Elektromobilität Querköpfe erobern die Autoindustrie

Selbst der Staubsaugerhersteller Dyson will nun Elektrofahrzeuge bauen. Nie war es leichter, eine eigene Automarke zu gründen. Doch Erfolg haben die Neulinge bislang nur in der Nische.

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Dyson steigt in die Elektromobilität ein Quelle: dpa

Düsseldorf Die Autoindustrie galt jahrzehntelang als geschlossene Gesellschaft. Denn um in den Bau und den Verkauf von Autos einzusteigen, waren Milliarden notwendig. Entwicklungszentren, Werke und Händlernetz zu unterhalten konnte sich kein Gründer leisten. Die angestammten Marken blieben deshalb unter sich.

Mit dem Elektroauto haben sich auch die Spielregeln der Industrie verändert. „Die Hürden für den Einstieg sind in den vergangenen Jahren massiv gesunken“, sagt Autoprofessor Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM) der FHDW Bergisch-Gladbach. Die Blaupause lieferte niemand anderer als Elon Musk. Mit seiner Elektromarke Tesla hat er gezeigt, dass der Einstieg in das Autogeschäft nicht nur möglich ist, sondern auch erfolgreich sein kann. In der Luxusklasse zeigen Model S und Model X den etablierten Luxusmarken mittlerweile die Rücklichter.

Seitdem drängen immer neue Wettbewerber mit eigenen Modellen auf den Markt. Einige wollen eine Nische besetzen, andere hegen ernsthafte Ambitionen, auch den Massenmarkt zu bedienen.

Am Mittwoch verkündete der Staubsaugerhersteller Dyson, ab 2020 mit einem eigenen Elektroauto auf den Markt zu drängen. „Radikal anders“ solle das Modell sein, verspricht Firmengründer James Dyson. Mit einer Feststoffbatterie und einem neuen Design will man den etablierten Konzernen den Kampf ansagen. 400 Mitarbeiter arbeiten an dem Projekt. Mit umgerechnet 2,3 Milliarden Euro soll das Unternehmen den Einstieg vorantreiben.

Auch wenn die Briten viel Designexpertise mitbringen, wäre ihr Vorhaben noch vor wenigen Jahren wohl zum Scheitern verurteilt gewesen. Denn dem neuen Konkurrenten hätte schlicht die Technologie gefehlt. Die hochkomplizierte Entwicklung von Verbrennungsmotoren lag im Wesentlichen in der Hand der etablierten Hersteller. Nur wer mit Ihnen kooperierte – oder Milliarden in die Entwicklung steckte – hatte überhaupt die Chance, ein konkurrenzfähiges Produkt anzubieten.

Mit dem Elektroauto ist das anders. „Die Komponenten können heute fast vollständig von Zulieferern eingekauft werden“, sagt Autoexperte Bratzel. Der Elektromotor sei in der Konstruktion deutlich simpler. Wer ein neues Automodell auf den Markt bringen will, müsse deutlich weniger investieren als in der Vergangenheit. Die Kosten für ein neues Automodell schätzt Bratzel auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Je nachdem, auf welche Nische man zielt, könnten die Kosten sogar noch deutlich niedriger ausfallen.

Vor allem die Freiheit bei der Konstruktion von Elektroautos macht den Einstieg einfacher. Denn an der Grundstruktur eines Verbrenners hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig verändert – sie orientiert sich am Antriebsstrang. Wer ein Auto bauen wollte, brauchte nicht nur Motoren, sondern auch Getriebe und Auspuff. Bei Elektroautos sind die Möglichkeiten der Konstrukteure deutlich größer.


Hunderte Neugründungen

Die Branche erlebt deshalb einen Gründerboom wie zuletzt bei der Erfindung des Verbrennungsmotors. Allein in China wurden in den vergangenen Jahren rund 200 Elektro-Start-ups gegründet, darunter ambitionierte Projekte wie Nio, Faraday Future und die Future Mobility Corporation. Die steigende Zahl der Gründungen beunruhigte zuletzt die chinesischen Behörden so sehr, dass man eine Lizenz für die Elektrotüftler einführte, um gewisse Qualitätsstandards zu garantieren.

Auch in Deutschland gibt es etliche neue Anbieter, die sich mit der etablierten Industrie messen. Der Streetscooter der Deutschen Post schickt sich schon im ersten vollständigen Produktionsjahr an, zum erfolgreichsten Elektrotransporter des Landes zu werden.

Am Mittwoch verkündete die Deutsche Post sogar, eine zweite Fabrik für ihren Elektro-Transporter Streetscooter im nordrhein-westfälischen Düren zu eröffnen - in der leerstehenden Halle eines Automobilzulieferers. Die Post fertigt die Transporter bereits in Aachen, wegen der wachsenden Nachfrage soll der neue Standort im kommenden Jahr seine Produktion aufnehmen. Dann soll die Jahresproduktion auf 30.000 Fahrzeuge steigen.

Der Erfinder des Streetscooters arbeitet unterdessen bereits an einem Projekt, das noch radikaler demonstriert, wie stark Kosten für den Einstieg in die Autobranche gesunken sind. Mit seinem neuen Unternehmen „Ego Mobile“ will Professor Günther Schuh von der RWTH Aachen schon im kommenden Jahr einen elektrischen Kleinwagen für 15.000 Euro verkaufen. Gebaut wird es in Kleinserie.

Für die Entwicklung hat das Unternehmen nach Auskunft von Schuh gerade einmal 30 Millionen Euro investiert. „In brutaler Konsequenz“ habe man das Modell so entworfen, dass es auch bei niedrigen Stückzahlen gebaut werden kann. Statt aus Blech wird sein Modell beispielsweise aus Kunststoff gebaut. Damit kommt die Produktion ohne Presswerk und Lackiererei aus.


Direktvertrieb statt Händlernetz

Bereits mit einer Produktion von 7000 Fahrzeugen arbeite man profitabel, sagt Schuh. Und das, obwohl der „Ego Life“ in Aachen gebaut wird – und damit im Hochlohnland Deutschland. In einer Industrie, in der eine Modellreihe in der Regel erst dann Gewinne abwirft, wenn jährlich etwa 80.000 bis 100.000 Fahrzeuge produziert werden, ist das bemerkenswert.

Und auch der Vertrieb ist in der neuen Autowelt kein Hindernis mehr. Neuen Automarken, die kein eigenes Händlernetz mitbringen, fällt es heute deutlich leichter, ihre Autos auch an den Mann zu bringen. Tesla hat vorgemacht, dass der Direktvertrieb über das Internet funktioniert. Dieses Geschäft wird in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen, sagen Marktbeobachter voraus.

„Neuen Anbietern fällt es leicht, Nischen zu besetzen, die von der klassischen Industrie nicht bedient werden können“, sagt Autoexperte Bratzel. Seiner Meinung nach wird die Zahl der Automarken in den kommenden Jahren weiter wachsen.

Doch den Sprung in den Massenmarkt dürften nach Ansicht des Professors nur wenige Neulinge schaffen. „Eine Marke zu gründen ist günstig, eine Marke zu etablieren nicht“, sagt er. Dazu seien jahrelange Milliardeninvestitionen nötig. Selbst Riesen wie Apple und Google haben mittlerweile entnervt ihre Pläne beerdigt, in die Fahrzeugproduktion einzusteigen. Andere könnten ihrem Beispiel folgen, schätzt Bratzel. Er rechnet damit, dass auf den Gründerboom schon bald eine Phase der Konsolidierung folgen könnte.

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