Großaktionär Brutale Schrumpfkur für Hochtief

Frohe Aktionäre, frustrierte Belegschaft – ein Jahr unter Vorstandschef Marcelino Fernández lässt ahnen, was der spanische Großaktionär ACS mit Hochtief wirklich vor hat. Neben diversen Verkäufen bereitet er einen massiven Personalabbau vor.

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Marcelino Fernández Verdes, Vorstandsvorsitzender von Hochtief:

Stilfragen spielen auch in der rustikalen Baubranche eine Rolle. Kurz vor Angebotsabgabe und ohne handfesten Grund Partner hängen zu lassen, „das ist schlechter Stil“, schimpft ein Bauverbands-Funktionär – und kritisiert damit den Branchenführer Hochtief.

Er spielt auf einen für die Essener peinlichen Vorgang an, über den die Branche spricht. Die Spezialtiefbau-Truppe von Hochtief wollte mit einem südafrikanischen und einem niederländischen Unternehmen die neuen Kaianlagen des Tiefseehafens Walvis Bay in Namibia bauen. „Ein hübscher Auftrag mit rund 200 Millionen Euro Auftragsvolumen“, sagt ein Hochtiefler. Im Frühjahr lag das Okay der internen Auftragskommission vor. Doch auf den letzten Drücker sagte Vorstandschef Marcelino Fernández plötzlich „no“ und verweigerte die bei internationalen Geschäften unverzichtbare Patronatserklärung, die Parent Company Guarantee (PCG), mit der sich die Geschäftspartner absichern.

Fernández' Bilanz nach einem Jahr im Amt

Offenbar zählt das südliche Afrika nicht mehr zu den Zielmärkten, auf die Fernández setzt. Wäre das den Ebenen darunter klar gewesen, „hätten wir uns viel Hirnschmalz und Zeit sparen können“, klagt ein spürbar fassungsloser Hochtief-Mann: „Auf den letzten Metern hat Fernández uns ausgebremst. Das Projekt war durch alle Instanzen durch.“ Die Niederländer und Südafrikaner standen plötzlich ohne Partner da und die international angesehenen Hochtief-Spezialisten wie dumme Jungs.

Vor einem Jahr übernahm der vom spanischen Großaktionär ACS entsandte Fernández Knall auf Fall den Vorstandsvorsitz in Essen. Der 58-Jährige agiert – wie beim Walvis-Bay-Rückzieher – ohne Rücksicht auf Verluste, lässt kaum einen Stein auf dem anderen, verkauft Bereiche reihenweise und verändert Hochtief rasant. Die Ergebnisse sind zwiespältig. Börse und Aktionäre jubeln: Der Kurs des MDax-Wertes, der im November 2012 bei 35 Euro dümpelte, kratzt heute an der 70-Euro-Grenze. Belegschaft und Branche aber sind skeptischer denn je, ob die „Projekt Mercure“ genannte Ross- und Schrumpfkur, der Fernández Hochtief unterzieht, wirklich zur propagierten Konzentration auf Kerngeschäfte führt oder doch zu der befürchteten Zerschlagung. Die Hochtief-Aktie lebt – aber stirbt mittelfristig das Unternehmen?

Am Mittwoch kündigte Marcelino Fernández Verdes an, den Konzernumbau weiter voranzutreiben und mit Stellenstreichungen in Europa die Kosten drücken zu wollen. Dazu sei bereits ein Tarifvertrag mit der IG Bau unterzeichnet worden. Es sei aber noch unklar, wie viele Stellen abgebaut werden. Im dritten Quartal verdiente der Konzern bei rückläufigen Umsatzerlösen von 5,79 (Vorjahr: 6,5) Milliarden Euro und steigenden Auftragseingängen von 8,58 (5,9) Milliarden Euro vor Steuern 254,2 Millionen Euro weniger als noch vor Jahresfrist (278,2 Millionen Euro). Unter dem Strich und nach Minderheiten stand ein Gewinn von 24,2 Millionen Euro - nach 140,4 Millionen Euro im Jahr zuvor. Zudem werden die Kosten des Umbaus in Europa mit voraussichtlich knapp 100 Millionen Euro teurer als zunächst angenommen. "Um die Profitabilität und die Wettbewerbsfähigkeit in Europa deutlich zu verbessern, brauchen wir schlanke Strukturen und effiziente Prozesse", unterstrich Fernández.

Auf der Habenseite seiner Ein-Jahres-Bilanz kann Fernández zwei Transaktionen verbuchen: den Verkauf der Flughafen-Beteiligungen und der Dienstleistungssparte.

