Chemie-Werk-Explosion Evonik-Unfall weckt böse Erinnerungen

Dass es in Deutschland nach Jahren wieder zu einem schweren Chemieunfall gekommen ist, gibt Sicherheitsfachleuten zu denken.

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Explosion im Chemiepark in Marl Quelle: dpa

Der vergangene Samstag brachte viel Unsicherheit nach Marl. Angst, gemischt mit Trauer um einen toten Chemiefacharbeiter, beherrschte die Stadt am Rande des Ruhrgebiets, nachdem eine gewaltige Explosion die Wochenendstille erschütterte. Am Montag wurde bekannt, dass ein zweiter Arbeiter seinen schweren Brandverletzungen erlegen ist. Bei einer Evonik-Tochter ging die Chemikalie Cyclododecatrien (CDT) mit einem Knall hoch und sorgte für pechschwarze, dichte Rauchwolken über dem sogenannten „Chemiepark“.

CDT ist  ein Zwischenprodukt, das auch in Kosmetik weiterverarbeitet wird. Das Gelände gehört Infracor, einer Betreibergesellschaft für Chemieanlagen, die zu Evonik gehört. Die Auslagerung und das Betreibermodell zeigen bereits, dass sich Evonik auf den Börsengang möglicherweise in diesem Jahr vorbereitet.  Dass es in Deutschland nach Jahren mal wieder einen schweren Chemieunfall gibt, gibt den Sicherheitsfachleuten allerdings schwer zu denken.

Das sind Deutschlands Branchen-Hauptstädte
IT und TelekommunikationAls Betreiber eines riesigen Netzwerks von Berufstätigen verfügt das soziale Online-Netzwerk Xing über statistische Daten, von deren Präzision herkömmliche Umfrageinstitute nur träumen können. Die Xing AG hat nun anhand von zehn Branchen ermittelt, in welchen deutschen Städten sich die Fachkräfte bündeln. In der Branche „IT und Telekommunikation“ liegt die Heimat der Deutschen Telekom Bonn klar auf Platz 1. In Bonn arbeiten in Relation zur berufstätigen Bevölkerung fast 50 Prozent mehr Mitglieder in dieser Branche als im drittplatzierten Hamburg, nämlich insgesamt 4,4 Prozent. Den zweiten Platz belegt München mit 4,0 Prozent Anteil der Xing-Mitglieder an der berufstätigen Bevölkerung. Quelle: dpa
DienstleistungenDie Branche der Dienstleister führt Hamburg klar an. Mit drei Prozent Anteil der Xing-Mitglieder, die in dieser Branche arbeiten, lässt die Hansestadt (München 2,5 Prozent) und Frankfurt (2,4 Prozent) hinter sich. Xing analysierte für den Branchen-Atlas nach eigenen Angaben mehr als vier Millionen deutsche Mitgliederprofile, die Aufschluss geben über die beruflichen Stationen der registrierten Fach- und Führungskräfte, Geschäftsleute und Berufstätigen. Auch die Branche und Adresse des Arbeitgebers flossen in die Bewertung mit ein. Quelle: ZB
MedienGleich mehrere Städte beanspruchen in ihrem Marketing den Titel als Deutschlands Medienhauptstadt für sich. Die Xing-Untersuchung hat ergeben: In Hamburg (4,1 Prozent) arbeiten rund ein Viertel mehr Medienschaffende als in München (3,3 Prozent) und Köln (3,0 Prozent). Berlin landet mit einem Anteil von 2,4 Prozent nur auf dem fünften Platz. Für die Studie untersuchte Xing die Anzahl der berufstätigen Netzwerk-Mitglieder, die in der jeweiligen Branche und in der jeweiligen Stadt arbeiteten. Diese Mitglieder-Zahl wurde dann relativ zur Gesamtzahl der Berufstätigen in Großstädten ab 300.000 Einwohner gesetzt - so ergaben sich schließlich die genanten Anteile. Quelle: dpa
FinanzenWenig überraschend führt Finanzzentrum Frankfurt: Etwa jeder zwanzigste Berufstätige ist hier in der Finanzbranche tätig (5,4 Prozent), mehr als doppelt so viele wie im zweitplatzierten München (2,4 Prozent) oder in Düsseldorf (2,3 Prozent). Quelle: Reuters
Verarbeitende IndustrieAutostadt Stuttgart ist die Hochburg der verarbeitenden Industrie. Sie beschäftigt mit 2,8 Prozent gemessen am Anteil an der arbeitenden Bevölkerung fast drei Mal mehr Menschen als in Köln (1 Prozent). Den zweiten Platz belegt München (2,1 Prozent). Quelle: dpa
ConsultingIn dieser Branche liefern sich München und Frankfurt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Am Ende geht der erste Platz an die bayerische Landeshauptstadt mit 2,8 Prozent Xing-Branchenanteil an der berufstätigen Bevölkerung. Frankfurt (2,8 Prozent) und Düsseldorf (2,6 Prozent) haben das Nachsehen in der Beraterbranche. Quelle: dapd
HandelHafenstadt Hamburg dominiert den Handel. Das Tor zur Welt beschäftigt mit 2 Prozent Anteil rund 40 Prozent mehr Händler als das zweitplatzierte Düsseldorf (1,4 Prozent). Hansestadt Bremen kommt mit 1,3 Prozent auf Platz 3. Quelle: dpa

