Europäische Stahlindustrie Das Schreckgespenst China

Auf Druck der europäischen Stahlhersteller hat die EU-Kommission zuletzt ihre Anti-Dumping-Maßnahmen verschärft. Doch die Befürchtung wächst, dass die Probleme auch langfristig nicht gelöst werden können.

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Die Maßnahmen der EU gegen chinesische Dumpingpreise haben bislang nicht zum Erfolg geführt. Quelle: dpa

Düsseldorf Allein die Zahl klingt schon gigantisch: 660 Millionen Tonne. So viel Stahl könnten die Hütten weltweit zusätzlich produzieren, wenn sie ihre Anlagen bis zum Anschlag hochfahren. Doch gebraucht werden diese Mengen nicht. Auf den weltweiten Stahlmärkten herrscht schon jetzt ein gewaltiges Überangebot. Das kommt vor allem aus China, wo zwei Drittel der weltweiten Überkapazitäten stehen – rund 390 Millionen Tonnen. „Auf China entfallen 75 Prozent des gesamten Kapazitätsausbaus, der seit 2011 weltweit stattgefunden hat“, sagte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, am Donnerstag auf dem Stahlgipfel in Düsseldorf. „Zudem kommt jede dritte Tonne Stahl, die weltweit exportiert wurde, aus China.“

China, immer wieder China. Das Reich der Mitte und seine Geschäftspraktiken sind für die Stahlmanager schon lange ein Albtraum. Mehr als die Hälfte der weltweiten Stahlproduktion kommt aus dortigen Hütten. Was nicht im eigenen Land gebraucht wird, landet auf den internationalen Stahlmärkten – und verdirbt dort die Preise.

Schon vor Monaten hat die EU-Kommission ihre Anti-Dumping-Regeln verschärft und brummt fast im Wochentakt den Billigimporten vor allem aus Asien hohe Strafzölle auf. Fast 40 entsprechende Verfahren hat die EU inzwischen in Kraft gesetzt, 17 allein nur gegen China. Weitere werden folgen. Ob solche rechtlichen Hürden allerdings ausreichen, das Problem wirklich in den Griff zu kriegen?

Manchen Stahlmanager beschleicht ein schlechtes Gefühl: „Von einer nachhaltigen Lösung sind wir weit entfernt“, sagte der Chef der Stahlsparte von Thyssen-Krupp, Andreas Goss. Ihm macht vor allem die zunehmende Flut von Handelsklagen Sorge, die überall auf der Welt erhoben werden. „Die Gefahr besteht, dass dies nur zu einer Verzerrung von Handelsströmen führt.“

Verbandspräsident Kerkhoff verlangte vor allem von der Politik ein stärkeres Eingreifen. „Die Stahlindustrie ist nicht protektionistisch“, sagte er. Aber ohne den Einfluss der Politik sei nicht damit zu rechnen, dass die Kapazitäten angepasst würden. „Wir müssen darauf achten, dass sich die Politik dieser Verantwortung nicht entzieht.“ Vor allem China müsse alte Anlagen stilllegen.

Auch wenn die direkten Importe aus dem Reich der Mitte als Folge der Strafzölle in den vergangenen Monaten leicht zurückgegangen seien – China exportiere deswegen inzwischen stärker in asiatische Länder, diese würden wiederum ihren Stahl nach Europa liefern. Eine Lösung sei das nicht.


EU arbeitet an neuen Anti-Dumping-Regeln

Währenddessen arbeitet die EU an neuen Regeln, die auch vor einer möglichen Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft Anti-Dumping-Maßnahmen ermöglichen. So präsentierten die beiden EU-Kommissare Jyrki Katainen und Cecilia Malmström deshalb am Mittwoch eine neue Methode, um zu ermitteln, wann von Dumping gesprochen werden kann.

Üblicherweise wird dies mit einem Vergleich von heimischen Preisen mit Exportpreisen geprüft. Wenn Staaten wie China Preise künstlich niedrig halten, kommt die EU mit dieser Methode nicht weiter. Deshalb will sie verdächtig niedrige Preise künftig an denen in Vergleichsländern mit ähnlichen Produktionskosten messen.

Malmström betonte, Globalisierung sei Realität, aber der weltweite Handel müsse Regeln unterliegen. „Andere Länder sind nicht so offen wie wir und manchmal halten sie sich nicht an die Regeln“, fügte sie hinzu. Mit dem Vorschlag sollen sich am Freitag die zuständigen EU-Minister befassen. Dort gibt es allerdings Widerstände. Letztlich muss auch das Europaparlament zustimmen. Europas Stahlindustrie beschäftigt rund 328.000 Menschen. Die Branche spielt eine wichtige Rolle als Zulieferer, etwa für die Automobilbranche.

Diese wichtige Rolle in der industriellen Wertschöpfungskette sieht Kerkhoff langfristig gefährdet. „Wenn den Unternehmen durch steigende klimapolitische Belastungen und Dumping von außereuropäischen Wettbewerbern die Finanzkraft für Innovationen genommen wird, hat die Stahlindustrie langfristig keine Chance mehr in Europa“, warnte er.

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