Wiesehügels Versprechen

Hochtief erwägt den Verkauf des Offshore-Geschäfts. Außerdem bereitet Fernández einen massiven Personalabbau vor. Quelle: dpa

Der Ausverkauf aber geht noch weiter als bisher bekannt. Nach WirtschaftsWoche-Informationen will Hochtief jetzt auch das gerade erst aufgebaute und nie defizitäre Offshore-Geschäft mit rund 500 Mitarbeitern und rund 300 Millionen Euro Umsatz feilbieten. Nach den Koalitionsverhandlungen zur Energiepolitik will Hochtief „die Marktlage anschließend in Ruhe analysieren“, sagt dazu das Unternehmen. Angesichts des stockenden Offshore-Ausbaus in Deutschland wäre ein Ausstieg begründbar. Kritiker halten ihn dennoch für kurzsichtig. Hochtief-Analyst Marc Grabiel vom Bankhaus Lampe: „Das passt nicht zu den strategischen Aussagen von Hochtief, sich im Energiebereich zu engagieren.“

Offiziell stehen auf der Verkaufsliste die Hochtief Projektentwicklung, die Immobilientochter aurelis, der Baudienstleister formart, die Streif Baulogistik und das Hochtief Property Management. Während der Mannheimer Bilfinger-Konzern das Bauen nur noch als Glied einer Kette von Dienstleistungsangeboten sieht, stößt Fernández alles ab, was dem Bau vor- und nachgelagert ist. „Unsere Mitarbeiter sind Experten im Bauen“, sagte er im Interview mit der Hauszeitschrift „Concepts“: „Ich möchte, dass unsere Leute zufrieden sind. Ich möchte ein glückliches Unternehmen.“

Stellenabbau wird kommen

Doch davon ist Hochtief weit entfernt. Neben den Verkäufen bereitet Fernández einen massiven Personalabbau vor – überwiegend in Deutschland. Rund 1000 Stellen dürften wegfallen. Derzeit suchen die Personaler Kollegen, die freiwillig gehen. Betriebsbedingte Kündigungen wird es vermutlich erst 2014 geben. Denn Ende 2013 läuft die Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft IG Bau und ACS aus, die versprach, ACS werde nach der Übernahme niemandem betriebsbedingt kündigen und den Konzern nicht zerschlagen. Der damalige IG-Bau-Chef und Hochtief-Aufsichtsrat Klaus Wiesehügel erstickte damals den Widerstand der Betriebsräte mit dem Versprechen, „dass die Übernahme nicht auf dem Rücken der Hochtief-Beschäftigten ausgetragen wird“.

Die Summe von Verkäufen und Stellenabbau wird nun frappierend sein. Ende 2012 hatte Hochtief in Deutschland noch fast 10.000 Mitarbeiter, nach dem Kahlschlag werden es noch gut 3000 sein. Die sollen dann als schlagkräftige Truppe unterwegs sein, fordert Fernández: „Wir brauchen schlankere Organisationsstrukturen, kürzere Wege und einfachere Prozesse.“ Doch intime Kenner des Unternehmens sagen: „Hier herrscht das Chaos.“

Viele Hochtiefler vor dem Absprung

Fernández will alle Unternehmensbereich abstoßen, die dem Bau vor- und nachgelagert sind. Quelle: dpa

Denn bisher sind die Standorte Kompetenzcenter: Die Hafenanlagen-Spezialisten etwa agieren von Hamburg aus, das Know-how für maschinellen Tunnelbau sitzt in Essen, der Kläranlagen- und Brückenbau in Berlin. Künftig sollen alle Niederlassungen alles machen. Die Spezialisten will Fernández „in einem technischen Kompetenzzentrum bündeln, auf das alle regionalen Einheiten jederzeit zugreifen können“.

„Kaum einer außer Fernández glaubt, dass das funktionieren wird“, sagt ein Top-Manager: „Wenn alle alles machen sollen, machen viele vieles falsch.“ Laufende Projekte und Auftragsakquise litten darunter, „und bald verlieren wir die Spezialisten-Teams – weil die Konkurrenz sie abwirbt“. Dass viele Hochtiefler die Flucht ergreifen, daraus macht selbst Kommunikationschef Bernd Pütter keinen Hehl. Die Kollegen sähen „nur, dass sich Abläufe und Begriffe ändern, das Komfortniveau sinkt oder Teams neu zusammengesetzt werden“, beschreibt er in der Mitarbeiterzeitschrift das negative Klima. „Möchte ich das Unternehmen wechseln?“, fragt Pütter rhetorisch und kriegt gerade noch die Kurve: „Nein. Ich arbeite gern bei Hochtief.“ Viele tun das nicht mehr. Die Belegschaft ist gespalten. Viele traten enttäuscht aus der IG Bau aus.

