China Warum die goldenen Jahre für deutsche Firmen vorbei sind

Unbegrenztes Wachstum in China, das war einmal: Die Konjunktur schwächelt, Reformen stagnieren, die Regierung stärkt die heimischen Konzerne. Und deutsche Unternehmen leiden. Ist das Ende der goldenen Jahre gekommen?

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Problem für deutsche Unternehmen - Chinas goldene Ära ist vorbei? Quelle: Getty Images

Die Stimmung in der kleinen Runde schwankte zwischen Wut und Ernüchterung. Hinter verschlossenen Türen tauschten sich Vertreter deutscher Mittelständler und Großkonzerne in Peking über Lage und Aussichten ihres Geschäfts aus. Vor allem der Abgesandte von Siemens habe seinem Ärger kräftig Luft gemacht, sagt ein Teilnehmer. Fast täglich sei der Konzern Hackerangriffen ausgesetzt. Egal, ob Produktion, Personal oder Vertrieb: Kein Plan sei mehr vor Datendieben sicher.

Mit seiner Wut ist der Siemens-Manager nicht allein. Die Zeiten sind vorbei, in denen China deutschen Managern als gelobtes Land und Garant für dauerhaft kräftige Zuwächse galt. Reformstau, immer neue Regulierung und eine schwächelnde Konjunktur machen viele schöne Pläne zunichte. Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China, spricht schon vom „Ende der goldenen Jahre“.

Der Frust geht durch alle Branchen. Autobauer wie VW und BMW sind nervös, weil Behörden ihnen Quoten für den Verkauf von Elektroautos vorschreiben wollen. Technologiefirmen müssen zusehen, wie Staat und Unternehmen rücksichtslos versuchen, ihr Wissen abzugreifen, um China in einen Hightechstandort umzubauen. Die Versicherer Allianz und Ergo warten seit Jahren auf die Liberalisierung des Marktes.

von Matthias Kamp, Anke Henrich, Christian Ramthun, Lea Deuber

Einige haben Konsequenzen gezogen: So machte die Deutsche Bank Ende 2016 den Verkauf ihrer Beteiligung an der Hua Xia Bank an einen chinesischen Versicherungskonzern klar. Die Hoffnungen auf eine weitere Öffnung des Bankenmarktes, die sie zehn Jahre zuvor zum Einstieg verleitet hatten, haben sich kaum erfüllt.

China-Umsatz von Siemens schrumpft

Der Abschwung wird schon in Zahlen sichtbar. Bei Siemens etwa schrumpfte der Umsatz in China im Geschäftsjahr 2016, das am 30. September endete, um satte sechs Prozent auf 6,4 Milliarden Euro. Schon 2015 waren die Erträge um vier Prozent gesunken. Während das Geschäft mit Anlagen zur Energieerzeugung und der Medizintechnik halbwegs läuft, schrumpft es bei Windkraft und Zugtechnik deutlich.

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Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Das schwächere Wirtschaftswachstum, aber auch mögliche Korrekturen am Immobilienmarkt, warnt Siemens, bergen ein erhebliches Risiko. „Der Abschwung“, heißt es im jüngsten Geschäftsbericht, „könnte sich verschlimmern, wenn es chinesischen Institutionen nicht gelingt, die staatseigenen Betriebe zu reformieren und die Wirtschaft weiter zu liberalisieren und zu öffnen.“

Auch der Industriegasekonzern Linde spürt Gegenwind. Die Nachfrage aus Stahl- und chemischer Industrie schwächelt. Zudem sind die meisten Unternehmen dieser Branchen Staatskonzerne. Die will Staats- und Parteichef Xi Jinping derzeit mit einer groß angelegten Antikorruptionskampagne von Filz und Vetternwirtschaft säubern. Aus Angst, Fehler zu machen, trifft deshalb kaum noch ein Manager eine Entscheidung. „Ausländische Unternehmen, die Staatskonzerne als Kunden haben, leiden richtig“, sagt Stefan Kracht, Geschäftsführer der Beratung Fiducia in Hongkong und Shanghai.

„Herausforderung“ für deutsche Autohersteller

Die mauen Aussichten schlagen sich in der Investitionsbilanz nieder. 2013 haben deutsche Firmen 8,2 Milliarden Euro in ihr Chinageschäft gesteckt, im vergangenen Jahr waren es nur noch 4,3 Milliarden Euro. Und der Abwärtstrend hält an. In einer aktuellen Umfrage der Deutsch-Chinesischen Handelskammer in Peking gibt die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen an, in den kommenden zwei Jahren keine Investitionen zu planen. Ein Jahr zuvor hatte der Anteil bei 40 Prozent gelegen.

