Für einen hochrangigen Manager aus der Bilfinger-Zentrale in Mannheim ist klar, wer den kriselnden MDax-Konzern demnächst führen muss: Jürgen Klopp. Nicht der Jürgen Klopp, aber ein Jürgen Klopp. „Wir brauchen hier einen Trainer wie ihn“, skizziert der Bilfinger-Mann seinen Wunsch-Chef, „einen mit Charisma, der eine substanzielle Strategie entwickeln und zugleich ein verunsichertes Team motivieren und mitreißen kann.“ Ein Bilfinger-Team, das – wie Klopps Dortmunder Borussen in der Bundesliga – mit höchsten Ansprüchen ins Geschäftsjahr gestartet ist, um dann spektakulär abzustürzen.
Falsch ist die Parallele nicht. Bilfinger hat innerhalb der vergangenen Monate
- mit vier Gewinnwarnungen die Anleger schockiert und den Aktienkurs halbiert,
- woraufhin Hauptaktionär Cevian Vorstandschef Roland Koch in die Wüste schickte und
- Aufsichtsratschef Bernhard Walter zum Rücktritt zwang.
Und die Aussichten machen kaum Mut: „Wir werden 2015 nicht wachsen und die Marge nicht steigern können“, räumte Interims-Vorstandschef Herbert Bodner vergangene Woche ein und überlegte laut, ob die Aktionäre mit einer Dividendensenkung oder -streichung rechnen müssen.
Viel zu tun für Eckhard Cordes, seit vergangener Woche im Auftrag von Cevian neu im Aufsichtsrat und Chef des Gremiums. Er muss ein Sparprogramm aufsetzen, etliche Koch-Altlasten beseitigen und Bilfinger überzeugend neu definieren.
Schwer wird schon die Chefsuche – zumal es nicht nur um die Neubesetzung an der Spitze geht, sondern um den fast kompletten Vorstand. Denn die derzeitige Riege sei ein „Lame-Duck-Vorstand“, der keine Durchsetzungskraft mehr habe, urteilt ein ehemaliger Bilfinger-Top-Manager. Tatsächlich sind bis zu vier der fünf Vorstandsmitglieder Chefs auf Abruf:
- Koch-Vorgänger Herbert Bodner, der eigentlich Aufsichtsratschef werden sollte, leitet den Konzern nun aus der Not heraus erneut. Sein Vertrag läuft bis Ende Mai 2015. Überlegungen, ob er noch mehrere Jahre weitermacht, wischte der 66-Jährige, der erst seit 2013 im Aufsichtsrat saß, am vergangenen Mittwoch ironisch vom Tisch: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Cordes mich das fragt. Es kann ja nicht jeder so lange arbeiten wie Herr Mehdorn.“
- Finanzchef Joachim Müller muss gehen, sobald ein Nachfolger da ist. Offenbar wird ihm angelastet, dass die wahren Geschäftszahlen nur scheibchenweise bekannt wurden und zur Hauptversammlung im Mai noch alle Prognosen bestätigt wurden.
- Vorstand Joachim Enenkel hat den Bereich Power, der Dienstleistungen für Kraftwerke erbringt und dessen Lage Bodner in Sack und Asche „desaströs“ nennt, bereits an Interimschef Bodner abgeben müssen. Enenkels Abgang wird erwartet.
- Pieter Koolen zog 2013 auf dem Koch-Ticket in den Vorstand ein und blieb ein Fremdkörper bei Bilfinger. Auch sein Ressort Industriedienstleistungen floriert nicht mehr. Konzern-Insider sagen, ihn ziehe es zurück in die Niederlande.
Stabil scheint derzeit allein die Position von Jochen Keysberg, im Vorstand unter anderem für Gebäudemanagement zuständig – laut Bodner der Bereich, in dem „wir rundum erfolgreich sind“.
Bilfingers Portfolio wird neu gemischt
Cordes muss also ein Manager-Trio oder gar -Quartett gewinnen. Was das künftige Führungsteam genau tun soll, kann der frühere Daimler-, Metro- und Haniel-Manager aber derzeit nur schwer erklären. Eine neue Strategie müssen vor allem er und Aufsichtsratskollege Jens Tischendorf entwickeln. Beide sind Statthalter des schwedischen Finanzinvestors Cevian, der mehr als 25 Prozent der Bilfinger-Anteile hält. Vor allem Cordes und Tischendorf entscheiden in den kommenden Monaten über die Zukunft des Konzerns.
