und japanische Manager, die offensichtlich lügen. Für Koji Miyata ist deshalb längst klar, was passieren muss. Er will die Olympus-Mitarbeiter aktivieren, damit „das Management Woodford wieder einsetzt“, sagt Miyata. „Er war der einzige, der sich richtig verhalten hat.“

Koji Miyata war von 1995 bis 2006 Direktor bei dem bekannten Kamera-Unternehmen. Zurzeit betreibt er ein Blog, mit dem er Unterstützer für Michael C. Woodford sucht. 356 Menschen haben sich nach seinen Angabe schon dazu bereit erklärt. Woodford war bis vor kurzem CEO von Olympus, dann wurde er, nach nur sechs Monaten im Amt, gefeuert – angeblich, weil sein Management-Stil nicht den Wünschen des Aufsichtsrats entsprach. Richtiger ist wohl, dass der Brite deren ausgeklügeltes System der Verlustverschleierung nicht decken wollte. Als er Kikukawa zum Rücktritt aufforderte, wurde er kurzerhand entlassen.

Der Brite, immerhin seit 30 Jahren bei dem Unternehmen, wollte sich damit nicht abfinden – und ging an die Öffentlichkeit. Seither interessieren sich nicht nur japanische Ermittler, die Politik und Börsenaufseher für den Fall. Auch das amerikanische FBI und die britische Anti-Korruptionsabteilung sind mit im Boot, da die involvierten Firmen teilweise auch im Ausland saßen.

In dieser Woche soll Woodford zu einem Treffen mit den Behörden nach Tokio kommen. Zugleich will er sich am Freitag erneut vor Journalisten äußern.


Vieles ist noch unklar

Bislang ist nur amtlich, dass nach Angaben von Olympus Kikukawa und seine zwei Komplizen seit 1990 ein ausgeklügeltes System betrieben haben, um hohe Verluste aus Aktieninvestitionen zu verschleiern. Nach langem Bestreiten hatte Olympus-Präsident Shuichi Takayama nach der Einsetzung eine unabhängigen Kommission eingeräumt, dass Anlage-Verluste mit Hilfe von vier Übernahmen verschleiert wurden, darunter der Kauf der Medizingeräte-Herstellers Gyrus, wobei dabei über 687 Millionen US-Dollar Beraterhonorar an dubiose Firmen geflossen sein sollen. Vieles bleibt dabei aber im Unklaren, etwa wie genau die Verluste entstanden und wie hoch sie insgesamt waren.

Auch die Rolle der Wirtschaftsprüfer bleibt unklar. Bislang ist lediglich bekannt, das KPMG von 1969 bis 2008 für Olympus tätig war, das Mandat aber 2008 entzogen wurde. Danach übernahm Ernst & Young. Deren Mitarbeiter betreuen Olympus bis heute. Wie konnte es sein, dass beide Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nichts bemerkten oder Verfehlungen jedenfalls nicht öffentlich machten?

Zugleich gibt es genügend Personen, die bezweifeln, dass es allein die drei Olympus-Manager gewesen sein können, die betrügerisch hantierten. Und das mehr Geld im Spiel war. Laut der „New York Times“ gehen die ermittelnden Behörden davon aus, dass zumindest ein Teil der vermissten Beträge über Kanäle der japanischen Yakuza-Mafia gelaufen ist. Aus Unterlagen, die der Zeitung vorliegen sollen, gehe zudem hervor, dass den Ermittlern noch weitere Milliarden-Beträge verdächtig vorkommen.

So haben die Ermittler eine Summe von mindestens 481 Milliarden Yen (heute 4,6 Milliarden Euro) im Visier, die zwischen 2000 und 2009 für Übernahmen, Investments und Beraterhonorare ausgegeben worden sei. Davon seien bisher lediglich 105 Milliarden Yen in den Büchern gefunden worden.

Auch die „Financial Times“ stellt solche Mutmaßungen an und zitiert Velisarios Kattoulas von Poseidon Research, ein Institut, dass Konzerne berät im Geschäftsverkehr mit Japan und anderen asiatischen Nationen. „Der Fall Olympus weist alle Kennzeichen für finanzielle Betrügereien auf, in die das Organisierte Verbrechen bislang involviert waren“, so Kattoulas. Echte Indizien oder gar handfeste Belege hat aber auch er nicht.

Die Olympus-Offiziellen jedenfalls weisen jeglichen Verdacht, mit der Yakuza zusammengearbeitet zu haben, von sich, allen voran Präsident Shuichi Takayama. Es gebe keine Verbindungen zu „antisozialen Organisationen“, so das häufig gebrauchte Wort in Japan für die Mafia. Takayamas Problem: Er selbst sitzt schon lange auf einen Manager-Posten, und er hatte vor den Enthüllungen über den Bilanzskandal auch vehement Partei für Kikukawa ergriffen.


