Reinhard Quick leitet das Brüsseler Europabüro des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und seit 2009 den Bereich Außenwirtschaft. Seit Januar 2014 ist er zudem Mitglied des Expertengremiums, das die Europäische Kommission in puncto TTIP berät. Dort vertritt Quick die gesamte verarbeitende Industrie. Die jüngste Entwicklung zum geplanten Freihandelsabkommen hält er für wenig hilfreich.
Herr Quick, wie bewerten Sie die Veröffentlichung des US-Positionspapier durch Greenpeace?
Ich finde den Zeitpunkt interessant. Greenpeace geht mit den Papieren an die Öffentlichkeit, eine Woche nachdem sich unsere Kanzlerin und der US-Präsident darauf verständigt haben, die Verhandlungen bis zum Ende des Jahres abzuschließen. Das Ganze soll die Öffentlichkeit weiter gegen TTIP aufheizen.
Aber das Veröffentlichen schafft doch Transparenz.
In puncto Transparenz ist die Veröffentlichung nicht gerade hilfreich.
Warum?
Weil sie lediglich ein Verhandlungsstadium wiedergibt und nicht den endgültigen Text, der zur Abstimmung an die einzelnen Parlamente geht.
Ärger um die Schiedsgerichte
1959 unterschrieb Ludwig Erhard das erste globale Investitionsschutzabkommen der Welt – zwischen Deutschland und Pakistan. Es beruhte auf einem Entwurf von Hermann Josef Abs, dem früheren Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bis heute ist dieses Abkommen die Grundlage sämtlicher Freihandelsabkommen.
Das Abkommen sah vor, dass Investoren vor internationalen Schiedsgerichten gegen die Entscheidungen ausländischer Regierungen vorgehen konnten, sofern diese einen Enteignungscharakter hatten.
Das Abkommen war zwar bilateral – das heißt es galt für Deutschland wie für Pakistan gleichermaßen – allerdings kam damals niemand auf die Idee, dass pakistanische Investoren in Deutschland tätig werden könnten.
1994 errichteten die USA, Kanada und Mexiko die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA. Das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP und CETA. Als Streitschlichtungsmechanismus ist auch hier ein Investorenschutz eingebettet.
Mit NAFTA kamen Anwaltskanzleien und Unternehmen auf die Idee, den Investorenschutz verstärkt als Rechtsschutzmittel gegen staatliche Entscheidungen zu nutzen.
Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg 2012 entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro. Wenige Wochen vor dem Atomausstieg hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung beschlossen – im Glauben an die Gültigkeit dieses Beschlusses hatte Vattenfall in die Sanierung von mittlerweile vom Netz genommenen Atomkraftwerken investiert.
Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist kein Freihandelsabkommen, sondern die von Deutschland ratifizierte Energiecharta – darin ist aber ebenfalls eine Investitionsschutzklausel eingearbeitet, weswegen TTIP-Gegner oft auf diesen Fall verweisen.
Parallel klagt Vattenfall – wie auch RWE und Eon – vor dem Bundesgerichtshof. RWE und Eon haben als deutsche Unternehmen allerdings nicht die Chance, zweigleisig zu klagen, darin sehen TTIP-Gegner eine Benachteiligung heimischer Unternehmen gegenüber ausländischer.
2012 führte Australien rigorose Anti-Tabak-Gesetze ein. Demnach dürfen Zigarettenpackungen nur noch in einem langweiligen Grauton bedruckt und müssen mit abschreckenden Bildern versehen werden, die die negativen Folgen des Rauchens verdeutlichen.
Der Tabakkonzern Philip Morris ging im Rahmen einer Investitionsschutzklage vor einem Schiedsgericht dagegen vor und forderte mehrere Milliarden Dollar Schadensersatz. Die Begründung: Als Philipp Morris vor über 60 Jahren in Australien investierte, war nicht absehbar, dass solche Tabakgesetze den Markt zerstörten. Im Dezember 2015 wurde dieser Fall zugunsten von Australien entschieden.
Was spricht gegen einen Einblick in das Verhandlungsstadium?
