Deutsche Firmen in Ost-Ukraine Unbedingt normal wirken

Gereizt, wortkarg oder demonstrativ um Normalität bemüht, geben sich deutsche Unternehmen mit Aktivitäten in der Ost-Ukraine. Es sind ohnehin nicht viele deutsche Unternehmen, die sich mit ihren Vetriebsbüros oder Fabriken im Ostteil des Landes angesiedelt haben. In der Regel werden ukrainische Kunden von Russland aus oder aus der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew bedient.

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Die Unruhen in der Ukraine haben die deutschen Unternehmen bisher nicht betroffen, aber das kann sich bald ändern Quelle: REUTERS

Nicht so beim Münchner Technologiekonzern Siemens, der sein wichtigstes und größtes Büro in der Ukraine in der Krisenregion Donezk betreibt. Rund 150 der insgesamt 260 Mitarbeiter in der Ukraine sitzen in der Bergbaustadt im Osten des Landes. Die Siemens-Mannschaft in Donezk kümmert sich vor allem um den Verkauf von Anlagen an die metallverarbeitende Industrie in der Region. Doch Siemens ist im Osten der Ukraine auch mit den Sparten Medizintechnik, Energie und Infrastruktur aktiv. „Im Moment ist die Situation bei uns in Donezk ruhig“, sagt ein Siemens-Manager in der Ukraine. „Unsere Leute gehen normal zur Arbeit.“ Im Geschäftsjahr 2013 erzielten die Münchner in der Ukraine einen Umsatz von 90 Millionen Euro.

Sanktionen könne auch deutsche Unternehmen treffen

Etwa 100 Kilometer nördlich von Donezk in der Stadt Kharkov produziert der deutsche Gasehersteller Messer aus Bad Soden im Taunus mit gut 100 Mitarbeitern Sauerstoff, Stickstoff und Argon. Kunden sind die metallverarbeitenden Betriebe in der Region. Eingestiegen in das Geschäft mit Industriegasen in der Region Donezk ist Messer schon vor zehn Jahren. Damals kauften die Deutschen drei Luftzerlegungsanlagen. Wegen der unsicheren Lage musste Messer zuletzt die Produktion drosseln. Einerseits hat eine Reihe von Fabriken, die Messer beliefert, ihre Fertigung heruntergefahren. Außerdem haben die Russen zeitweilig die Grenze dicht gemacht, so dass die Deutschen ihre Kunden in Russland nicht beliefern konnten. Inzwischen jedoch hat sich bei Messer die Situation beruhigt. „Jeder Mitarbeiter geht geregelt seiner Arbeit nach“, sagt Gerhard Weiss, Geschäftsführer bei Messer in der Ukraine.

Der in Düsseldorf ansässige Schwermaschinenbauer SMS-Group, bestätigt zwar widerwillig in der Ost-Ukraine ein Vertriebsbüro für seine ukrainischen Kunden zu betreiben, möchte sich aber weder zu Details wie der Zahl der Mitarbeiter und eventueller Maßnahmen für deren Sicherheit äußern. Wenn sich die Situation weiter verschärfe, werde man Maßnahmen einleiten, sagt ein Sprecher, ohne auf Details einzugehen.

Nahezu ohrenbetäubend ist das Schweigen beim bayerischen Baustoffhersteller Knauf aus Iphofen bei Würzburg. Das Familienunternehmen lehnt jegliche Stellungnahme zu seinen Aktivitäten in der Ukraine und das Ausmaß einer möglichen Bedrohung ab. Ebenfalls verstummt ist Peter Mrosik, Chef des Fensterprofileherstellers Profine aus Troisdorf bei Bonn. Vor drei Wochen noch hatte Mrosik mögliche Sanktionen gegen Russland kommentiert: „Sanktionen rufen Gegensanktionen hervor. Deshalb ist es denkbar, dass deutsche Firmen wie wir darunter leiden werden.“ Nachdem sich die Lage nun zuspitzt, schweigt auch Mrosik. Profine baut in Zaparozhe, rund 300 Kilometer entfernt von Donezk, Fensterprofile und beschäftigt dort 60 Mitarbeiter in der Produktion und Logistik.

Bisher kein Einfluss durch die Konflikte

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Auch für den Heidelberger-Zementkonzern HeidelbergCement ist die Ukraine ein wichtiger Standort.  HeidelbergCement betreibt dort zwei Zementwerke, beide im derzeit umkämpften Osten des Landes, in den Industrieregionen um die Städte Donezk und Dnipropetrovsk. Die Kapazität der Werke von jährlich 5,2 Millionen Tonnen entspricht etwa vier Prozent der weltweiten Kapazität des Unternehmens. Die Ukraine ist also ein wichtiger Produktionsstandort. Die Fördermengen dort stiegen im vergangenen Jahr leicht. Laut Geschäftsbericht haben die Heidelberger 14 Millionen Euro Eigenkapital in Tochtergesellschaften in der Ukraine investiert, die vorwiegend im Osten des Landes angesiedelt sind.  

Bisher sei die die Auslastung der drei Werke gut, sagt ein Konzernsprecher. „Wir spüren derzeit keinen Einfluss auf unser operatives Geschäft. Wir beschäftigen lokale Mitarbeiter vor Ort, die bisher von den Ereignissen nicht betroffen sind. Wir haben nur drei deutsche Expats in der Ukraine, sie sind alle noch vor Ort.“ Sollte sich die Situation verändern, liegt bei den Heidelbergern ein Notfallplan in der Schublade. Die verantwortlichen Manager würden die aktuellen Entwicklungen sehr genau beobachten, heißt es.  „Denn das Wohl aller unserer Mitarbeiter steht bei allen Entscheidungen an erster Stelle. Wir sind auch in engem Kontakt mit den lokalen Behörden und Verbänden.“

Da HeidelbergCement auch in Russland produziere, sei dem Unternehmen weiterhin an einem friedlichen Miteinander gelegen, so wie es die Mitarbeiter der beiden Länder bisher untereinander praktiziert hätten. „Wir können nur die Ruhe bewahren und weiterhin einen engen Kontakt zu unseren Managern vor Ort halten, um die Lage so realistisch wie möglich einschätzen zu können. Eines aber ist sicher: Alle unsere Mitarbeiter – Ukrainer wie Russen – sind an einer friedlichen Lösung des Konflikts interessiert.“

Auch der Automatisierungsspezialist Festo aus Esslingen bei Stuttgart ist seit über 25 Jahren in Russland und der Ukraine  tätig. „Wir machen uns hier ständig ein aktuelles Bild und reagieren situativ auf die veränderten Rahmenbedingungen vor Ort. Dabei haben wir die Sicherheit und das Wohlergehen unserer 170 Mitarbeiter im Werk in Simferopol im Fokus“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. „Während die Produktion  in unserem Werk in Simferopol unterbrochen war, konnte durch eine weltweite Parallelproduktion in anderen Werken die 100 prozentige Lieferfähigkeit trotzdem sichergestellt werden.“

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