Edelstahlsparte EU-Kommission bremst ThyssenKrupp aus

Es sollte wie ein Befreiungsschlag wirken: Der Verkauf der Edelstahlsparte von ThyssenKrupp schien bisher ein radikaler Sanierungsschritt für den gesamten Konzern und ein erster Punkt auf dem Erfolgskonto von Konzernchef Heinrich Hiesinger zu sein. Nun funkt die EU-Wettbewerbskommission dazwischen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Um ThyssenKrupp aus den roten Zahlen zu holen, will Konzernchef Heinrich Hiesinger die Edelstahlsparte abstoßen - Doch nun funkt die EU-Kommission dazwischen. Quelle: dpa

Erst ein als strahlender Erfolg gefeierter Verkauf, dann das Störfeuer aus Brüssel, von der Wettbewerbskommission der EU: ThyssenKrupp geht geschäftlich durch ein Stahlgewitter. Es ist erst ein paar Wochen her, da verkündete ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger den bevorstehenden Verkauf der gesamten Edelstahlsparte von ThyssenKrupp, zu dem beispielsweise die Traditionsmarke Nirosta gehört. Das Unternehmen will damit seine Gesundung einleiten, im vergangenen Geschäftsjahr häufte ThyssenKrupp unter dem Strich einen Verlust in Höhe von 1,8 Milliarden Euro auf.

Grund dafür war die Fehlinvestition von zwei Stahlwerken in Übersee, eines in Brasilien und eines in Alabama (USA). Aber auch die Edelstahlsparte mit ihren schwankenden Nickelpreise, den hohen Energiepreisen und die bisher nicht bereinigten Überkapazitäten drückte das Ergebnis des Essener Traditionskonzern unter Wasser.

Die Stärken und Schwächen von ThyssenKrupp
Stärke 1: Das Unternehmen besitzt ein solides Liquiditätspolster. Zwar hat Thyssen-Krupp gerade den zweiten Milliardenverlust in drei Jahren eingefahren. Dennoch ist der Konzern, dank eines sehr konservativen Finanzengagements, erstaunlich gut bei Kasse. Im vierten Quartal gelang es Finanzchef Guido Kerkhoff, die liquiden Mittel auf 3,6 Milliarden Euro zu erhöhen. Maßgeblich dazu beigetragen hat der Verkauf eigener Aktien, die ursprünglich als strategische Reserve für Übernahmen gedacht waren. Der Verkauf brachte einen Erlös von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Das aktuelle Liquiditätspolster reicht – abzüglich einer halben Milliarde Euro, die fest im operativen Geschäft gebunden sind – aus, um die in wenigen Monaten fälligen Finanzschulden von 0,6 Milliarden Euro abzulösen. Außerdem kann Thyssen-Krupp auf nicht gezogene Kreditlinien zurückgreifen, um sich bei Bedarf weitere 4,7 Milliarden Euro bei seinen Hausbanken zu borgen. Dank der hohen Liquidität sind die Anleihen von Thyssen-Krupp sogar für einen kleinen Kreis institutioneller Investoren interessant, die ihr Geld auch bei Unternehmen mit einer schlechten Bonitätsnote anlegen. Thyssen-Krupp gibt überwiegend Anleihen mit einem Nennwert von 1.000 Euro aus , wendet sich also gezielt an Privatanleger. Der Ruhrkonzern steht für Seriosität und finanzielle Solidität. Die Sorge, das Unternehmen könne pleitegehen, haben viele Privatanleger nicht. Bei den meisten Dax-Konzernen ist eine Mindeststückelung von 50.000 Euro üblich. Quelle: dapd
Stärke 2: Innovative Ingenieure sichern Vorsprung gegenüber den Konkurrenten. Der Investitionsgüter- und Stahlkonzern Thyssen-Krupp ist überwiegend auf bereits entwickelten Märkten tätig – und trifft dabei auf Konkurrenten mit günstigeren Kostenstrukturen. Um gegen sie zu bestehen, setzt der Konzern auf die innovative Kompetenz seiner Ingenieure. Denn erfahrungsgemäß sind die Kunden bereit, für bessere Qualität, größere Zuverlässigkeit und längere Lebensdauer eines Produktes einen Aufpreis zu bezahlen. Quelle: dapd
Auch im Geschäft mit seinen wichtigsten Kunden, den deutschen Autokonzernen, folgt Thyssen-Krupp diesem Prinzip. Und bei der wichtigsten Kennzahl, dem operativen Gewinn vor Abschreibungen pro Tonne Stahl, liegt der Konzern mit 124 Euro vor der Konkurrenz: Voestalpine verdient 105, Weltmarktführer Arcelor-Mittal sogar nur 44 Euro. Quelle: dpa
Allerdings musste Thyssen-Krupp auch lernen, dass ein vermeintlich günstiges Angebot am Ende richtig teuer werden kann: Um das Budget für das neue Stahlwerk in Brasilien nicht zu überziehen, hatte der Vorstand entschieden, die für das Milliardenprojekt wichtige neue Kokerei von einem chinesischen Anbieter bauen zu lassen. Der Experte im eigenen Haus, der Anlagenbauer Uhde, kam nicht zum Zug. Das Ergebnis ist bekannt: Die Chinesen lieferten Schrott, und jetzt muss Uhde für viel Geld die Kokerei ans Laufen bringen. Quelle: dpa
Stärke 3: Führende Marktposition in den meisten Geschäftsbereichen. Für einige Experten ist Thyssen-Krupp ein Paradebeispiel für einen Mischkonzern. Für andere ist der Essener Konzern ein unübersichtliches Industriekonglomerat. Tatsächlich zählt das Essener Traditionsunternehmen allein 636 Tochtergesellschaften in mehr als 80 Ländern, deren Geschäftszahlen, also Umsätze und Ergebnisse, voll in die Konzernbilanz einfließen. Quelle: dpa
Viele dieser Unternehmen sind in ihren Märkten tonangebend. Die Tochter Thyssen-Krupp Steel Europe beispielsweise ist nach Umsatz gemessen der zweitgrößte Anbieter auf dem Kontinent – hinter dem Branchenprimus Arcelor-Mittal. Weltweit belegt Thyssen-Krupp mit sämtlichen Stahlaktivitäten in Europa, Nord- und Südamerika sowie der Edelstahlstahlsparte nach Umsatz den siebten Rang. Nach Produktionsmenge zählt der Konzern nicht zu den Top 15. Quelle: dpa

