Chinas Provinzstädte stellt man sich irgendwie schäbig vor, mit Menschenmassen, die in heruntergekommenen Betonruinen hausen. In Chongqing sind die Wolkenkratzer modern und so zahlreich, dass sich der Besucher beinahe an Shanghai erinnert fühlt. Die 30-Millionen-Stadt, zusammen mit dem Umland so groß wie ganz Österreich, ist immer noch im Bau. Überall in der hügeligen Innenstadt röhren Presslufthämmer, Baufirmen ziehen neue Häusertürme hoch und schlagen Brücken über die Flüsse Jialing und Jangtsekiang. Mit schmucken Hotels, Einkaufszentren, Bars und Restaurants soll die Megacity für Manager aus dem In- und Ausland attraktiver werden.
Niedrige Personalkosten
Peking wünscht die Wanderung westwärts ins Zentrum. Bereits im Jahr 2000 gab die Regierung die "Go-West-Strategie" aus, mit der die zentralen, unterentwickelten Provinzen Chinas gefördert werden sollen. Im Fokus stehen Sichuan mit der Metropolregion Chengdu, die relativ autonome Stadt Chongqing, weiter nördlich Shaanxi mit der Hauptstadt Xi’an und ganz im Süden Guanxi. Neben der Infrastruktur, die alle Provinzstädte mit Pekinger Hilfe verbessern, locken die Regionen Investoren mit Steuerermäßigungen und Fördermitteln sowie niedrigem Lohnniveau und günstigen Grundstückspreisen.
Die Chancen im Westen seien immens, heißt es auch in einer Studie der Beratung EAC mit Sitz in Shanghai. Demnach sind die Personalkosten in der Region um 30 bis 40 Prozent geringer als an der gut erschlossenen Ostküste. Und während die durchschnittliche Fabrikmiete pro Quadratmeter in Shanghai bei 24,7 Yuan (rund drei Euro) liegt, sind es in Xian 15,8 Yuan und in Chongqing 12,8 Yuan.
Dennoch seien erst vier Prozent der in China registrierten deutschen Unternehmen im Landesinneren unterwegs, so EAC. Zusammen erwirtschaften diese nur vier Prozent ihres China-Umsatzes im Zentrum des Riesenlandes. Die Musik spielt weiter an der Küste, wo die logistische Anbindung durch die Nähe zu den Häfen besser ist. Die Autoren der EAC-Studie warnen ähnlich wie Berater Hällmayr: "Deutsche Unternehmen scheinen den Zug in den Westen zu verpassen."
Für Helmut Schneider gilt das nicht. Der China-Veteran ist Landeschef des Industriegaseproduzenten Messer Griesheim aus der gleichnamigen Stadt in Südhessen. In Chengdu hat er bereits investiert, als die meisten Expats die Namen der Städte in Zentralchina noch nicht richtig aussprechen konnten. "Wir bauen unsere Werke dort, wo die großen Kunden sitzen", erzählt Schneider. Damit meint er weniger deutsche Mittelständler, sondern riesige Lohnfertiger wie Foxconn aus Taiwan, die die Herstellung von Elektronik zuallererst ins günstige Landesinnere verlegt haben.
Schneider startete bereits Mitte der Neunzigerjahre mit der ersten Fabrik in Chengdu, kurz darauf folgte eine in Chongqing. Heute ist Messer Griesheim mit zehn Standorten in drei der Westprovinzen präsent und beliefert Apple-Großlieferant Foxconn mit Stickstoff und Sauerstoff - über Pipelines und in Flaschen. Solche Gase kommen als Hilfsstoffe etwa beim Löten zum Einsatz.