Eon, RWE, Vattenfall Endspiel um den Atomausstieg

Vor fünf Jahren besiegelte die Politik das Aus für die Kernenergie. Die Kraftwerksbetreiber Eon, RWE und Vattenfall pochen auf Milliarden-Entschädigungen. Und sinnen heute auf Rache – vor dem Bundesverfassungsgericht.

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Die Stromkonzerne hoffen auf milliardenschweren Schadenersatz. Quelle: dpa

Karlsruhe Ein Anruf der Atomaufsichtsbehörde, ein Fax an die Kraftwerksbetreiber, und schon ging ein Kernreaktor nach dem anderen vom Netz. Die größte Zäsur der deutschen Energiepolitik lief erstaunlich schnell und unkompliziert ab. Genau eine Woche, nachdem am 11. März 2011 die ersten Bilder von der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima über die Fernseher und Smartphone-Displays flimmerten, wurden 9.000 Kilometer von der Unglücksstelle entfernt acht Atommeiler sofort stillgelegt. Von den 17 verbliebenen deutschen Kernkraftwerken geht der letzte Reaktor 2022 vom Netz.

Mit Fukushima löste sich Deutschland von der Illusion vom beherrschbaren Risiko der Atomkraft. Doch der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgte zu hektisch, zu unüberlegt und verstößt gegen Grundprinzipien der Verfassung. So sehen das jedenfalls Eon, RWE, Vattenfall und EnBW.

Das Atomkonzern-Quartett führt einen juristischen Feldzug gegen den deutschen Atomausstieg. Gut zwei Dutzend Klagen sind bundesweit in dieser Causa anhängig. Und das Endspiel im Kampf um Recht und Milliarden startet am heutigen Dienstag.

Das Bundesverfassungsgericht berät über die Beschwerde von Eon, RWE und Vattenfall und prüft in mündlicher Verhandlung die hochkomplexe Sachlage (Az.: 1 BvR 2821/11, 321/12, 1456/12). Heute und am Mittwoch werden in Karlsruhe rund hundert Vertreter der Konzerne, des Bundes und der Länder erwartet. Die Fronten sind klar.

Johannes Teyssen führt die Atomlobby in die Schlacht. Für den Vorstandsvorsitzenden von Eon, Deutschlands größtem Energieversorger, gibt es keinen Zweifel: Das Gesetz zum Atomausstieg ist ein massiver Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentum sowie in die Berufs- und Gewerbefreiheit. Aus Sicht des Dax-Managers handelt es sich um eine Enteignung. „Ich erwarte Gerechtigkeit“, erklärte Teyssen im Vorfeld. Er will Schadenersatz.

Barbara Hendricks hält dagegen. Die sozialdemokratische Umweltministerin ist überzeugt, dass die Bundesregierung die besseren Erfolgschancen in dem Rechtsstreit hat. De Klagen der Atomkonzerne sind ihrer Ansicht nach unzulässig und unbegründet.

Schon jetzt ist klar: Die Kontrahenten dürften sich ein hitziges, juristisches Duell liefern. Beide Seiten werden von Top-Anwälten beraten. Beide Seiten geben sich siegessicher. Und für beide Seiten geht es letztlich um enorm viel.


Sieg für Konzerne wäre Ohrfeige für die Politik

Seit Fukushima durchleben die Energieversorger einen nicht enden wollenden Niedergang. Eon und RWE sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die einstigen Gewinn-Garanten sind schwer angeschlagen, hoch verschuldet und sehen in ihrer Not nur noch einen Ausweg: Sie spalten sich auf. Einerseits in neue, grüne Gesellschaften, die mit der Energiewende Geld verdienen. Andererseits in Unternehmen, die im konventionellen Energiegeschäft nach Rendite suchen.

Um die tiefen Löcher in ihren Bilanzen zu stopfen – Eon meldet für 2015 einen Verlust von sieben Milliarden Euro, RWE von 170 Millionen Euro – käme den schrumpfenden Energieriesen ein Richterspruch zu ihren Gunsten nur allzu gelegen. Zwar entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht über Entschädigungszahlungen. Aber auf Basis eines für die Atomkonzerne positiven Urteils in Karlsruhe könnten die Energieversorger weitere Klagen anstrengen.

Sollten die Konzerne Recht zugesprochen bekommen, wäre das nicht nur eine Ohrfeige für die Politik. Es wäre auch eine Katastrophe für die Steuerzahler. Denn die Konzerne wollen insgesamt Schadensersatzansprüche in Höhe von rund 20 Milliarden Euro einklagen. Allein Eon fordert acht Milliarden Euro Entschädigung für entgangene Gewinne durch den Atomausstieg.

Fraglich ist allerdings, ob etwa Vattenfall überhaupt vor dem Bundesverfassungsgericht deutsche Grundrechte einklagen kann. Das Unternehmen befindet sich zu hundert Prozent im Besitz des schwedischen Staates. Und Staaten sind im Gegensatz zu Privatpersonen und privaten Firmen eigentlich nicht grundrechtsfähig. Vattenfall macht dafür schon jetzt von einem anderen juristischen Mittel Gebrauch: Der Energiekonzern versucht vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington, 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz von Deutschland zu erwirken.

Die Drohkulissen der Energiekonzerne könnten aber schon bald in sich zusammenfallen. Parallel zu den Atomausstiegsklagen verhandelt gerade eine Kommission im Auftrag der Bundesregierung mit Eon, RWE, Vattenfall und EnBW darüber, wie die Rückstellungen der Stromkonzerne für Abriss und Endlagerung des Atommülls von rund 38,5 Milliarden Euro langfristig gesichert werden können.

Der Staat zeigt sich prinzipiell bereit, den angeschlagenen Konzernen entgegenzukommen und das Risiko der Endlagerung des Atommülls zu übernehmen. Allerdings nur unter einer Bedingung: Die Energieversorger müssen all ihre Klagen gegen den Bund und die Länder zurückziehen. Ob sich die Stromkonzerne auf diesen Deal einlassen, hängt ganz wesentlich davon ab, wie die Richter in Karlsruhe entscheiden. Mit einem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet.

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