Olympus schädigt Japans Ruf

Insider sagen, dass der Fall Olympus vielleicht nicht unbedingt mit der Yakuza in Zusammenhang steht, die Machenschaften aber deshalb so lange unentdeckt blieben, weil es eine wirksame Corporate Governance, eine gute Unternehmensführung – und kontrolle, in Japan nicht gibt. „Es gibt niemand, der wirklich Verantwortung übernimmt“, sagt der Manager eines größeres Unternehmens hinter vorgehaltener Hand. „Verfehlungen werden gedeckt, weil man damit sicherstellt, dass man, wenn man selbst in eine höhere Position kommt, auf die Rückendeckung des anderen zählen kann.“ Das habe Woodford nicht verstanden oder nicht hinnehmen wollen. Deshalb wurde er gefeuert.

Kikukawa und Mori dagegen sind noch immer Mitglieder des Olympus-Board. Kikukawa soll vor der von Olympus eingesetzten Kommission behauptet haben, von der großen Verlustverschleierung erst lange nach der Übernahme des Präsidentenamts im Jahr 2001 erfahren zu haben.

Für den Standort Japan ist der Fall Olympus jedenfalls erheblich Ruf schädigend. So sah sich sogar der Chef der japanischen Notenbank, Masaaki Shirakawa, genötigt, fehlende Fairness des kritischen Auslands anzuprangern. „Grundsätzlich ist es sehr unglücklich und ungerecht, dass nun die Transparenz des Unternehmes-Management in Frage gestellt wird“, sagte Shirakawa. Differenzierter äußerte sich hingegen Kazuo Inamori, Japans wohl berühmtester Unternehmer und Autor zahlreicher Bücher zur Leitung von Unternehmen. In einem Exklusivinterview mit dem Handelsblatt betonte er, er glaube zwar, dass Olympus ein Einzelfall sei. „Aber wenn das im Ausland anders empfunden wird, dann sollten wir vielleicht etwas an unserer Corporate Governance ändern.“

Dem Kamera-Hersteller selbst haben die Ex-Manager Kikukawa, Mori und Yamada jedenfalls mehr geschädigt, als sie ihm genutzt haben. Seit Bekanntwerden des Skandals im vergangenen Monat ist der Aktienkurs des Unternehmens abgestürzt: Etwa 70 Prozent des Börsenwerts sind dahin.


Drohendes Delisting

Anleger hoffen nun, dass Olympus eine Einstellung der Börsennotierung (Delisting) erspart bleibt. So schrieb eine Gruppe institutioneller Anleger am Freitag einen Brief an die Börsenaufsicht. Darin betonte die Asian Corporate Governance Association, dass man die Ermittlungen gegen Olympus „voll“ unterstütze. Aber eine Delisting würde die Aktionäre „zu Unrecht bestrafen“, die schon genug unter der Affäre zu leiden hätten. Nach dem Bericht der „New York Times“ über eventuelle Mafia-Verbindungen rutschte der Kurs aber noch einmal um mehr als acht Prozent ab. Heute allerdings legte die Aktie gegen den Trend um 16 Prozent zu.

Die Groß-Aktionäre wie etwa Japans größte Finanzgruppe Mitsubishi UFJ reduzieren allerdings ihre Anteile, bei der Mitsubishi UFJ ging es von 10 Prozent auf 7,61 nach unten. Bei Nippon Life Insurance, Japans größtem Lebensversicherer, rutschte die Beteiligung an Olympus von 8,18 Prozent auf 5,11 Prozent. „Wir wollen eine umfassende Erklärung vom Olympus-Management“, sagte Nippon Life Präsident Yoshinobu Tsutsui. Wobei er zugleich seine Unterstützung für den Kamera-Hersteller betonte. Olympus, so Tsutsui, bringe weiterhin „hohe Qualität und Wettbewerbsfähigkeit“, mit.

Der Kamera- und Medizintechnik-Spezialist muss nun bis Mitte Dezember seinen Bericht für das Ende September abgeschlossene erste Geschäftshalbjahr einreichen, sonst fliegt er sowieso automatisch von der Börse. Präsident Takayama versuchte im Vorfeld aber zu beruhigen. Auch nach einer Korrektur der Bilanz haben das Unternehmen noch „genügend Cash“, so Takayama. Noch – denn noch ist der Fall Olympus nicht abgeschlossen. Wahrscheinlich hat er nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht.

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