Gerinnungshemmer Xarelto Bayers Top-Seller darf weiter eingesetzt werden

Bayer kann aufatmen: Die Europäische Arzneimittelbehörde erlaubt den weiteren Einsatz des Blutgerinnungshemmers Xarelto. Ein defektes Analysegerät in Tests habe keine Auswirkungen auf das Studienergebnis gehabt.

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Bayer - mehr als 150 Jahre Unternehmensgeschichte
Bayer blickt zurück auf eine wechselvolle Geschichte. Der Konzern hat bahnbrechende Medikamente wie Aspirin erfunden, aber auch Heroin als Arznei verkauft. Bayer schuf bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wohltaten für die eigenen Mitarbeiter, gründete Sportvereine und Werksbüchereien - und rekrutierte andererseits als Teil der I.G. Farben während des Zweiten Weltkrieges Tausende Zwangsarbeiter, die unter menschenunwürdigen Bedingungen schufteten. Wie alles begann... Quelle: dpa
1863Am 1. August gründen der Kaufmann Friedrich Johann Bayer und der Färber Johann Friedrich Weskott die "Friedr. Bayer et comp.". Sitz der Gesellschaft ist Wuppertal, Zweck die Produktion von Farbstoffen. Quelle: Presse
1876Das junge Unternehmen expandiert rasch im Ausland. Erste Produktionsbetriebe entstehen – zunächst in Russland, später auch in Frankreich, England und den USA. Quelle: Presse
1898Das Unternehmen lässt sich Heroin als Warenzeichen schützen. Den Bayer-Chemikern gilt Heroin als ungefährliches, nahezu nebenwirkungsfreies Medikament, das die Atmung beruhigt. Nach der Einnahme sollen sich die Bayer-Arbeiter "heroisch" gefühlt haben - davon soll sich der Name Heroin ableiten. Bis 1915 produziert die Farbenfabrik jährlich eine knappe Tonne Heroin; das angebliche Medikament wird bald in 22 Länder exportiert. Erst 1931 stellte Bayer die Produktion ein. Quelle: Gemeinfrei
1899Unter der Nummer 36433 wird das Medikament Aspirin in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes in Berlin aufgenommen. Entdeckt wurde Aspirin von dem jungen Chemiker und Pharmakologen Felix Hoffmann, der seinem rheumakranken Vater mit einem Antischmerzmittel helfen wollte. Bis heute ist Aspirin das bekannteste Bayer-Produkt. Quelle: Creative Commons-Lizenz
1904Die Bayer-Arbeiter bekommen einen Sportverein. Der TuS 04 Leverkusen gründet sich – der Vorläufer des heutigen TSV Bayer 04 Leverkusen, der vor allem durch seine Fußball-Bundesligamannschaft bekannt ist. Quelle: Presse
1912Carl Duisberg wird Generaldirektor, Leverkusen Firmensitz. Der Standort Wuppertal ist zu klein geworden; Duisburg entwickelt einen Plan für ein neues Chemiewerk in Leverkusen. Die Wahl des neuen Hauptstandorts stößt nicht überall auf Begeisterung. Bayer-Arbeiter reimen ein Klagelied: "Kann er einen nicht verknusen, schickt er ihn nach Leverkusen. Dort, an diesem End der Welt, ist man ewig kaltgestellt." Quelle: Gemeinfrei

Aufatmen in Leverkusen: Die klinische Studie für das wichtigste Pharmaprodukt von Bayer, den Gerinnungshemmer Xarelto, wurde jetzt von einem Expertengremium der europäischen Arzneimittelbehörde EMA erneut bestätigt. Der Einsatz fehlerhafter Testgeräte in der Studie habe keinen Einfluss auf die Schlussfolgerungen zur Sicherheit und die Nutzen Risiko-Balance von Xarelto , teilte die EMA am Freitagnachmittag mit.

Anlass für eine erneute Überprüfung der Studiendaten hatte der Rückruf von Testgeräten zur Gerinnungsmessung gegeben, die von der US-Firma Alere produziert wurden. Wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte, lieferten diese Testgeräte bereits seit 2003 unter Umständen fehlerhafte Gerinnungswerte. Auf Druck der US-Behörde Arzneimittelbehörde FDA mussten sie daher Ende 2014 vom Markt genommen werden.

So teuer sind manche Medikamente

Teilweise wurden diese Geräte auch in der so genannten Rocket-AF-Studie eingesetzt, auf der die Zulassung von Xarelto für den Einsatz in der Schlaganfall-Prophylaxe basiert. In der Studie wurde Xarelto mit dem etablierten Gerinnungshemmer Warfarin verglichen, wobei man die Gerinnungswerte der Patienten in der Warfarin-Gruppe zum Teil mit dem Gerät von Alere überprüfte. Fehlerhafte Messwerte hätten theoretisch zu unter- oder Überdosierungen des Wirkstoffs Warfarin führen können und dadurch den Vergleich zwischen den beiden Präparaten verzerren können. Im Extremfall hätte man die gesamte Studie infrage stellen müssen, was für Bayer einen erheblichen Rückschlag bedeutet hätte.

