Chinesische Übernahmen Das Reich der Mitte will nach Mitteleuropa

Hightech aus Deutschland, Geld aus China: Chinesische Investoren greifen immer häufiger nach deutschen Firmen - zum Beispiel Autozulieferer. Ein Grund für Sorgenfalten?

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Eine deutsche und eine chinesische Flagge stehen vor einer Vertragsunterzeichnung im chinesischen Hangzhou: Chinas Investoren greifen in Deutschland zu. Quelle: dpa

Damme Es riecht nach Lösungsmitteln, nach Lack, nach Gummi, es ist heiß, es ist laut. In den Werkhallen von Boge Elastmetall im niedersächsischen Damme entstehen wichtige Teile fürs Auto, mit denen sich die meisten Autofahrer nie beschäftigen, deren Defekt sie aber sofort spüren würden. Motoren und Fahrwerkskomponenten müssen sicher, aber elastisch befestigt sein, um Schwingungen nicht in die Karosserie dringen zu lassen. Zu den Kunden zählen die großen Autobauer. Jetzt haben die Chinesen dort offiziell das Sagen.

Denn der deutsche Zulieferer ZF verkaufte das Werk und seine Schwesterbetriebe an die chinesische Firma TMT. Deren Hauptaktionär ist der ebenfalls chinesische Konzern CSR, der weltweit größte Hersteller für Bahntechnik. 2013 setzt das Unternehmen 11,9 Milliarden Euro um und beschäftigt 90.000 Mitarbeiter.

Warum das Interesse an dem deutschen Unternehmen? „Unsere Teile sorgen dafür, dass es im Fahrwerk nicht klappert“, sagt Boge-Geschäftsführer Torsten Bremer. Metallhülsen, auf denen eine spezielle Gummimischung aufvulkanisiert ist - so sieht die einfachste Produktvariante aus, die je nach Typ mit Hightech aufgepeppt wird.

Der Deal: Mit Boge Elastmetall bekommen die Chinesen ein Portfolio renommierter Autokonzerne, darunter VW, Ford, Daimler, BMW, General Motors, Fiat, Chrysler, Renault und Nissan. Umgekehrt bekommt Boge bessere Wachstumschancen in China, dem wichtigsten Automarkt der Welt. Das operative Geschäft bleibt beim deutschen Management - von Damme aus werden künftig zehn Standorte mit 4000 Mitarbeitern auf allen Kontinenten gelenkt. Der Jahresumsatz für 2014 wird auf 780 Millionen Euro prognostiziert.

Ursprünglich löste der Verkaufsplan an chinesische Investoren in Damme und an den anderen Standorten in Bonn und Simmern im Hunsrück bei den Beschäftigten Alarmstimmung aus. Es gab Demonstrationen in Damme. „Hier wurden 40 000 Unterschriften gesammelt“, erinnert sich Bremer.


„Die Welt bewegt sich weiter“

„Das war eine Riesentragödie für uns alle“, sagt auch der Betriebsratsvorsitzende Antonius Thölken. Inzwischen habe sich das Stimmungsbild aber gewandelt, die Mannschaft sei motiviert. Die neuen Herren haben den gut 1800 Mitarbeitern in Deutschland eine Beschäftigungsgarantie bis 2018 gegeben - und das Versprechen, das Unternehmen weiterzuentwickeln.

Schließlich: „Eine ganze Reihe von Zulieferern sind inzwischen an Chinesen gegangen, und die Erfahrungen sind positiv“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Die Chancen, dass die neuen Investoren das Unternehmen wirklich weiterentwickeln, stünden gut. Ein positives Beispiel sei Kiekert aus Heiligenhaus, ein Zulieferer von Schlüssel- und Schlosssystemen, der 2012 vom chinesischen Autozulieferer Lingyun übernommen wurde.

Auch Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch-Gladbach sieht den Einstieg chinesischer Investoren positiv, auch wenn technisches und unternehmerisches Know-how ins Reich der Mitte fließe. Sie böten eine Perspektive für die Unternehmen. Dass die Chinesen dabei technisch aufholen, sei nicht zu verhindern. „Die Welt bewegt sich weiter.“

Bei Boge wird denn auch die Zukunft geplant. Das große Thema: Gewichtsersparnis durch Kunststoffkomponenten. Als Renner habe sich eine Pedalerie aus Kunststoff herausgestellt, die im Vergleich zu Metallpedalen bis zu eineinhalb Kilogramm Gewicht im Auto einspare, sagt Bremer: „Die gehen weg wie warme Semmeln.“ In der Entwicklung: Ein Getriebehalter aus Kunststoff soll ein Bauteil aus Metall ersetzen und die Autos leichter und sparsamer machen: Deutsche Hightech-Forschung, finanziert mit chinesischem Geld.

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