Die Amerikaner waren immer besorgt, dass die Europäer ihr Vertrauen missbrauchen und vertrauliche Positionen veröffentlichen – etwa über Leaks wie den von Greenpeace. Das dürfte die Verhandlungen weiter erschweren, ist also genau das, was die Kritiker wollen. Ihr Ziel ist es, die Verhandlungen im Vorfeld so zu sabotieren, dass es zu keiner Einigung kommt und die demokratisch gewählten Parlamente gar nicht erst über das Abkommen entscheiden können. Dagegen müssen wir uns wehren.
Die Europäische Union hat mehr als 30 Freihandelsabkommen mit anderen Staaten ausgehandelt. Nie war die Öffentlichkeit annährend so sehr interessiert wie in diesem Fall. Woran liegt das?
Da muss ich etwas ausholen. Ich bin seit 30 Jahren im Bereich der Handelspolitik tätig – und für diesen Bereich hat sich so gut wie niemand interessiert, auch nicht die Presse. Handels- und Investitionsschutzabkommen wurden in Brüssel ausgehandelt und ratifiziert, ohne dass es jemals großen Aufruhr gab. Das brachte ein Problem mit sich.
Nämlich?
In der Öffentlichkeit gibt es kaum Kenntnis über das Thema Handelspolitik, weil das nie diskutiert wurde. Deswegen können wir eigentlich heilfroh sein, dass TTIP so strittig ist. Allerdings sollten die, die das Abkommen kritisieren, auch wissen, wie Handelspolitik funktioniert – nur dann kann man sich dem Diskurs stellen. Wenn wir ein Ergebnis finden, das für Deutschland und Europa gut ist, sollte ein Handelsabkommen doch unterzeichnet werden. Die meisten Kritiker befassen sich inhaltlich aber kaum mit dem Abkommen, sie argumentieren auf Basis von negativen Gefühlen, die sie gegen Amerika hegen und sagen, dass sie das Abkommen ablehnen, weil sie Globalisierungskritiker sind.
Kritik der Umweltschützer an TTIP
Egal ob Creme, Lippenstift oder Mascara – in Europa müssen solche Produkte eine Zulassung überstehen, die es in den USA so einheitlich nicht gibt. Sicherheitstests erfolgten dort freiwillig, heißt es beim Sachverständigenrat. Sonnenmilch allerdings gelte in Amerika als Medikament und sei streng reguliert.
Die Europäer wollen geklonte Nutztiere und Klonfleisch verbieten, auch deren Import. In den USA gibt es dagegen kein einheitliches Verbot. Gentechnisch veränderte Tiere, etwa Lachse, die schneller wachsen, sind dort bereits zugelassen und im Handel. Eine besondere Kennzeichnung ist nicht vorgeschrieben.
Gentechnisch veränderte Pflanzen und Nahrungsmittel müssen in der EU zugelassen und später gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Futtermittel. Einzelne Mitgliedsstaaten können seit 2015 auf ihrem Gebiet sogar einzelne gentechnisch veränderte Pflanzen verbieten. In den USA ist nicht nur die Zulassung großzügiger, gentechnisch veränderte Lebensmittel werden regelmäßig nicht kenntlich gemacht.
Pflanzenschutzmittel, die möglicherweise Krebs erregen oder vielleicht das Erbgut schädigen können in der EU erst gar nicht auf den Markt – anders als in den USA.
Die Verordnung REACH gilt mit als schärfstes Chemikaliengesetz weltweit. Darin wird ein Zulassungsverfahren, eine Risikobewertung und teils eine Beschränkung für Chemikalien von der Herstellung in der Fabrik bis zum buntgefärbten T-Shirt beim Endverbraucher festgeschrieben. In den USA gilt kein vergleichbares „Vorsorgeprinzip“ bei Chemieprodukten.
Nun hat der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, gesagt: „Das Risiko eines Scheiterns ist groß.“ Glauben Sie noch an eine Einigung? Die sollte schließlich einmal Ende 2014 gefunden werden.
Ich bin nicht allzu pessimistisch. Wir sind an einem Punkt der Verhandlungen angekommen, an dem beide Seiten ihre Forderungen auf den Tisch gelegt haben. Nun muss darüber diskutiert werden, inwieweit die jeweils andere Seite bereit ist, Zugeständnisse zu machen und ob man sich am Ende einigen kann.