Doch generell können sich die Europäer in ihrer Wohlfühl-Oase auch nicht länger auf den Weltpolizisten aus Amerika verlassen. Denn auch dort sinkt die Unterstützung für Militäreinsätze unaufhörlich – wenigstens ihre eigene Nachbarschaft, so die Meinung in Washington, sollen die Europäer selbst in Ordnung halten.
So gesehen müsste die Devise lauten: Ran an die Gewehre! Auch die Deutschen müssen wieder lernen, Geopolitik mitzugestalten. Sie müssen wehrfähig sein und willens, Sicherheitspolitik zu gestalten.
Die heißen Eisen unter den Rüstungsprojekten der Bundeswehr
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich zum Ziel gesetzt, im Rüstungssektor der Bundeswehr aufzuräumen. Jahrelange Verzögerungen und Kostensteigerungen im mehrstelligen Millionenbereich soll es künftig nicht mehr geben. An diesem Donnerstag lässt sich die Ministerin bei einer Sitzung des Rüstungsboards über den aktuellen Stand bei einigen Großprojekten informieren. Hier fünf der heißesten Eisen unter den 1200 Rüstungsprojekten der Bundeswehr.
Die in absehbarer Zeit wichtigste, teuerste und heikelste Entscheidung will von der Leyen bis Mitte des Jahres treffen. Die Bundeswehr soll ein neues Raketenabwehrsystem erhalten. Zur Auswahl stehen „Meads“ – eine internationale Entwicklung unter Beteiligung der deutschen Raketenschmiede MBDA – und eine neue „Patriot“-Version des US-Herstellers Raytheon. In die Entwicklung von Meads floss bereits eine Milliarde Euro deutscher Steuergelder. Die Anschaffung würde mehrere weitere Milliarden kosten.
Die Aufklärungsdrohne hätte von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) fast das Amt gekostet. Wegen massiver Probleme bei der Zulassung des unbemannten Fliegers für den deutschen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion wurde die Entwicklung im Frühjahr 2013 gestoppt. Seitdem wird nach einem anderen Flugzeug gesucht, in das die von Airbus stammende Aufklärungstechnik eingebaut werden kann. Derzeitiger Favorit: Eine Schwester-Drohne des „Euro Hawk“ namens „Triton“.
Von der Leyen will die Bundeswehr mit bewaffnungsfähigen Drohnen ausrüsten. Zur Auswahl stehen eine US-Drohne, die „Reaper“ (Sensenmann) oder „Predator B“ (Raubtier) genannt wird, und „Heron TP“ (Reiher) aus Israel. Die Entscheidung wird noch vor Ende des Jahres erwartet.
Mit vier Jahren Verspätung lieferte Airbus Mitte Dezember das erste Transportflugzeug vom Typ A400M an die Bundeswehr aus. Das bedeutet aber noch nicht das Ende der Verzögerungen. Wieviele der fünf für dieses Jahr versprochenen Maschinen tatsächlich am niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf landen werden, ist noch völlig unklar. Der A400M bleibt ein Problemfall.
Auch mit kleineren Waffen gibt es große Probleme. Seit vielen Monaten wird über die Treffsicherheit des Standardgewehrs der Bundeswehr G36 diskutiert. Große Hitze verträgt die Waffe nicht besonders gut. Ein neuer Prüfbericht soll in den nächsten Wochen Klarheit darüber bringen, wie gravierend das Problem ist.
Tatsächlich verspricht Ministerin von der Leyen „mehr Verantwortung“ der Deutschen in der Welt: Im Gleichklang mit Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) orchestrierte sie dieses Versprechen auf der Münchner Sicherheitskonferenz des Jahres 2014 – unter großem Beifall gerade westlicher Außen- und Sicherheitspolitiker wie etwa Polens Parlamentspräsident und künftiger starker Mann Radoslaw Sikorski, die das schon seit Jahren fordern.
Inhalte des "Weißbuches" bisher immer sehr schwammig
Nur ist bis heute unklar, was „Verantwortung“ in der Praxis bedeuten soll und wie sich die Bundeswehr auch bei der Beschaffung darauf einstellen kann. Erst seit Mitte Februar tagt unter von der Leyen eine Arbeitsgruppe, die unter Einbeziehung von externen Experten bis 2016 ein neues „Weißbuch“ erstellen soll: eine Selbstbeschreibung der Bundeswehr und ihrer Aufgaben.
Braucht die Bundeswehr mehr Geld?
Die Bundesregierung hat bisher nicht vor, die Finanzmittel für die Bundeswehr wesentlich aufzustocken. Im Haushaltsplan für 2015 gehört der Verteidigungsetat zu den wenigen Posten, bei denen gekürzt wurde - wenn auch nur um 0,5 Prozent. Bis 2018 ist eine leichte Steigerung von 32,3 auf 36,86 Milliarden Euro vorgesehen. Angesichts der Ausrüstungslücken bei der Bundeswehr wird jetzt der Ruf nach einer deutlich stärkeren Erhöhung lauter. Was spricht dafür und was dagegen?