Und in der Führungsmannschaft richtete Fernández ein Blutbad an. Von den 60 Teilnehmern der 2012 in Kamp-Lintfort abgehaltenen Tagung der weltweit wichtigsten Führungskräfte sind 24 nicht mehr bei Hochtief. Von den 39 deutschen Teilnehmern sind 18 nicht mehr an Bord. Fernández schießt Manager ab, die sich nicht fügen. Wer etwa Kritik an den Verträgen zum Weiterbau der Hamburger Elbphilharmonie übte, weil ihm die Risiken für Hochtief zu hoch erschienen, musste gehen. So schasste Fernández den Solutions-Vorstandschef Bernd Romanski Anfang des Jahres, einen Monat nachdem er ihn befördert hatte.

Wer Hochtief bereits verlassen hat

Jüngstes Opfer ist der angesehene Geschäftsführer der Solutions-Sparte Energie und Infrastruktur, Stephan Hebgen. Der verabschiedete sich Ende Oktober per Mail von den Mitarbeitern, nachdem er „im guten Einvernehmen“ freigestellt wurde.

Bei der Zech-Group in Bremen arbeiten inzwischen die früheren Hochtief-Manager Heiner Helbig, Rainer Eichholz und Klaus Brix, denen ehemalige Mitarbeiter folgen könnten. „Wir bekommen verstärkt Bewerbungen von Hochtieflern“, bestätigt die Zech-Group, die etwa das Großprojekt Kö-Bogen in Düsseldorf stemmte. Früher wäre ein Wechsel von Hochtief dorthin ein Statusverlust gewesen. Heute gelten Zech, Züblin oder Max Bögl als Adressen mit solideren Perspektiven und besserer Kultur. Einen „Schein-Vorstand“ nennt etwa ein Hochtief-Kenner das oberste Solutions-Gremium, in dem auch Fernández selbst sitzt: „Alles ist zugeschnitten auf ihn. Man braucht Fernández für jede Entscheidung – aber irgendwann erreichen Sie den Mann nicht mehr. Das lähmt den Laden.“

Anlage des frei werdenden Kapitals in eigene Papiere

Die größten Baukonzerne Europas
Bauarbeiter arbeiten auf einem Gerüst Quelle: AP
Bauarbeiter arbeiten auf einer Baustelle des Konzerns Strabag Quelle: dpa
Platz 8: COLAS SADer französische Konzern hat sich auf Straßen- und Schienenbau spezialisiert. Der Name des Konzerns, für den 73.600 Menschen arbeiten, setzt sich aus den englischen Wörtern "cold" und "asphalt" zusammen.Umsatz 2012: 13 Milliarden Euro Quelle: dpa
Baukräne unter grauem Himmel Quelle: AP
Ein Bauarbeiter erhitzt auf einer Baustelle Rohre Quelle: APN
Bauarbeiter in einem neu gebauten U-Bahn-Schacht Quelle: dpa/dpaweb
Ein Arbeiter des Bauunternehmens Hochtief weist einen Container ein Quelle: dpa

Die meisten Börsianer sind weniger skeptisch. Sie glauben daran, dass Fernández nichts tut, was ACS und damit auch den anderen Hochtief-Aktionären schadet. Das durch die Verkäufe frei werdende Kapital parkt Fernández bis jetzt überwiegend im eigenen Unternehmen: Er kauft Hochtief-Aktien oder die der wieder profitablen australischen Tochter Leighton. Lampe-Analyst Gabriel empfiehlt trotzdem, die Papiere jetzt abzustoßen: „Was bleibt am Ende übrig von Hochtief? Ein immer noch riskantes Europa-Baugeschäft.“

In zwei bis drei Jahren, prophezeit Gabriel, „ist dann die Zentrale in Essen fällig, und ACS wirft sie als Ballast ab“. Auch Hochtief-Insider glauben nun die langfristige ACS-Strategie zu erkennen, nach der seit der feindlichen Übernahme im Mai 2011 vergebens gefragt wird. Laut einem plausiblen Flurfunk-Szenario passt Fernández in der jetzigen ersten Phase die Hochtief-Strukturen an die der ACS-Bautochter Dragados an. Die hat Fernández drei Jahre geleitet.

Die Abstimmung wird tatsächlich schon enger: Im Herbst etwa konferierten die Vorstände von Hochtief Solutions und Dragados am Düsseldorfer Flughafen, erfuhr die WirtschaftsWoche.

Wegen des Schrumpfkurses wird bald, so glauben besorgte Hochtiefler, in Europa die Schlagkraft für große Projekte fehlen. Dann erscheint es logisch, Hochtief mit Dragados zu vereinen. Fernández könnte die Spanier kaufen – zum Beispiel mit Erlösen aus Bereichsverkäufen, durch Aktientausch oder über Kredite, die Hochtief selbst aufnimmt. Der Preis müsste dann nur hoch genug sein, um die Kasse der hoch verschuldeten ACS zu füllen.

Klingt logisch. „Auf dem entstehenden Unternehmen“, sagt ein Essener Bau-Manager, „könnte noch Hochtief draufstehen. Aber drin wäre Dragados Deutschland.“

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