Brexit „Automobilbranche dürfte zu den größten Verlierern zählen“

Der Brexit rückt näher – und bei den Unternehmen auf der Insel wächst die Nervosität. Im Interview erklärt Großbritannien-Experte Thomas Kwasniok, warum der Brexit kaum ein Unternehmen verschonen dürfte.

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Neuwagen im Hafen von Sheerness (Großbritannien): Die Automobilhersteller dürften zu den größten Brexit-Verlierern gehören. Quelle: dpa

London Welche Branche ist denn Ihrer Meinung nach der größte Verlierer?
Thomas Kwasniok: Zu den größten Verlierern des bevorstehenden Brexit dürfte zum Beispiel die Automobilbranche zählen. In Großbritannien werden wesentlich mehr Autos produziert als verkauft. Für deren Export werden wohl nach dem Brexit Zölle anfallen, ebenso wie für die zahlreichen Bauteile, die zuvor für den Bau der Autos importiert wurden.

Knackpunkt in den Brexit-Verhandlungen ist aus Sicht der Unternehmen also das Thema Zölle?
Was die Unternehmen der Automobilbranche angeht, sicher. Diese hoffen, dass Großbritannien im Gemeinsamen Markt bleibt. Oder Vereinbarungen getroffen werden, die diese Zölle außer Kraft setzen.

Was ist mit dem Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit?
Das trifft den Einzelhandel stärker, der außerdem ebenfalls stark von Importen abhängig ist. Seit dem EU-Referendum geht die Zahl der zugewanderten Arbeitskräfte unterschiedlicher Qualifikationsniveaus zurück. Wenn die Einwanderung aus der EU eingeschränkt wird, bekämen Einzelhandelsunternehmen Schwierigkeiten.

Gibt es Branchen, die weniger stark unter dem Brexit leiden dürften?
Das hängt natürlich davon ab, welche Vereinbarungen für die Zeit nach dem Brexit getroffen werden. Geht man davon aus, dass keine Vereinbarung gefunden wird und die WTO-Regeln zum Einsatz kommen, wäre die Pharmabranche von Zöllen weniger stark betroffen. Auf Medikamente fallen laut WTO keine Zölle an. Hier sorgt man sich eher darum, ob Zulassungsverfahren für Medikamente zukünftig für Europa und Großbritannien separat durchlaufen werden müssen.

Also wäre auch die Pharmabranche kein wirklicher Gewinner des Brexit.
Die Unternehmen haben in den letzten 40 Jahren von der unaufhörlich fortschreitenden Globalisierung profitiert – und in Europa vom Gemeinsamen Markt. Das bedeutet Warenaustausch ohne Zölle, zu beständig sinkenden Transportkosten, ohne viel Papierkram und Wartezeiten. Sie haben Einkauf, Produktion und Absatz über Ländergrenzen hinweg verknüpft und damit hoch optimierte europäische und globale Versorgungsketten geschaffen. All das wird durch den Brexit nun in Frage gestellt. Das trifft alle Unternehmen in Großbritannien – manche mehr, manche weniger.

Es scheint zugleich, als hätte jede Branche ihre eigenen Wünsche bei den Brexit-Verhandlungen...
Selbst Unternehmen derselben Branche können unterschiedliche Bedürfnisse haben. Nehmen Sie beispielsweise Associated British Foods und Tate & Lyle. Das sind zwei britische Hersteller von Haushaltszucker. Der eine importiert Zuckerrüben aus der EU, und fürchtet den Brexit. Der andere bezieht Zuckerrohr aus Brasilien, worauf zurzeit hohe EU-Zölle anfallen, und freut sich auf WTO-Tarife.

Was raten Sie Ihren Kunden in den Unternehmen?
Die Unternehmen müssen sich umstellen. Wie genau, ist im Moment noch immer nicht klar. Viele Entscheidungen werden derzeit aufgeschoben. Denn es besteht die Gefahr, dass Unternehmen zu früh reagieren und unnötige Kosten verursachen. Warten sie jedoch zu lange, hat das auch Nachteile. Möglicherweise ist der Zulieferer, den sie als Alternative hätten haben können, dann schon für einen Wettbewerber tätig. Manager müssen von Fall zu Fall entscheiden, was zu tun ist.

In Großbritannien wird über eine Übergangsphase diskutiert. Ist das der richtige Weg?
Ich bin nicht sicher, ob das die Stimmung in der Wirtschaft verbessern würde. Eine Übergangsphase verlängert die Zeit der Ungewissheit.

Was würde den Unternehmen denn helfen?
Die Unternehmer fürchten, dass Veränderungen ab März 2019 schlagartig in Kraft treten. Deshalb wünscht sich jeder vorher Klarheit, lieber heute als morgen.

Gibt es Ihren Beobachtungen zufolge Unternehmen die hoffen, dass der Brexit noch abgesagt wird?
Das eine oder andere Unternehmen hat dieses Szenario sicher auch im Blick. Ob dies allerdings eine berechtigte Hoffnung ist, kann ich nicht beurteilen.

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