Dieselgate „Die Strafen für VW hätten viel geringer ausfallen können“

New-York-Times-Autor Jack Ewing spricht mit dem Handelsblatt über sein neues Buch, den Neustart bei VW und die Zukunft der Diesel-Technologie. Und er erklärt den größten Fehler von Europas größtem Autobauer.

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Der Wirtschaftsjournalist arbeitet seit 2010 für die New York Times. Quelle: Screenshot

Frankfurt Das Buch ist nur der Anfang. Jack Ewing, Journalist der „New York Times“, hat den Diesel-Skandal gecovert und die Rechte an seinem neuen Werk, „Wachstum über alles“ an die Produktionsfirma von Leonardo DiCaprio, Appian Way, verkauft. Wer darin die Rolle von Martin Winterkorn übernehmen wird, ist allerdings noch offen.

Herr Ewing, in Ihrem Buch analysieren Sie aus einer amerikanischen Perspektive die Gründe für den Diesel-Skandal. Was war Ihrer Ansicht nach der größte Fehler von VW?
Jack Ewing: Die Software in die Autos einzubauen, ist natürlich das eine. Aber VW hätte sich viel Ärger erspart, wenn der Konzern anders mit den Aufsehern umgegangen wäre. Ich denke, das war der größte Fehler und er spiegelt eine gewisse Arroganz gegenüber amerikanischen Regeln und den möglichen Folgen einer Missachtung wider. Hätte VW schon 2014, als klar wurde, dass die kalifornische Umweltbehörde Carb tiefere Untersuchungen starten würde, die Sache zugegeben, wären die Strafen viel geringer ausgefallen. „Wir haben es vermasselt“, das räumte der damalige US-Chef Michael Horn vor dem US-Kongress ein. Aber es war eineinhalb Jahre zu spät.

General Motors ist 2015 mit einem Skandal um defekte Zündschlösser deutlich günstiger weggekommen. Obwohl es dabei auch Todesfälle gab. Das stieß in Deutschland oft auf Unverständnis.
General Motors hat es richtig gemacht. Als sie merkten, dass sie ertappt wurden, haben sie sofort umgeschaltet, dem Justizministerium Zugang zu sämtlichen Daten gegeben und den Fall schnell aufgeklärt. Damit konnten sie bei den Behörden punkten. Bei VW gingen die Regulierer lange davon aus, dass es ein technisches Problem sei. Als sie dann herausfanden, dass sie die ganze Zeit absichtlich von den Wolfsburgern hingehalten wurden, waren viele extrem wütend.

Matthias Müller hat als neuer Volkswagen-Chef einen Kulturwandel versprochen. Jetzt ist er selbst Teil der Ermittlungen. Kann so ein Neustart gelingen?
Ich glaube nicht, dass ein Neustart mit der gleichen Gruppe von Leuten gelingen kann. Der Konzern braucht Manager von außen, die von dem Skandal komplett unberührt sind. Natürlich gibt es keine klaren Beweise, die zeigen, dass Müller etwas davon wusste. Aber er war die ganze Zeit im Konzern, als es losging war er Leiter der Produktplanung. Es wird einfach immer weiter störende Nachrichten generieren. Wäre Müller nicht mehr bei VW gewesen, als sie Staatsanwaltschaft sein Büro durchsuchte, wäre das kein großer Aufreger mehr gewesen. Aber so schadet es dem Konzern viel mehr.

Christine Hohmann-Dennhardt kam von Daimler als Vorstand für Integrität und Recht zu VW…
….und hat es ein Jahr ausgehalten. Außenseiter scheinen sich bei VW schwer zu tun. Sicher, Matthias Müller ist vom Temperament her anders als sein Vorgänger Martin Winterkorn. Auch kann er besser delegieren. Aber man braucht eine klare Zäsur. Das war bei Siemens nach dem Korruptionsskandal auch so. Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld mussten gehen. Das war schmerzhaft, aber der Skandal war auch relativ schnell wieder vergessen.

Sie wundern sich in Ihrem Buch darüber, dass es all die Jahre keine Whistleblower gab. Was schließen Sie daraus?
Das zeigt uns, was für eine Kultur dort herrschte. Wir wissen, dass einige Mitarbeiter sehr beunruhigt über die Vorgänge rund um die Abgas-Manipulationen waren. Aber innerhalb des Konzerns gab so recht niemanden, der ihre Belange ernst genommen hätten. Schon nach vorherigen Skandalen, zum Beispiel um die Lustreisen nach Brasilien, wurde nie richtig aufgeräumt. Das Signal, das die Mitarbeiter bekamen, war nicht: Wir müssen ethisch handeln. Sondern: Wir müssen unsere Ziele erreichen, egal wie.

VW hat in den USA zwar als Konzern eine Einigung erzielt, die Ermittlungen gegen Einzelpersonen gehen weiter. Wie motiviert ist die Trump-Regierung den Fall weiter voranzutreiben?
Ich glaube nicht, dass sich die US-Behörden für irgendeinen Ingenieur in Deutschland interessieren. Sie wollen herausfinden, wie weit oben die Manipulationen angesiedelt waren und dann die Verantwortlichen gegebenenfalls zur Rechenschaft ziehen. Gäbe es zum Beispiel genug Beweise, um Martin Winterkorn zu verklagen, dann würden sie es sicherlich tun.

Auch nach über 20 Milliarden Dollar an Strafen, hat der Konzern zuletzt Gewinn gemeldet. Wo steht VW heute?
Ich bin da eher pessimistisch. Denn die Autoverkäufe sind zuletzt auch zurückgegangen, bei Volkswagen und bei Audi, übrigens. Und der Skandal hat die Diesel-Technologie an sich in ein schlechtes Licht gerückt, die für VW sehr wichtig war. Gleichzeitig drängen neue Anbieter wie Tesla auf den Markt. Tesla hat an der Börse gerade erst Ford eingeholt. Und dann gibt es noch die großen IT-Konzerne wie Apple und Google, die künftig auch stärker mitmischen werden. VW hätte die Strafzahlungen bestimmt lieber in Forschung und Entwicklung investiert.

In Ihrem Vorwort sorgen Sie sich um das Qualitätssiegel „Made in Germany“. Anderen Autobauern wie BMW und der deutschen Wirtschaft als Ganzes geht es auch knapp zwei Jahre nach dem Skandal erstaunlich gut. Waren Sie da zu pessimistisch?
Das ist nichts, was sich sofort quantifizieren lässt. In den USA denkt man ohnehin eher an Daimler und BMW, wenn es um deutsche Ingenieurskunst geht. Aber was ist mit China oder Europa? Wir müssen also noch etwas abwarten.

Herr Ewing, vielen Dank für das Interview.

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