An die neue Realität gewöhnen müssen sich die erfolgsverwöhnten deutschen Autohersteller. Die Zeiten traumhafter Absatzzuwächse von mehr als 20 Prozent im Jahr sind für die Deutschen längst vorbei. Inzwischen sind Daimler, BMW und VW schon zufrieden, wenn sie zwischen sechs und acht Prozent wachsen. Doch auch die wackeln. Zum Jahresbeginn hat China die steuerliche Förderung von Kleinwagen gestrichen, zudem erwägt die Regierung, den Herstellern vom kommenden Jahr an eine Mindestquote für den Verkauf von Elektroautos vorzuschreiben. Als „Herausforderung“, bezeichnete Jochem Heizmann, Chinavorstand bei Volkswagen, diese kürzlich.

China bleibt langfristig ein schwieriger Markt

Auch bei den Zulieferern mehren sich die Sorgen. „2015 war ein extrem schlechtes Jahr“, berichtet ein chinesischer Mitarbeiter von Bosch. Es sei so wenig Geld da gewesen, dass sogar die Neujahrsfeier im Februar ausfallen musste. Im vergangenen Jahr, so der Mitarbeiter, hätten sich die Zahlen ein wenig stabilisiert.

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Langfristig aber bleibt China für Bosch ein schwieriger Markt. Die Produkte der Deutschen sind inzwischen einfach zu teuer. Der Konzern aus der Nähe von Stuttgart gehört in China zwar immer noch zu den Branchenführern, aber die chinesische Konkurrenz kommt Bosch gefährlich nahe. Die Qualität der lokalen Anbieter ist zwar nicht so hoch wie die der Originalprodukte von Bosch – aber ausreichend gut und preiswert, um chinesische Kunden zufriedenzustellen. Um ihre Produkte zu verbessern, greifen die chinesischen Konkurrenten bisweilen auch zu unlauteren Mitteln. So wie der Siemens-Manager berichten auch andere Experten von nahezu täglich vorkommenden Attacken chinesischer Hacker, so auch auf Bosch oder den Halbleiterkonzern Infineon.

Die allgemeine Ernüchterung ist auch in Deutschland spürbar. Ausfuhren nach China wachsen längst nicht mehr so kräftig wie vor einigen Jahren. Betroffen ist vor allem der Maschinenbau. 2016 exportierten die Unternehmen der Branche noch Waren im Wert von knapp elf Milliarden Euro nach China, 2015 waren es noch mehr als zwölf Milliarden Euro. Besonders betroffen waren Hersteller von Werkzeugmaschinen.

Offiziellen Angaben zufolge ist Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr um 6,7 Prozent gewachsen, in diesem Jahr sollen es nach dem Willen der Regierung immerhin noch 6,4 Prozent sein. Doch die Aussagekraft des Zahlenwerks ist begrenzt. Selbst der chinesische Premierminister Li Keqiang hat bekannt, dass er sich einen Überblick über die chinesische Wirtschaft eher anhand der Indikatoren Stromverbrauch, Auslastung des Schienengüterverkehrs und Zuwachs bei Bankkrediten verschafft als anhand der Wachstumszahlen.

Die drei Indikatoren haben zuletzt zwar zugelegt. Doch das liegt vor allem an gigantischen, staatlich finanzierten Infrastrukturprojekten – und dem Immobilienmarkt. Dort wächst eine gefährliche Blase heran. Das Volumen der Baukredite wuchs 2016 um satte 50 Prozent. Langfristig stabiles Wachstum sollen eigentlich Reformen bringen, doch von dem vor etwa drei Jahren vollmundig verkündeten Programm zur weiteren Öffnung der Wirtschaft ist nicht viel übrig geblieben. Die Reformmüdigkeit beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Unternehmen, die bei deutschen Abnehmern weniger nachfragen. Aus Angst vor Protesten hat die Regierung ihr Versprechen gebrochen, die Überkapazitäten in Branchen wie der Stahlindustrie konsequent abzubauen. Die Gewinne der Hersteller schmelzen deshalb dahin, als Abnehmer deutscher Anlagen fallen sie aus.

