Geschäftsreise mit dem Flieger Wer braucht eigentlich Business Jets?

Kritiker halten sie für Protzobjekte, andere sehen in ihnen Produktivitätsmaschinen: Business Jets erlebten in der Wirtschaftskrise den Absturz. Nun kommen sie zurück – größer und schneller denn je.

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Ein Geschäftsjet G650 von Gulfstream Quelle: Bloomberg

Der Himmel über Davos ist eng. Zumindest, wenn die Wirtschaftselite tagt. „1700 Privat-Jets beim Weltwirtschaftsforum in Davos“, titelten verschiedene Medien in dieser Woche, ätzten über den Protz und die vermeintliche Umweltverschmutzung.

Bei genauerem Blick auf die Daten des Flugmonitor-Unternehmens WingX Advance stellt sich die Zahl der Jets als wesentlich geringer heraus. Rund 400 Privatflugzeuge sind während des World Economic Forum über der Schweiz unterwegs. Damit ist das Flugaufkommen in der Region derzeit dennoch doppelt so hoch wie in gewöhnlichen Wochen.

Business Jets im Aufwind

Tatsächlich fliegen viele der Mächtigen mit einem Geschäftsflugzeug nach Davos. Das ist ein gutes Zeichen für die Hersteller und Betreiber von Business Jets. Denn seit 2008 hat die Branche harte Zeiten durchgemacht.

„In der Finanzkrise brach der gesamte Markt zusammen. Die Flugaktivitäten gingen um 30 Prozent zurück“, erinnert sich der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Für viele Unternehmen blieben die Geschäfte aus und mit ihnen der Grund zu fliegen.

Es entwickelte sich eine einfache Logik: Wer nicht fliegt, braucht auch keine Flugzeuge. Die Folgen der Wirtschaftskrise trafen die Flugzeugbauer hart. Neue Aufträge blieben aus, bestehende wurden storniert.

So reisen Chefs um die Welt
CESSNA 208 CARAVAN Quelle: Presse
EMBRAER PHENOM 100 Quelle: Creative Commons - Josh Beasley
BOMBARDIER LEARJET 60 XR Quelle: Presse
GULFSTREAM G650 Quelle: AP
AIRBUS A319 Quelle: Presse

Doch nun ist die Branche wieder im Aufwind. Auch wenn der Flugbetrieb in Europa noch immer leicht unter Vorkrisenniveau liegt, sind die Hersteller von Business Jets zuversichtlich. Das Branchenmagazin „Aviation Week“ geht davon aus, dass die großen Produzenten wie Bombardier, Cessna, Gulfstream und Dassault in naher Zukunft viel Geld machen werden.

Womit Geschäftsreisende am häufigsten fliegen

Während die Zahl der produzierten Flieger in den kommenden Jahren leicht sinken wird, steigt der Umsatz. Den Gesamtumsatz der Branche beziffern die Experten für die Jahre 2015 bis 2019 auf rund 148 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Für den Zeitraum zwischen 2014 und 2018 lag die Summe bei rund 136 Milliarden.

Bombardier gibt Learjet 85 auf

Aber auch im Aufschwung gibt es Rückschläge. Starke. In der vergangenen Woche gab Bombardier bekannt, die Entwicklung des Learjet 85 bis auf Weiteres zu stoppen. Was der kanadische Konzern eine „Pause“ nennt, klingt wie ein endgültiges Aus. Die Arbeitsplätze in den USA und Mexiko jedenfalls sind gestrichen. Rund 1000 Stellen werden abgebaut.

Die größten Business-Jet-Bauer

Die Entscheidung überraschte selbst Branchenkenner. Die zweistrahligen Learjets stehen wie keine anderen für den Typ des Business Jets. Mit dem Modell 85 wollte Bombardier die Traditionsmarke in die Zukunft führen. Größer und komfortabler als seine Vorgänger sollte das Flugzeug werden, fähig so weit zu fliegen wie kein anderer Learjet zuvor. Erstmals setzte der Hersteller nicht auf die klassische Metallbauweise, sondern auf Faserverbundwerkstoffe – und übernahm sich dabei. Das Projekt verzögerte sich, verschlang zusätzliche Millionen.

Bombardier zog die Reißleine, weil die Chancen, den Learjet noch zu einem Erfolg zu machen, offenbar gering sind. „Im Bereich der sogenannten Super Midsize Jets gibt es eine Menge Wettbewerb“, sagt Flugzeugexperte Großbongardt. Nicht nur, dass die anderen großen Anbieter wie Gulfstream, Cessna und Dassault meist mit gleich mehreren Modellen in dem Segment vertreten sind. Mit der Legacy-Familie setzt der kleinere Hersteller Embraer die Großen unter Druck.

„Wir werden unsere Ressourcen auf unsere anderen beiden vielversprechenden Flugzeugprogramme ausrichten, die sich in der Entwicklungsphase befinden: Die C-Series und Global 7000/8000, für die wir ein enormes Marktpotenzial sehen“, erklärte deshalb Bombardier-Chef Pierre Beaudoin – und zeigte damit auch die Tendenz auf, in die sich der Markt entwickelt.