Quelle: dpa
Deutschland will mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Bei den Verteidigungsausgaben liegt es aber weit hinter den wichtigsten Nato-Partnern zurück. Während der Bundesregierung Armee und Ausrüstung nur 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wert sind, investieren die USA 4,4 Prozent in ihr Militär, Großbritannien 2,4 Prozent und Frankreich 1,9 Prozent. Erklärtes Nato-Ziel ist es, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben. Das bekräftigte das Bündnis auch bei seinem Gipfeltreffen in Wales Anfang September - mit dem Einverständnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Zumindest bei der Beschaffung von Ersatzteilen gibt es eine Finanzlücke. Die Mittel dafür wurden 2010 gekürzt. Militärs beklagen, dass die Bundeswehr heute noch darunter zu leiden hat.
Auf die Bundeswehr kommen immer wieder neue Aufgaben hinzu. Die Nato will ihre Reaktionsfähigkeit im Krisenfall verbessern. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wird möglicherweise noch Jahre dauern. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat den Vereinten Nationen auch ein stärkeres Engagement Deutschlands bei Blauhelmeinsätzen in Aussicht gestellt. Das alles geht nicht ohne modernes, robustes und gut gepflegtes Material.
Die Bundeswehrreform wurde nach dem Prinzip „Breite vor Tiefe“ entworfen. Das heißt: Die Truppe soll alles können und braucht dafür in jedem Bereich die entsprechende Ausrüstung. Das kostet. Bleibt man bei diesem Prinzip, muss auch Geld dafür zur Verfügung gestellt werden.
Das Rüstungsproblem der Bundeswehr ist nicht in erster Linie ein finanzielles Problem, sondern ein Managementproblem. Das macht sich schon daran bemerkbar, dass im vergangenen Jahr insgesamt 1,5 Milliarden Euro des Verteidigungsetats gar nicht ausgeschöpft wurden.
Das Prinzip „Breite vor Tiefe“ widerspricht den Bestrebungen von Nato und EU, innerhalb der Bündnisse Aufgaben zu teilen. Diese Bemühungen kommen bisher allerdings nur schleppend voran. Man könnte sich stärker dafür einsetzen, um zu einem effizienteren Rüstungssektor zu kommen.
Je mehr verschiedene Militärgeräte es gibt und je geringer die Stückzahlen, desto größer ist auch der Wartungs-, Instandhaltungs- und Ausbildungsaufwand. Deswegen könnte eine stärkere Spezialisierung der Bundeswehr Kosten sparen.
Bei der Beschaffung neuer Rüstungsgüter kommt es regelmäßig zu Verzögerungen und Kostensteigerungen, denen man durch ein besseres Vertragsmanagement entgegenwirken kann. Nur einige Beispiele: Der Kampfhubschrauber „Tiger“ sollte im Dezember 2002 ausgeliefert werden. Daraus wurde Juli 2010. Auf den Transporthubschrauber NH90 musste die Bundeswehr sogar neun Jahre länger warten als ursprünglich vorgesehen. Die Kosten für die Fregatte 125 haben sich im Laufe der Entwicklung von 656 Millionen auf 758 Millionen Euro erhöht. Der Preis für ein Transportflugzeug A400M stieg wegen einer nachträglichen Reduzierung der Stückzahl von 124,79 auf 175,31 Millionen Euro.
Bisherige Weißbücher wie jenes von Vor-Vor-Vor-Vorgänger Rudolf Scharping (SPD) krankten stets daran, dass die Inhalte bewusst schwammig formuliert waren: „Die deutsche Politik scheut sich, die Interessen des Landes klar zu definieren“, sagt ein Insider, „denn so schaffen sich Politiker mehr Spielraum, um sich je nach Wähler-Stimmung der internationalen Verantwortung zu entziehen.“ Es spricht nichts dafür, dass die Autoren in der Stauffenbergstraße diesmal klar Position beziehen.
Beschaffungen widersprechen Aufgaben
Dabei gäbe es wahrlich eine Menge zu tun. Denn wenn es um ihre Aufgaben und Fähigkeiten geht, steckt die deutsche Armee voller Widersprüche – wie sich insbesondere anhand der vogelwilden Beschaffungspolitik der vergangenen Jahre zeigt: Die Luftwaffe sollte im Nato-Verbund zuletzt nie kämpfen, sondern eher aufklären und transportieren.
Doch statt bei der Beschaffung von Drohnen und Transportern aufs Tempo zu drücken, bestellte man Hunderte „Eurofighter“, einen klassischen Bomber. Die Marine sieht die Sicherung von Lieferwegen als Kernaufgabe, doch zwei der vier U-Booten sind mangels Personal nicht einsatzbereit.
Und das Heer soll sich künftig fernhalten von Kampfeinsätzen mit schweren Gefechten, doch ausgerechnet nach dem Ende des Afghanistan-Mandats entbrennt die Debatte um die Anschaffung eines Gewehrs, das stundenlangen Belastungen besser standhalten soll als das sonst erprobte G36. Verkehrte Welt.
Statt eine klare Marschrichtung festzulegen, neigt von der Leyen zum Aktionismus. Die Anschaffung von Radpanzern des Typs „Boxer“ und neuen Kampfpanzern der Reihe „Leopard II“ verkündigt die Behörde – lange bevor das „Weißbuch“ steht und klar ist, wozu sie gebraucht werden.
„Offensichtlich treibt die Tagespolitik das Verteidigungsministerium so sehr vor sich her, dass man sich immer häufiger zu Schnellschüssen genötigt fühlt“, sagt Christian Mölling, Verteidigungsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Dabei ändere sich die sicherheitspolitische Lage im Moment so rasch, dass man lieber die Inhalte des Weißbuchs abwarten – und daraus die nötigen Schlüsse für die Beschaffungspolitik ziehen sollte.