„China first“ statt dem angekündigten freien Handel

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte Parteichef Xi leidenschaftlich für freien Welthandel plädiert: In der Praxis folgt er jedoch der Devise „China first“. So haben sich Hersteller von Windkraftanlagen wie Nordex und Repower längst wieder aus China verabschiedet, weil bei Ausschreibungen nur noch chinesische Anbieter zum Zuge kamen. Michael Clauss, deutscher Botschafter in Peking, kennt die Beschwerden deutscher Unternehmen und forderte denn auch prompt, dass Xi seinen Worten bitte schnell Taten folgen lassen soll.

Wenig mit Freihandel zu tun haben auch die strengeren Kapitalverkehrskontrollen: Ausländische Unternehmen haben zunehmend Probleme, Gewinne von China in die Heimat zu transferieren. Die Beschränkungen hat Peking eingeführt, um den Devisenabfluss zu stoppen. Weil immer mehr Chinesen das Vertrauen in die heimische Wirtschaft verlieren, versuchen sie, ihr Vermögen ins Ausland zu schaffen. Ende Dezember lagen die Devisenreserven mit drei Billionen Dollar auf dem niedrigsten Stand seit fünf Jahren. Die für Chinesen gemachten Regeln treffen auch die deutschen Unternehmen.

Mit ganz anderen Problemen durch chinesische Bürokratie kämpfen die Versicherer. Wer wie Allianz oder die Munich-Re-Tochter Ergo in China Versicherungen verkaufen will, muss sich – genauso wie ausländische Autohersteller – mit einem chinesischen Partner verbünden. Lizenzen für den Vertrieb von Policen vergibt die Regierung zudem nur für einzelne Provinzen. Seit mehr als drei Jahren darf Ergo in der Nordostprovinz Shandong Kapitallebensversicherungen verkaufen, profitabel ist der Betrieb bis heute nicht. Kürzlich erhielt das Unternehmen immerhin eine zweite Lizenz für die Provinz Jiangsu. Das Unternehmen soll überlegt haben, sich vom Chinageschäft zu verabschieden, die Pläne sind aber wohl vom Tisch.

Die Allianz will mehr machen – wird aber gebremst

„Das regulatorische Umfeld ist weiterhin herausfordernd, dabei würden wir als Ausländer gern mehr machen“, sagt Uwe Michel, der bei der Allianz das Asiengeschäft verantwortet. Der Konzern verkauft in China Lebens-, Sach- und Krankenversicherungen. Offizielle Zahlen wollen die Münchner nicht nennen. Insidern zufolge erzielt die Allianz allerdings im viel kleineren Indonesien im Lebensversicherungsgeschäft mehr als doppelt so hohe Prämieneinnahmen wie in China. Trotzdem erwirtschaftet die Allianz in China mit Lebensversicherungen im vergangenen Jahr einen kleinen Gewinn immerhin.

Generell hat sich die Gewinnsituation ausländischer Unternehmen in China verschlechtert. In einer aktuellen Umfrage der Europäischen Handelskammer in Peking geben gerade noch 24 Prozent der befragten Unternehmen an, dass ihr Chinageschäft rentabler läuft als der weltweite Durchschnitt. 41 Prozent der Unternehmen wollen deshalb in China die Kosten senken.

Um Verbesserungen zu erreichen, setzen westliche Unternehmen jetzt auf mehr Druck. Kammerpräsident Wuttke fordert genauso wie Siemens-Chef Kaeser den gleichen Marktzugang für europäische Unternehmen in China, wie ihn chinesische Unternehmen in Deutschland genießen; Botschafter Clauss verlangt in Interviews in chinesischen Zeitungen mehr Reformen, China müsse seine Versprechen halten. „Man muss viel Druck machen, um Verhaltensänderungen zu erwirken“, pflichtet eine chinesische Beraterin in Peking bei. „Druck machen“ ist für deutsche Manager aber nur eine theoretische Option: Zu groß ist die Furcht, dass dann das Geschäft leiden könnte. Häufig ist es auch die chinesische Seite, die Druck macht.

In Finanzkreisen heißt es etwa, Siemens-Chef Kaeser hätte, als die Bundesregierung einen deutschen Käufer für den Roboterbauer Kuka suchte, durchaus Interesse gehabt. Nach einem Wink, dass dies dem Siemens-Geschäft in China nicht zuträglich wäre, seien die Deutschen eingeknickt – und Kuka ging an die chinesische Midea.

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