Wohin der Trend beim Business Jet geht


Größer, schneller, weiter: Die Maximen der Business-Jet-Industrie sind klar. „Die Branche hat im Bereich der kleinen und mittleren Jets sehr lange geschwächelt“, sagt der Luftfahrtexperte Großbongardt. „In den USA zeigen die Produktionszahlen jetzt erstmals wieder klar nach oben. Der Bestelleingang ist gut.“

Wo die meisten Geschäftsreiseflugzeuge starten

Das große Geschäft aber liegt bei den Langstreckenjets mit Platz für zwölf und mehr Personen. Zwar werden deutlich mehr kleinere Maschinen für die Kurzstrecke produziert - ökonomisch spielen sie für die Hersteller aber eine immer geringere Rolle. Mit sogenannten „Large Cabin Jets“ werden die Hersteller bald bis zu 85 Prozent ihres Umsatzes machen, hat der Zulieferer Honeywell ausgerechnet.

Flugzeuge wie die Challenger 850 von Bombardier, die Gulfstream G650 und die großen Ableger von Daussaults Falcon-Familie sind bei den Kunden beliebt und bescheren den Herstellern zugleich hohe Gewinnmargen. Kein Wunder, dass die Hersteller ihre Linien immer weiter ausbauen: Seit 2014 hat Gulfstream sechs unterschiedliche Modelle im Angebot – zu Listenpreisen zwischen 33,6 und 57,2 Millionen Euro.

Wohin Business Jets von Europa aus am häufigsten fliegen

Dass vor allem die Langstreckenflugzeuge gut ankommen, ist für Branchenkenner keine Überraschung. „Der Bereich brummt, weil es sich bei diesen Maschinen um echte Globalisierungsinstrumente handelt“, sagt Großbongardt. Für die Manager der internationalen Konzerne und ihre Mitarbeiter sind die Geschäftsreiseflugzeuge häufig das Mittel der Wahl, um zwischen Produktionsstandorten in den USA, der Türkei oder dem Wachstumsmarkt China hin und her zu reisen.

Fliegendes Luxushotel oder Jugendherberge?

Wer einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag für ein neues Flugzeug auf den Tisch legt, kann einiges erwarten. Ohne bequeme Ledersessel, weichen Teppichboden, elegante Wandverzierung und Breitband-Internet wird kein Business Jet mehr ausgeliefert. Fliegende Luxushotels sind die Jets deswegen aber längst nicht. Beim Komfort müssen sie sich jeder besseren Business Class geschlagen geben. Der First Class ohnehin.


Laut einer Umfrage des Magazins „Business Jet Traveler“ aus dem Jahr 2011 spielt die Bequemlichkeit für den Flug mit einem Business Jet ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Weniger als die Hälfte der 1000 Befragten gab an, die Geschäftsflieger wegen des Komforts zu nutzen (44 Prozent). Als Hauptgründe nannte die Mehrzahl der Befragten, die Flieger zu nutzen um Zeit zu sparen (77 Prozent) und auch kleinere Regionalflughäfen nutzen zu können (69 Prozent). Mehr als ein Drittel schätzt zudem die Privatsphäre (37 Prozent) und die Möglichkeit, auch während des Flugs arbeiten zu können (34 Prozent).

Viele große Dax-Unternehmen leisten sich deshalb eigene Werkflugzeuge, die ausschließlich die eigenen Mitarbeiter fliegen. Die VW-Tochter Volkswagen Air Service etwa ist im Besitz gleich mehrerer Maschinen: von der Falcon 2000 bis zum Airbus A319.

Für wen sich ein Business Jet lohnt

Andere Firmen können oder wollen die Millionen für einen Business Jet nicht so einfach auf den Tisch legen und gehen andere Wege. Das US-Unternehmen NetJets etwa bietet Anteile an Geschäftsreiseflugzeugen zum Kauf oder zur Miete an. Ein Bruchteil eines Business Jets für einen Bruchteil des Preis klingt nach einem guten Deal für Wenigflieger.

Etwa die Hälfte aller Geschäftsreiseflüge in Deutschland geht laut WingX Advance zudem auf Charter-Anbieter zurück. Billig ist das allerdings auch nicht: mindestens 1500 Euro kostet eine Stunde im kleinen Privatjet. Mit der Größe und Ausstattung steigt der Preis schnell in die Höhe, kann auch die 10.000 Euro-Grenze überspringen.

