WirtschaftsWoche: Herr Stock, Sie haben sich vor einigen Tagen dafür entschuldigt, dass Grünenthal 50 Jahre lang gegenüber den Contergan-Geschädigten geschwiegen hat. Wann entschuldigen Sie sich endlich auch dafür, dass Grünenthal das Medikament überhaupt auf den Markt gebracht und dann nicht früh genug gestoppt hat?
Harald Stock: Ich habe am Wochenende an die 300 E-Mails, Briefe, SMS und Anrufe bekommen, vorwiegend von Contergan-Geschädigten. Die allermeisten fanden unseren Schritt überfällig und haben sich dafür bedankt, dass wir um Entschuldigung gebeten haben. Ich persönlich bin schon seit drei Jahren, als ich hier anfing, der Meinung, dass Grünenthal diesen Weg gehen sollte, den wir jetzt auch vollzogen haben.
Ist die Entschuldigung dafür, dass Grünenthal 50 Jahre geschwiegen hat, der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Management, Gesellschafter und Rechtsabteilung einigen konnten?
Wir haben über die Jahre gelernt, dass es dieses intensiven Dialogs bedarf, um Betroffene bedarfsgerecht zu unterstützen.
Daten und Fakten zu Grünenthal
1946
2011: 947 Mio. Euro
2010: 910 Mio. Euro
(Quelle: Unternehmensangaben)
2011: 62 %
2010: 55 %
2011: 127 Mio. Euro
2010: 344 Mio. Euro
2011: 25%
2010: 23%
2011: 4500
2010: 4900
2011: 1956
2010: 1981
Europa und Lateinamerika
Palexia, Tramal
Viele Geschädigten-Verbände klagen, dass Ihre Entschuldigung zu kurz ausgefallen ist. Werden Sie noch nachlegen?
Nein. Grünenthal hat bei der Einführung von Contergan vor mehr als 50 Jahren nach dem damaligen Stand von Wissenschaft, Zulassungspraxis und Recht verantwortungsvoll gehandelt. Dass unsere Entschuldigung nicht überall positiv aufgenommen wurde, liegt in der hohen Emotionalität begründet. Wir werden es nie allen recht machen können. Und wir können uns nur für etwas entschuldigen, wenn wir glauben, auch schuldig zu sein beziehungsweise bei der Entwicklung und Vermarktung von Contergan nach damaligem Ermessen fehlerhaft gehandelt zu haben.
Es gab damals doch Tests, um die fruchtschädigende Wirkung nachzuweisen.
Das stimmt nicht. Es gibt bis heute keine Tests, die die fruchtschädigende Wirkung von Arzneimitteln verlässlich nachweisen. Es gab auch keine geeigneten Labortierversuche, die wir hätten anwenden können. Es hat sich erst nach der Tragödie herausgestellt, dass nur durch Tests an dem weißen Neuseeländer Kaninchen eine fruchtschädigende Wirkung des Wirkstoffs Thalidomid nachgewiesen werden konnte.
Das sehen Kläger in Schadensersatzprozessen etwa in den USA und Australien gegen Grünenthal anders. Sie haben doch nur Angst, Millionen zahlen zu müssen, wenn Sie sich entschuldigen.
Zu den laufenden Verfahren möchte ich nichts sagen.