Die EMA kam nun nach einer erneuten Analyse der Studiendaten jedoch zum Ergebnis, dass möglicherweise fehlerhafte Messwerte nur einen marginalen Effekt auf Studie gehabt hätten. Sie verweist zudem darauf, dass die Daten anderer großer Studien die relative Sicherheit des Wirkstoffs bestätigten und vergleichbare Blutungsraten in den Warfarin-Gruppen zeigten. Die Nutzen-Risiko-Balance für Xarelto bleibe daher unverändert.

Die EMA hat nach eigenen Angaben eine Überprüfung der Studie gestartet, nachdem sie von Bayer im September über den Einsatz von potenziell fehlerhaften Testgeräten unterrichtet wurde. Auch bei der US-Arzneimittelbehörde FDA läuft eine entsprechend Überprüfung der Daten, die aber noch nicht abgeschlossen ist.

Die größten Pharmakonzerne der Welt
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Bayer hatte Zweifel an der Studie bereits im Dezember zurückgewiesen und dabei auf eine Reihe von Sensitivitätsanalysen verwiesen. Diese hätten das Ergebnis bestätigt. Ähnlich hatte sich die US-Universität Duke geäußert, die die Rocket-Studie im Auftrag von Bayer durchgeführt hatte.

Xarelto dürfte im vergangenen Jahr etwa zwei Milliarden Euro Umsatz in die Kassen des Leverkusener Konzerns gespült haben. Weitere 1,9 Milliarden Dollar Umsatz verbuchte der US-Vertriebspartner Johnson & Johnson mit dem Produkt. Analysten trauen dem Wirkstoff bisher Umsätze von mehr als sieben Milliarden Dollar im Jahr 2020 zu. Haupteinsatzgebiet ist dabei die Schlaganfall-Prophylaxe bei Patienten mit bestimmten Herzrhythmus-Störungen.


Mittel stehen immer wieder unter Beschuss


Xarelto ist dabei nur einer von inzwischen vier neuen gerinnungshemmenden Wirkstoffen, die in den letzten Jahren auf den Markt kamen und nun nach und nach die etablierten Medikamente wie Warfarin oder Marcumar verdrängen. Als entscheidender Vorteil der neuen Mittel gilt die Tatsache, dass sie ohne begleitende Gerinnungsdiagnostik auskommen. Ansonsten ist ihr Wirkprofil ähnlich wie das der deutlich preisgünstigeren Altprodukte.

Da sie wie alle Gerinnungshemmer mit dem Risiko gefährlicher Blutungen einhergehen, sind sie bereits wiederholt unter Beschuss geraten. Boehringer Ingelheim musste bereits 2014 mehr als 500 Millionen Euro aufwenden, um einen Vergleich mit über 4000 Klägern in den USA zu erzielen, die den Gerinnungshemmer Pradaxa von Boehringer für schwere, zum Teil tödliche Blutungen verantwortlich machen. Gegen Bayer waren im Zusammenhang mit Xarelto zuletzt 2500 Schadensersatzklagen in den USA anhängig.

Dem Erfolg der neuen Gerinnungshemmer konnten Kritik und Klagen bisher allerdings wenig anhaben. Die Umsätze wachsen nach wie vor überwiegend deutlich zwei- oder sogar dreistellig. Die Xarelto-Erlöse von Bayer legten in den ersten neun Monaten 2015 um 37 Prozent zu. Johnson & Johnson verbuchte im Gesamtjahr ein Plus von 23 Prozent mit dem Produkt. Allerdings verlieren Bayer und J&J inzwischen offenbar Marktanteile an den Konkurrenten Bristol-Myers Squibb, der den Umsatz mit dem vergleichbaren Mittel Eliquis 2015 sogar um 140 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro steigerte. Die japanische Daiichi Sankyo erwartet für ihren erst 2015 eingeführten Wirkstoff Edoxaban Erlöse von mehr als 100 Millionen Dollar im ersten Jahr.

Unterdessen will Bayer sein umstrittenes Insektenvernichtungsmittel Belt nicht vom US-Markt nehmen. Der Pharma- und Chemiekonzern kündigte am Freitag an, sich gegen das entsprechende Ersuchen der US-Umweltbehörde EPA zu wehren. Das Mittel wurde 2008 auf den Markt gebracht und soll unter anderem Mandeln, Orangen und Sojabohnen vor Motten und Würmern schützen.

In hohen Dosen ist es allerdings für wirbellose Tiere am Grund von Flüssen und Teichen giftig. Diese Tiere können ein wichtiges Nahrungsmittel für Fische sein. Im Wasser in der Nähe von Feldern sei die giftige Dosis jedoch nie erreicht worden, erklärte der Konzern und verwies auf Ergebnisse von Feldversuchen. Der EPA sind die Risiken jedoch zu hoch.

Bayer kritisierte, dass sich die Umweltbehörde bei ihrer Beurteilung zu sehr auf Computermodelle stütze. Der Konzern erwartet, dass die EPA als nächstes einen formellen Antrag stellt, um die Zulassung des Mittels zu widerrufen.

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