„Der getreue Ekkehard“, „Ekki der Harte“ – diese und andere Attribute, die Ekkehard Schulz in Deutschlands größtem Stahlunternehmens ThyssenKrupp angeheftet wurden, zeigen seinen Status, seine Reputation, die er im Management, im Aufsichtsrat und bei den Betriebsräten des Revierkonzerns jahrzehntelang genoss.
Auf Ekkehard Schulz war einfach immer Verlass, so schien es. Der gelernte Hütteningenieur ist der Prototyp eines Ingenieurs, er glaubt an das Machbare, pflegte seinen Realitätssinn wie ein Schmuckstück und schenkte in den vielen Sanierungsfällen, die er erlebte den skeptischen Betriebsräten reinen Wein ein.
„Ich stelle im Krisenfall die Situation meistens schroffer da, als sie sich nachher erweist. Ich beschönige nichts. Wenn es denn nachher nicht so negativ kommt, freuen wir uns alle, sind aber im schlimmsten Fall auch nicht überrascht“, sagte er einst der WirtschaftsWoche.
Rekord-Verlust in der Unternehmensgeschichte
Dieses Motto wandte sich nun gegen ihn persönlich. Ein Jahr nach seiner Demission als Vorstandschef schreibt der Konzern einen Mega-Verlust von fast 1,8 Milliarden Euro, der höchste Verlust in der Geschichte beider Unternehmen zusammen. Die roten Zahlen haben ihre Ursache in einem sehr gewagten und auch ungewöhnlichen Engagement des Unternehmen in Brasilien und den USA – zwei Stahlwerke, die dort zur Zeit niemand braucht.
Als Verursacher wurden zahlreiche Manager bereits vor zwei Jahren in die Wüste geschickt, einer wurde verschont: Ekkehard Schulz. Es ist fast ein Jahr her, dass er als Vorstandschef auf der Hauptversammlung in Bochum abtrat wie ein Superstar – mit Ovationen der Kleinaktionäre, mit Händedruck von Berthold Beitz, dem Chef der Krupp-Stiftung.
Diese ist größter Einzelaktionär bei ThyssenKrupp (25,01 Prozent), Beitz – früherer Testamentsvollstrecker von Alfried Krupp – tritt auf wie ein Inhaber, obwohl er doch nie etwas anderes war als ein hoher Angestellter. Dieser präsentierte dem unglücklichen Schulz nun die Schlußabrechnung: Abrupter Abgang ohne Ehren.
In Krupps Namen
Und das Ganze im Namen eines längst Verstorbenen, Alfried Krupp. Nur einer noch kennt ihn, hat Erinnerung an ihn – der achtundneunzigjährige Berthold Beitz, sein Alter macht diesen historischen Bogen möglich. Beitz kannte Alfried Krupp noch persönlich. Niemand außer ihm war dabei, als der letzte Krupp im Unternehmen sein Erbe regelte, in Form einer Stiftung.
Der Satz, den Schulz zu Beginn der Woche im Stiftungsgebäude neben der Villa Hügel, dem alten, muffigen Stammsitz der Krupps, von Beitz hören musste, war schmerzlich: „Ich schätze Sie persönlich sehr, bin jedoch vor allem Alfried Krupp verpflichtet“ – so wurden die Beitz-Worte an Schulz von Konzern-Strategen umgehend an die Medien gestreut. Das ist das für Schulz noch Schmerzlichere.
Völlig aus dem Ruder gelaufen
Die Investitionen in Brasilien und USA waren ihm völlig aus dem Ruder gelaufen. Mehrere Milliarden Euro kostete der Bau von Stahlwerken mehr als geplant. Das war dem gesamten Vorstand entgangen einschließlich dem Chef Ekkehard Schulz.
Aber auch der Aufsichtsrat zeigte sich überrascht, offensichtlich war seine Kontrolle nicht so stahlhart wie häufig suggeriert: Gerhard Cromme, Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp, war der Minus-Milliarden-Sumpf in Amerika ebenso unbekannt geblieben – bis zur Stunde der Wahrheit.
Ekkehard Schulz wurde in dem Augenblick, als die gewaltigen Abschreibungen vorgenommen wurden, fallengelassen wie ein Stück Schlacke aus einem Konverter. Das gründliche Feuern erinnert an das Schreckensregiment, das Berthold Beitz in aktiven Jahren bei Krupp in den sechziger und siebziger Jahren führte.
Feuern heißt bei Beitz wirklich feuern und nicht nur ein bisschen weg ekeln. Nicht nur wurde Schulz der bescheidene Stuhl eines einfachen Aufsichtsrates bei ThyssenKrupp weggezogen. Auch die ehrenvolle Mitgliedschaft im Kuratorium der Krupp-Stiftung, also im Eigentümerkreis des Konzerns, wird dem unglücklichen Schulz quasi über Nacht geraubt. Er scheint es überhaupt nicht mehr wert zu sein, Beitz und Cromme unter die Augen zu treten.
Krupp-Orgie ohne Thyssen
Cromme hat es nie verwunden, dass sich Beitz einmal zu seinen Ungunsten entschieden hat. In der Doppelspitze im Vorstand musste Cromme dem ausgleichenden Schulz den Vortritt lassen, Schulz wurde 2001 alleiniger Chef, Cromme Aufsichtratsvorsitzender. Der Schachzug war als starke Geste gegenüber den Thyssianern zu verstehen gewesen, die 1999 nur unter Schmerzen von Banken und Aktionären und einem agilen Cromme geradezu gezwungen wurden, mit Krupp zu fusionieren.
Krupp-Manager bekamen überall im Konzern auf fast allen Ebenen den Vorzug. Beitz wollte das so. Cromme vollzog seinen Willen. Somit stand der wenig politisch agierende, kaum seine Hausmacht pflegende Ekkehard Schulz an der Spitze. Das sollte die Thyssen-Seite bei all ihrem Machtverlust mit Krupp versöhnen. Dass er in die Stiftung einzog, war fast Dankbarkeit von Beitz.
Diese jedoch ist nicht von eherner Dauer. Schon auf der 200-Jahresfeier des Konzerns, unglücklicherweise fiel das Datum auf den Totensonntag, spielte Schulz so gut wie keine Rolle. Die Feier in der Villa Hügel war eine Krupp-Orgie, als ob es Thyssen nie gegeben hätte. Der Krupp-Festakt wurde so gestaltet, als ob Thyssen eine Beteiligungsfirma von Krupp wäre.
Zum Besucher degradiert
1,8 Milliarden Verlust, das ist zuviel für Beitz. Da kann ein Professor Dr. Ing Dr. hc Ekkehard D. Schulz, so seine offizielle Titulatur, noch so getreu sein. Privatmann Schulz kann nun die ThyssenKrupp-Konzernzentrale noch anlässlich von Pensionärstreffen besuchen, falls er überhaupt noch Lust verspürt in diesen Hort am Krupp-Gürtel auf dem Gelände der alten Gußstahlfabrik einzutreten.
In die Villa Hügel kann er als Gast kommen, quasi als Besucher, denn das Schloss ist sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Sein Fahrer wird den unprätentiösen, ehrlichen, aber zum Schluss vom beruflichen Pech verfolgten Mann dorthin zielsicher chauffieren. Denn den lebenslangen Dienstwagen hat ihn Beitz nicht genommen.