Dabei steht alles infrage, was Bodner in seiner langen Amtszeit von 1999 bis 2011 aufgebaut und was der frühere CDU-Spitzenpolitiker Roland Koch als Scherbenhaufen hinterlassen hat. Die Agenda für Cordes und sein bisher virtuelles Team wird diktiert von Not und Elend. Bei Energiedienstleistungen etwa gilt es, schnell festzulegen, auf welches Volumen der frühere Hoffnungsträger geschrumpft werden muss. Die Sparte leidet – auch international – massiv unter den Folgen der Energiewende. Die bisher verkündeten Sparprogramme werden nicht reichen.
Bilfinger auf Einkaufstour
Übernahme: 2012
Sparte: Industrieservice - Rohrleitungsbau, Stahlbau, Anlagenmontage
Umsatz: 150 Millionen Euro
Mitarbeiter: 1000
Übernahme: 2012
Branche: Kraftwerksplanung - Power Services
Umsatz 2010: 30 Millionen Euro
Mitarbeiter: 230
Übernahme: 2002
Sparte: Industriedienstleistungen
Umsatz: 8.500 Mio. Euro
Mitarbeiter: 732
Übernahme: 2002
Sparte: Gebäudemanagement
Umsatz: 175 Mio. Euro
Mitarbeiter 1.950
Übernahme: 2005
Sparte: Kraftwerkdienstleistungen
Umsatz: 350 Mio. Euro
Mitarbeiter: 2.700
Übernahme: 2006
Sparte: Kraftwerkdienstleistungen
Umsatz: 160 Mio. Euro
Mitarbeiter: 800
Übernahme: 2008
Sparte: Gebäudemanagement
Umsatz: 500 Mio. Euro
Mitarbeiter: 4.300
Übernahme: 2008
Sparte: Industriedienstleistungen
Umsatz: 250 Mio. Euro
Mitarbeiter: 2.200
Übernahme: 2008
Sparte: Industriedienstleistungen
Umsatz: 180 Mio. Euro
Mitarbeiter: 1.100
Übernahme: 2009
Sparte: Kraftwerk- sowie Industriedienstleistungen
Umsatz: 900
Mitarbeiter: 6.500
Übernahme: 2011
Sparte: Industriedienstleistungen
Umsatz: 60 Mio. Euro
Mitarbeiter: 1.600
Übernahme: 2011
Sparte: Gebäudemanagement
Umsatz: 40 Mio. Euro
Mitarbeiter: 110
Übernahme: 2011
Sparte: Kraftwerkdienstleistungen
Umsatz: 25 Mio. Euro
Mitarbeiter: 270
Übernahme: 2012
Sparte: Industriedienstleistungen
Umsatz: 225 Mio. Euro
Mitarbeiter: 3.200
Übernahme: Dezember 2012
Sparte: Technisches Gebäudemanagement
Umsatz: 50 Mio Euro
Mitarbeiter: 220
Übernahme: Dezember 2012
Sparte: Kraftwerks-Service
Umsatz: 60 Mio Euro
Mitarbeiter: 460
Übernahme: Januar 2013
Sparte: Wassertechnik
Umsatz: 160 Mio Euro
Mitarbeiter: 1200
Der Geschäftsführer eines der erst vor wenigen Jahren von Bilfinger zugekauften Unternehmens sagt: „Jetzt hängen wir alle an diesem Konzern und bereuen die Übernahme.“ Manchen noch jungen Bilfinger-Töchtern dürfte der erneute Verkauf bevorstehen – zu einem ungünstigen Zeitpunkt mit schlechter Performance. Die künftige Strategie wird bestimmen, welche der Unternehmen überhaupt noch zu Bilfingers Power-Bereich passen und welche nicht.
Unersetzbar werden
Ähnliches gilt für die Industriesparte. „Mehr hochwertige Dienstleistungen, die nicht ersetzbar sind“, skizziert Bodner das mögliche neue Bilfinger-Leistungsprofil. Mitglieder der Unternehmensfamilie, die nur „Allerweltstätigkeiten“ anböten, passten nicht mehr ins Portfolio, weil die Margen dabei zu gering seien. Aufgabe der neuen Vorstände wird sein, auch hier die Verkaufskandidaten zu identifizieren.
