Die kleine Parzelle, mit der René Totoantsarika seinen Lebensunterhalt bestreitet, ist gut versteckt und für Außenstehende schwer zu finden. Der Weg führt vorbei an Reisfeldern, durch Tümpel und Gestrüpp, in dem es von Geckos und unerfreulich großen Tausendfüßlern wimmelt; dann geht es einen steilen, unwegsamen Hang hinauf. Der 48-Jährige hat seine Machete dabei. Man weiß ja nie. Vor der letzten Ernte sind Plünderer mit Gewehren durch die Gegend gezogen, um Pflanzen zu stehlen. Denn was sich in Totoantsarikas verborgenem Privaturwald hochrankt, ist das nach Safran wertvollste Gewürz der Welt: Vanille.
Der Bauer lebt in Maroambiny, einem Dorf im Norden Madagaskars. Er wohnt mit Frau und zwei kleinen Kindern in einer Holzhütte, es gibt weder Strom noch fließendes Wasser, die medizinische Versorgung ist ein Albtraum und die nächste größere Stadt eine 90-minütige Autofahrt entfernt. Wenn der Vanillefarmer morgens um sieben Uhr sein Tagwerk beginnt, muss er sich folglich über viele Dinge Sorgen machen, Räuber eingeschlossen. Nur über eines nicht: dass er keinen Abnehmer für seine Vanille finden könnte.
Wissenswertes zu Vanille
Insgesamt gibt es 150 Arten der Vanille. Nur 15 der vielen verschiedenen Sorten liefern die aromatischen Schoten.
Die Gewürzvanille (Bourbon-Vanille/mexikanische Vanille) wird heute überwiegend auf Madagaskar und anderen Inseln des Indischen Ozeans angebaut.
Zum einen neutralisiert Vanille scharfe oder saure Speisen, zum anderen verstärkt sie den Eigengeschmack schwächerer Aromen.
Nicht nur als Gewürz in der Küche wird Vanille verwendet. Auch die Industrie nutzt Vanille, zum Beispiel als Aromastoff für Parfüme, Kosmetika und Arzneien.
Gekaufte Lebensmittel mit Vanille wirken oft gelblich. Das beruht jedoch nicht auf der Verwendung des Aromastoffes, sondern auf anderen Zugaben, zum Beispiel von Carotinen oder Hühnerei.
Früher hat er die geernteten Schoten bisweilen an windige Zwischenhändler verkauft, heute kommt sein bevorzugter Geschäftspartner aus dem niedersächsischen Holzminden. Es ist der MDax-Konzern Symrise, einer der weltgrößten Hersteller von Duft- und Aromastoffen – und der erste und einzige deutsche Investor auf Madagaskar. Das Unternehmen verarbeitet die Vanille vor Ort zu einem Extrakt, mit dem später große Lebensmittelhersteller Pudding und Eis verfeinern. "Früher kamen und gingen die Vanillekäufer. Die Symrise-Leute sind die ersten, die geblieben sind", sagt Totoantsarika.
Emotionale Bindung
Beim Ankaufspreis, der je nach Ernte deutlich schwanken kann, lässt das Unternehmen zwar nicht mit sich handeln. "Da orientieren wir uns an der Marktlage", sagt Symrise-Manager Clemens Tenge, der den Titel "Global Competence Director" trägt und die Vanilleaktivitäten des Konzerns auf Madagaskar koordiniert. Trotzdem ist die Geschäftsbeziehung zu Totoantsarika und den rund 7000 anderen Bauern, mit denen der Konzern kooperiert, eher unkonventionell.
Die Bauern haben keine festen Lieferverträge und könnten auch einen anderen Abnehmer wählen. Symrise versucht aber, durch diverse freiwillige Hilfen und Sozialleistungen eine emotionale Bindung zu schaffen, damit die Bauern nicht so leicht auf die Idee kommen, ihre Schoten woanders loszuschlagen.
Dabei hilft dem Unternehmen ein Projekt der deutschen Bundesregierung, die versucht, in Madagaskar den aus dem Bauwesen bekannten Public-Private-Partnership-Gedanken auf die Entwicklungshilfe zu übertragen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist mit Symrise und dem niederländisch-britischen Konzern Unilever eine Kooperation eingegangen, um die Lebensbedingungen der Vanillebauern zu verbessern. Dazu zählen effizientere Anbaumethoden, eine finanzielle Unterstützung von 46 Grundschulen der Region und der Aufbau von drei landwirtschaftlichen Berufsschulen.
Das Programm läuft bis Ende 2016, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung übernimmt 680.000 Euro, Unilever steuert 400.000 Euro bei und Symrise 303.000 Euro.
Die Holzmindener spenden pro Kilo angekaufter Vanille einen Geldbetrag an die örtlichen Elternorganisationen für Schulbücher und bessere Lehrergehälter. In Notfällen gibt Symrise den Bauern zudem "Reiskredite": Die Familien erhalten gratis Reis, den sie nach der nächsten Ernte mit Vanille bezahlen.
Die wichtigste Maßnahme aber ist: GIZ, Unilever und Symrise haben zusammen mit einem einheimischen Versicherungsunternehmen und der NGO Planet Finance eine Krankenversicherung für die Bauern aufgebaut. "Viele können sich so erstmals überhaupt eine medizinische Behandlung leisten", sagt GIZ-Landesdirektor Alan Walsch.