Debatte um G36 Was unsere Bundeswehr künftig können muss

Die Bundeswehr macht offiziell, dass das G36 im Dauereinsatz nicht präzise trifft. Die Scheindebatte lenkt von den Fragen ab, was die Armee in Zukunft können muss und warum Ministerin von der Leyen in Deckung geht.

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Armee mit Schrott
Helme der Bundeswehr Quelle: dpa
Der Puma-Panzer ist nicht zu bremsen Quelle: dpa
Eine Rekrutin der Bundeswehr sichert auf einem Truppenübungsplatz eine Patrouille. Quelle: dpa
Mitte September 2014 sorgte diese Panne für Aufsehen und lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit nach längerer Zeit wieder auf die Ausrüstungsmängel bei der deutschen Bundeswehr: Weil die Transall-Maschinen der Bundeswehr technische Defekte aufwiesen, konnten die Ausbilder, die kurdische Peschmerga-Kämpfer bei ihrer Arbeit gegen den radikal islamischen IS im Irak vorerst nicht zu ihrer Mission aufbrechen. Sie mussten die Maschinen auf dem Militärflugplatz Hohn wieder verlassen. Es ist die jüngste, aber bei weitem nicht die erste Blamage in Sachen Bundeswehrausrüstung. Quelle: AP
Wie jetzt durch einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ bekannt wurde, gab es auch bei den Bordhubschraubern vom Typ Sea Lynx der Marine erhebliche Ausfälle. Von 22 Maschinen sei keine einzige einsatzbereit, so das Blatt, was sich nach dem der „SZ“ vorliegenden internen Dokument 2014 auch nicht mehr ändern werde. Im Juni wurde demnach in einem Modell einer Fregatte ein 20 Zentimeter langer Riss entdeckt, woraufhin der komplette Betrieb mit dem Modell zunächst eingestellt wurde. Wohl zu Recht: Danach wurden an drei weiteren Hubschraubern ähnliche Schäden gefunden. Quelle: dpa
Bereits im August gab es Berichte über nur bedingt einsatzfähiges Bundeswehrmaterial. So meldete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter Berufung auf ein internes Dokument des Verteidigungsministeriums, von den hier Schau fliegenden Kampfjets des Typs Eurofighter seien nur acht von 109 Maschinen voll einsatzbereit. Von 67 CH-53-Transporthubschraubern konnten demnach im August ebenfalls nur sieben in die Lüfte gehen. Quelle: dpa
Und auch die Bundeswehrhubschrauber vom Typ NH-90 glänzten nicht gerade mit Bereitschaft: Laut „Spiegel“ waren im Sommer nur fünf von 33 voll intakt, während unter den Transall-Maschinen des Typs C-160 auch damals nur 21 flugtüchtig waren. Quelle: dpa

Es war kurz nach Mittag am bis dahin geruhsamen Karfreitag des Jahres 2010, als Soldaten der Bundeswehr in eines der schlimmsten Gefechte des Afghanistan-Einsatzes gerieten: Unweit des Flusses Kunduz attackierten ein paar Dutzend Taliban-Kämpfer einen deutschen Konvoi – und nahmen ihn stundenlang unter Feuer. Die Fallschirmjäger schossen mit Gewehren vom Typ G36 zurück. Drei Soldaten kamen in diesem Hinterhalt ums Leben, fünf wurden verletzt.

Mit ihrem Standardgewehr konnten die Deutschen den Gegner nicht bezwingen; erst die einbrechende Dämmerung konnte dem Blutbad ein Ende machen.

Präzisionsprobleme im Dauereinsatz

Fünf Jahre nach dem „Karfreitags-Gefecht“ kommt heute die Aufarbeitung zum Abschluss. Nicht die des Angriffs als solchem, sondern die zur Rolle des Gewehrs G36. Denn im Einsatzbericht jenes Karfreitags berichtete ein Truppführer zum ersten Mal, dass die Waffe bei Erhitzung infolge eines Dauereinsatzes offenbar an Präzision verliert. Seither setzte die Bundeswehr zunächst auf härtere Geschosse.

Inzwischen aber wachsen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Waffe generell: In einem Schreiben an Kommandeure warnte Generalinspekteur Volker Wieker, die Präzisionsprobleme seien „signifikant größer als bei untersuchten Vergleichswaffen“. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) informierte proaktiv über die Probleme und schließt nicht einmal mehr den Austausch der 176.000 Gewehre im Bestand der Bundeswehr aus!

Die Debatte um das G36

Jahrelang schaffte es das Militär, die Probleme geheim zu halten. Erst Untersuchungen gaben der verwendeten Munition Schuld an den Präzisionsproblemen. Eine Initiative zur Verbesserung des Gewehres wurde im vergangenen Jahr zurückgestellt, um die Ergebnisse einer weiteren Untersuchung abzuwarten, meldet die „Süddeutsche Zeitung“.

Jetzt befeuert das Ministerium einen Skandal, der dem Hersteller Heckler & Koch (HK) einen empfindlichen Imageschaden beibringen könnte. Dort weist man fast hysterisch die Vorwürfe zurück, denn ein Einsatz im Dauerbetrieb sei schon bei der Bestellung nie Teil des Anforderungsprofils gewesen.

Was Fachleute wie Florian Jordan ähnlich sehen: „Es gibt weltweit keine vergleichbare Handwaffe, deren Treffsicherheit bei starker Erhitzung infolge stundenlanger Belastung nicht nachlässt“, sagt der Sicherheitsexperte der Münchner Unternehmensberatung h&z, ein ehemaliger Elite-Soldat.

Die Gewehre von HK seien jedenfalls „der Goldstandard“, urteilt Jordan. Wenn man die Leistung noch weiter verbessern wolle, müsse man die Anforderungen definieren – und dem Hersteller viele Millionen Euro für die Materialentwicklung bewilligen. Undenkbar!

Die Aufgabe der Bundeswehr ist unklar

Im Grunde genommen handelt es sich beim „G36-Skandal“ ohnehin um eine Scheindebatte, die von weitaus größeren Problemen ablenkt: Der Bundeswehr fehlt die Strategie, was deutsche Soldaten können und leisten sollen: Kampfeinsätze am Hindukusch? Friedenssicherung in Afrika? Terrorismusbekämpfung in Nahost? Die Sicherung von Lieferwegen der deutschen Wirtschaft? Alles? Oder doch zurück zur Landesverteidigung gegen den imaginären Feind Rotland, der sich aus Richtung Osten „über freie Pläne“ nähert und jahrelang von Wehrpflichtigen mit Platzpatronen beschossen wurde.

All diese Fragen verlangen Antworten, die der Möchtegern-pazifistische deutsche Michel gar nicht hören will. Denn sie laufen auf die bittere Einsicht hinaus, dass sich die Bundesrepublik gerade als Führungsmacht in Europa nicht länger abschotten kann in einer Welt, die permanent gefährlicher wird. Wenn im Osten eine Atommacht willkürlich Grenzen verschiebt und der Terrorismus südlich von Europa gar keine Grenzen kennt, geraten rasch auch deutsche Handelswege und Investitionen in Gefahr.

Den neuen Bedrohungen muss sich auch Deutschland stellen. Im Idealfall könnten sich die Bundeswehr und andere Armeen im Rahmen einer europäischen Verteidigungspolitik spezialisieren – indem die Deutschen die U-Boote schicken, um Flugzeugträger der Briten zu sichern.

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