Erleichtert wird dies dadurch, dass Kochs Versuch, die rund 500 Bilfinger-Einzelunternehmen stärker zu vernetzen, kaum Erfolg hatte. „Bilfinger ist immer noch ein Sammelsurium von Divisionen und Firmen“, beschreibt der Chef einer Power-Tochter die Innen-Wahrnehmung, „ganz selten erkennt man eine Strategie darin. Jede Firma hat ihren eigenen Markt – einen gemeinsamen gibt’s nicht.“
Daher sollten sich Cordes und Co. von einer weiteren Koch-Idee verabschieden: dem teuren Aufbau einer Auftragsdatenbank, die für „verstärktes Cross-Selling“ sorgen sollte. Die Vorstellung, dass ein Kunde vom Facility Management bis zum Kraftwerksbau alles bei unterschiedlichen Bilfinger-Sparten bestellt, „ist wunderschön, aber nicht realistisch“, ätzt Bodner.
Cevian erwartet drastische Veränderungen
Ein weiterer Rohrkrepierer aus der Koch-Ära ist nach Einschätzung eines ehemaligen Top-Managers die Einführung von Repräsentanten für Weltregionen. Die bringen wenig, weil Dienstleister wie Bilfinger eher den Auftraggebern in neue Länder folgen und ihre Präsenz weiterentwickeln, als dass sie strategisch Weltregionen definieren, um dort Marktpositionen zu erobern. Die ungeliebte Auftragsdatenbank und die Regionalrepräsentanten sind Module des Koch-Programms BEST und haben „im Unternehmen keine Akzeptanz“, sagt der Ex-Manager: „Davon sollte sich die neue Führung verabschieden.“
Und eine Menge Verunsicherung in der Belegschaft muss sie ausräumen. 1250 Arbeitsplätze wollte Koch abbauen, um den zu hohen Anteil der Verwaltungskosten am Umsatz zu senken. Angesichts gesunkener Umsätze, unkt ein Betriebsrat, müsste das Verhältnis trotz des Abbaus prozentual immer noch relativ hoch sein: „Wird nun wieder mit dem Rasenmäher gespart?“
Die Fülle von Problemen muss Cordes kurzfristig und gleichzeitig angehen und wird dabei vom Erfolgsdruck getrieben, unter dem sein eigener Auftraggeber steht.
Cevian bangt um sein Geschäftsmodell
Der Finanzinvestor Cevian zählt zu den aktivistischen Aktionären. Die kaufen sich bei unterbewerteten Unternehmen ein, forcieren drastische Veränderungen und wollen so in relativ kurzer Zeit Wertsteigerungen erzielen. Normalerweise erwarten ihre Geldgeber nach 18 Monaten Resultate. Cevian ist zwar etwas längerfristiger ausgerichtet, doch nach spätestens fünf Jahren müssen sich die Investments rentieren. „Cevian steht enorm unter Druck“, heißt es in Finanzkreisen.
Mit einem Misserfolg würde Cevian nicht nur Geld verbrennen, sondern auch seinen Ruf lädieren – und sein Geschäftsmodell. Aktivisten leben davon, dass sich ihnen andere Investoren anschließen, weil die ihnen zutrauen, Unterbewertungen besser zu erkennen. Meist löst schon ihr Einstieg einen Kursanstieg aus. Ein Flop nimmt ihnen leicht die Überzeugungskraft.
Dabei gilt der ursprüngliche Plan in Finanzkreisen weiter als schlau. Die Bilfinger-Aktie galt beim Cevian-Einstieg 2011 als günstig. Schon der Verkauf der Bausparte sollte Wert schaffen. Der Deal dürfte in den nächsten Wochen abgeschlossen sein. Aber der Ertrag daraus reicht wegen des operativen Totalabsturzes nicht mehr aus.
„Mit Cordes’ Berufung hat Cevian die Macht bei Bilfinger übernommen“, heißt es in Finanzkreisen. Die Personalwechsel an der Spitze seien nur der Anfang eines größeren Umbaus. Cevian werde alles versuchen, um sein Engagement noch zu drehen – wie Jürgen Klopps Borussia bei einem fast schon verlorenen Spiel.