Der Verkauf des Edelstahlgeschäfts an den staatlich dominierten, ebenfalls rote Zahlen schreibende Edelstahlkonzern Outokumpu sollte zumindest einen Ausweg aus dem Gewinn-Dilemma von ThyssenKrupp weisen. Der andere Ausweg ist erst vor wenigen Tagen bekannt gegeben worden. Die amerikanischen Stahlwerke stehen ab sofort zum Verkauf. Der brasilianische Erzkonzern Vale soll einer der Interessenten sein. Mit Outokumpu hatten die ThyssenKrupp-Manager einen Investor gefunden, der sich zutraute, das Geschäft zu sanieren.

EU-Kommission prüft eventuelle Monopolbildung

Die EU-Kommission bremst nun das Geschäft empfindlich aus. Der insgesamt 2,7 Milliarden schwere Deal mit den Finnen steht nun wieder in den Sternen, in diesen Tagen läuft eine vertiefte Prüfung des Geschäfts durch die Brüsseler Bürokraten an. Die EU-Kommission hegt den Verdacht, dass mit dem ThyssenKrupp-Edelstahlverkauf der finnische Konzern zu einem marktbeherrschenden Unternehmen in Europa wird, das künftig die Edelstahlpreise diktieren kann. Edelstahl befindet sich in fast allen Haushalts- und Gebrauchsgütern, würde also als Kostentreiber die Endkunden empfindlich treffen.

Bei ThyssenKrupp und Outokumpu hält man den Ball flach, „das war zu erwarten“, heißt es professionell nüchtern und bemüht unberührt. Doch eine Verzögerung des Deals könnte ThyssenKrupp schmerzlich treffen. Die Essener erwarten die Überweisung von einer Milliarde Euro in ihre Konzernkasse, dieser Baranteil war mit Outokumpu verhandelt worden.

Bei einem Schuldenstand von 6,5 Milliarden Euro benötigen die ThyssenKrupp-Manager jeden Cent für das Abschmelzen ihrer schweren Last. Das Unternehmen benötigt Geld für die Renovierung des Wachstumsgeschäfts, um praktisch den einzigen Motor, der noch läuft, warm zu halten. Das ist besonders das Technologie, das Anlagenbau- und das Aufzugsgeschäft. Große Verzögerungen aus Brüssel, die weit über den Herbst hinausgehen, kann sich ThyssenKrupp nicht leisten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%