Die Flughäfen mit den kürzesten Wegen
Bis das Flugzeug in der Luft ist, vergeht für gewöhnlich erstmal eine Menge Zeit: Die Wege in den Flughäfen sind meist lang, wie etwa am Moskauer Airport Domodedovo. Hier benötigen die Passagiere vom Eingang bis in den Flieger eine geschlagene Stunde. Die Reisesuchmaschine kayak.de hat die durchschnittlichen Gehzeiten vom Eingang bis zum Flugsteig an 14 Flughäfen Europas mit mehr als zehn Millionen Passagieren untersucht – und herausgefunden, an welchen Airports es besonders schnell geht.Quelle: kayak.de, die Informationen wurden von Flughafen-Pressestellen eingeholt oder von Kayak kalkuliert Quelle: dpa
8. Platz – Mailand-Malpensa, ItalienMailand-Malpensa ist der größte der drei Flughäfen der italienischen Metropole – die Weitläufigkeit bekommen die Passagiere allerdings auch bei der Gehzeit zu spüren: 27 Minuten benötigen sie durchschnittlich vom Eingang bis ins Flugzeug. Durch die Eingangshalle dauert es 15 Minuten, nach der Sicherheitskontrolle noch maximal zwölf Minuten. Quelle: dpa
7. Platz – Madrid Barajas, SpanienDer Flughafen der spanischen Hauptstadt schafft es locker in die Top 10 der größten Flughäfen Europas. Dafür sind die Wege noch relativ überschaubar: Knapp 20 Minuten benötigen die Passagiere durchschnittlich, um ihre Maschine zu erreichen. Die Eingangshalle ist schnell durchlaufen, nach der Sicherheitskontrolle dauert es noch 15 Minuten bis zum Gate. Quelle: AP/dpa
6. Platz – Barcelona El Prat, SpanienIm spanischen Duell mit Madrid hat Barcelona die Nase vorn: Am zweitgrößten spanischen Flughafen durchqueren Passagiere die Eingangshalle in durchschnittlich acht Minuten, nach dem Sicherheitsbereich dauert es nochmal sieben Minuten – macht 15 Minuten Gesamtgehzeit. Quelle: IMAGO
5. Platz – Zürich, SchweizWer von Terminal A oder B abfliegt, ist in Zürich klar im Vorteil: Die Gesamtgehzeit beträgt hier nur 15 Minuten. Reisende, die vom Terminal E starten, sind deutlich länger unterwegs. Sie müssen durchschnittlich 22 Minuten einplanen, bis sie ihren Flieger erreichen. Quelle: AP
Flughafen Nizza Quelle: REUTERS
Platz 4 – Nizza, FrankreichDer drittgrößte Flughafen Frankreichs an der Côte d’Azur sticht den Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle in einer Disziplin locker aus: In Nizza sind Passagiere in nur 15 Minuten an ihrem Gate. In Paris ist dagegen eine kleine Wanderung nötig: Reisende sind in Frankreichs Hauptstadt 55 Minuten unterwegs – nur in Moskau dauert es noch länger. Quelle: obs

Trotzdem sind die Ausgaben für viele Unternehmen lohnenswert, glaubt Heinrich Großbongardt. Auch im Vergleich zu den vermeintlich billigeren Linienflügen. Insbesondere, wenn man die Arbeitskraft der Reisenden mit einberechne. „Wenn Sie aus Paderborn nach Genf und wieder zurück müssen, dann bekommen Sie das inklusive Umsteigen an einem Tag nicht gebacken. Trotzdem kosten die Tickets für vier oder fünf Mitarbeiter in der Economy-Klasse 6000 Euro“, rechnet der Luftfahrtexperte vor. „Chartern Sie einen Business Jet, kostet das Ganze vielleicht 8000 Euro. Dafür sind Sie am Abend wieder zu Hause und Ihre Leute können am nächsten Tag arbeiten.“

Wer in Ostwestfalen sitzt, hat ohnehin kaum eine andere Chance, wenn er schnell mit dem Flieger ins Ausland will. Große Verkehrsflughäfen wie Düsseldorf sind mehrere Autostunden entfernt. Vom Regionalflughafen in Paderborn gibt es nur eine begrenzte Zahl an Direktflügen in die großen Metropolen, viele Airports sind ohne mehrfaches Umsteigen gar nicht zu erreichen.

Aus diesem Grund glauben die meisten Branchenkenner, dass das Potenzial der Business Jets derzeit nicht ausgeschöpft wird. Sie gehen von weiterem Wachstum in den kommenden Jahren aus. Je enger die internationalen Beziehungen werden und je häufiger auch kleine Mittelständler ins Ausland expandieren, desto größer wird der Bedarf nach Individualreisen für den Geschäftsmann werden.

Business-Flug mit 1,6-facher Schallgeschwindigkeit

Die Business-Jet-Branche hat bereits den nächsten Superlativ der Business Jets angekündigt. Bis 2021 will die amerikanische Firma Aerion einen neuen Überschall-Jet auf den Markt bringen – und in den kommenden 20 Jahren etwa 600 davon verkaufen.

Die Zielgruppe ist dabei eindeutig: Menschen, die es besonders eilig haben. Die kleine Maschine soll über dem offenen Meer die 1,6-fache Schallgeschwindigkeit erreichen können. Zwischen Berlin und New York wäre die Maschine damit mehr als doppelt so schnell wie eine Passagiermaschine. Der Flug von Berlin zum Weltwirtschaftsgipfel in Davos würde endgültig zum Katzensprung.

Billig wird das freilich nicht: Den Stückpreis eines solchen Überschalljets schätzen Experten auf mehr als 100 Millionen Dollar.

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