Anfang der neunziger Jahre erschütterte eine Serie von Chemieunfällen den Frankfurter Vorort Höchst mit dem gleichnamigen Chemiewerk, das früher einmal zu den drei größten seiner Art ­– neben Bayer und BASF – in Deutschland gehört hat. Heute ist Hoechst in den französischen Konzern Sanofi aufgegangen. Der Verkauf der Chemie an die Franzosen war verbunden mit der Frustration des Hoechst-Managements, dass die Unfälle und der Austritt von Chemikalien direkt vor den Schrebergärten für gewaltige Schlagzeilen sorgten. Auch dieses Kapitel von Hoechst und die Verlegung der Pflanzenschutzproduktion nach Frankreich war Teil der Verkaufsbereitschaft des damaligen Hoechst-Managements.

Evonik steht zum Standort Deutschland. Man wird sehen, wie die zur Zeit in Nordrhein-Westfalen wahlkämpfende Politik den tragischen Unfall aufgreift. Die Atmosphäre in Marl war in der Bevölkerung anfangs verständlicherweise zwar von Angst erfüllt, aber Hysterie breitete sich nicht aus. Ausnahmsweise ist die Angst vor Chemiewolken kein deutsches Typikum. Auch in anderen Ländern würden pechschwarze Chemiewolken für große Beunruhigung bei den Anrainern sorgen. Man denke an die Proteste der Brasilianer bei den unkontrollierten Emissionen des brasilianischen Stahlwerks von ThyssenKrupp im vergangenen Jahr.

Schwerer wiegt da der Widerstand innerhalb der Chemielobby gegen die Neufassung der EU-Richtlinie zur „Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen“ (Seveso-III-Richtlinie) vor Monaten. Die EU-Kommission wollte die Liste der Stoffe verlängern, die als gefährlich eingestuft werden und nach Brüssel gemeldet werden sollten. Damals wetterte die Lobby der deutschen Chemieunternehmen, dass „die Novelle der Seveso-Richtlinie über das Ziel hinausschießt und besonders bei mittleren Unternehmen für erhebliche Zusatzkosten sorgen“ werde. Das Kostenargument, so zeigt das Beispiel von Marl, erweist sich  angesichts der Bilder von diesem Wochenende in der breiten Öffentlichkeit als nicht gerade zugkräftig. Die Lobby muss sich künftig etwas Neues einfallen lassen.

Apropos Seveso: Die Richtlinie in der EU erhielt ihren Namen vom italienischen Ort Seveso, in dem 1976 aus einen Industrieunternehmen dioxinhaltige Giftgaswolken entwichen und Tausende Hektar Land vergifteten. So schlimm war es in Marl wirklich nicht. Aber der  RWE-Topmanager Fritz Vahrenholt, der zur Zeit sein neues Buch über die seiner Meinung nach übertriebene Diskussion um den Klimawandel promotet, schrieb Ende der Siebziger nach dem Chemieunfall in Italien das aufsehenerregende Sachbuch: „Seveso ist überall“. Auch damals in Hoechst? Auch in Marl? Das Buch, das Alarm schlagen sollte, war natürlich ein Bestseller in Deutschland – bis heute.

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