Steht man Hans Guido Riegel zum ersten Mal gegenüber, wird man den Gedanken nicht los: Die Entscheidung über die Nachfolge an der Spitze des größten deutschen Süßwarenherstellers könnte nach dem Aussehen gefällt worden sein. Hohe Stirn, rundes Kinn, die gleiche Statur – Hans Guido Riegel sieht seinem verstorbenen Onkel, dem langjährigen Haribo-Chef Hans Riegel, verblüffend ähnlich. Ähnlicher noch als seinem Vater Paul, dem bis zu seinem Tod die zweite Hälfte von Haribo gehörte.
Nur in einem gleicht Hans Guido seinem Onkel überhaupt nicht: Es zieht ihn nicht in die Öffentlichkeit. Im Gegenteil. Ein halbes Jahr dauert es, bis Hans Guido Riegel seine Zusage zu einem Interview gibt. Als es so weit ist, stellt der neue Haribo-Frontmann sein Unbehagen offen zur Schau: skeptischer Blick, die Hände tief in den Taschen vergraben, die ersten Antworten kommen kurz und schroff. Fotos von ihm darf nur Haribos Hausfotograf schießen, im Internet lassen sich gar keine Bilder von ihm finden.
Zu den Personen
Der Bärchen-Zähler
Michael Phiesel, 44, startet als kaufmännischer Lehrling bei Haribo in Bonn. Der heutige Co-Chef, der aus Rheinland-Pfalz stammt, verdient sich seine ersten Sporen im Vertrieb und als Produktmanager. Nebenbei studiert er Betriebswirtschaft, bevor er als Finanzchef von Haribo in die Türkei geht. 1996 wird er Vize-Finanzchef in der Bonner Zentrale, anschließend leitet er das Konzerncontrolling. Nach dem Tod von Hans Riegel 2013 übernimmt Phiesel das Finanzressort in der Haribo Holding.
Der Bärchen-Macher
Hans Guido Riegel, 49, wächst in Bonn auf und besucht dort auch Grundschule und Gymnasium. Als Kind schon spielt er in den Drageekesseln im Bonner Haribo-Werk, wenn er seinen Vater Paul zur Arbeit begleitet. Heute verantwortet der passionierte Jäger als Geschäftsführer und Mitgesellschafter die Produktion und Technik – genau wie einst sein Vater. Sein Lieblingshobby: das Haribo Racing Team, bei dem er nicht nur Chef ist, sondern auch mal selbst als Fahrer am Steuer sitzt.
An seiner Seite in einem kleinen Konferenzraum in der Bonner Haribo-Zentrale, zwischen Hochglanzfotos von Riegels Motorsportaktivitäten und flaschenhohen Goldbären-Skulpturen auf einem Regal, sitzt Michael Phiesel: kurze Haare, rundes Gesicht, schmale Brille. Ein Schnellredner und Zahlenmensch. Seit Januar ist Phiesel als Geschäftsführer für die Finanzen im Konzern verantwortlich. Der 44-Jährige arbeitete lange als Controller unter Hans Riegel, dem Mann, der aus Haribo eine Erfolgsgeschichte machte. Nun ist es an dessen Neffen Hans Guido und an Michael Phiesel, diese Geschichte weiterzuschreiben. Was haben sie vor?
WirtschaftsWoche: Herr Riegel, Herr Phiesel, in diesen Tagen haben Schoko-Nikoläuse und Spekulatius Hochkonjunktur. Läuft das lukrative Weihnachtsgeschäft an Haribos Gummibärchen und Lakritz vorbei?
Phiesel: Natürlich nicht, wir haben auch weihnachtliche Produkte. Es gibt sogar einen Haribo-Adventskalender!
Riegel: Und wir haben eine Winteredition von Colorado mit Geschmacksrichtungen in Bratapfel, Vanillekipferl, Lebkuchen oder Karamell-Lakritz. Die war aber schon im November ausverkauft.
Wie sieht denn Weihnachten bei den Riegels daheim aus? Treffen sich alle vier Geschwister?
Riegel: Wir treffen uns um Nikolaus herum bei meiner Mutter. Da kommen wir dann alle mit unseren Kindern zusammen.
Der Expansionskurs von Haribo von 85 bis heute
Drei Jahre nachdem Haribo in den USA Fuß fassen konnte, kauft das Unternehmen die südfranzösische Firma Ricqles Zan. Aus der Fusion der Ricqles Zan mit der bereits 1967 gegründeten Haribo France S.A. geht Ende 1987 die neue Firma Haribo-Ricqles Zan S.A. hervor. Das Unternehmen mit Standorten in Marseille und Uzès beliefert Frankreich und Südeuropa mit Fruchtgummis und anderen Süßwaren.
1986 übernimmt Haribo die Edmund Münster GmbH & Co. KG in Neuss. Das Unternehmen wurde im Jahre 1898 als "Düsseldorfer Lakritzenwerk" gegründet und zwei Jahre später vom Industriellen Münster übernommen. Münster hatte 1930 auch die Lizenz für Kaubonbons erworben. Mit der Übernahme der Edmund Münster GmbH & Co. KG 1986 gelangte so auch "Maoam" zu Haribo.
1989 entsteht im norwegischen Oslo die Vertriebsorganisation Haribo Lakris A/S.
Nach dem Mauerfall übernimmt Haribo die Süßwarenfabrik WESA mit Sitz in Wilkau-Haßlau. Ursprünglich als Lebkuchen- und Schokoladenfabrik gegründet war das Unternehmen zu Zeiten der DDR zum volkseigene Betrieb geworden.
Ebenfalls 1990 schafft sich Haribo ein Standbein in Italien, in dem das Unternehmen 100 Prozent der Aktien der Mailänder Firma Sidas Dolciaria S.p.A. kauft. Nach der Übernahme wird daraus die Haribo Italien S.p.A.
Haribo erweitert sein Geschäftsfeld in Finnland und gründet die Vertriebsorganisation Haribo Lakrids Oy AB in Helsinki.
1993 übernimmt Haribo die 1975 eingetragene Marke Vademecum: Vadamecum hatte Zahnpflegekaugummis und Hustenbonbons vertrieben.
1995 eröffnet der Süßwarenproduzent eine Produktionsstätte in Spanien, die Haribo España S.A.
Haribo übernimmt die belgische Firma Dulcia. Seit 2007 produziert die Haribo Belgie B.V.B.A die Marshmallow-Marke "Haribo Chamallows".
Haribo kauft den spanischen Süßwarenproduzenten Geldul in Alicante und gründet die Vertriebsniederlassung HARIBO CZ s.r.o in Tschechien.
Seit dem Jahr 2000 produziert Haribo auch in Ungarn. Außerdem erweitert das Unternehmen sein Imperium um den niederländischen Süßwarenhersteller Hoepman.
Das Unternehmen aus Bonn erschließt sich im Jahr 2001 mit der Übernahme des türkischen Fruchtgummi- und Schaumzuckerherstellers Pamir Gida Sanayi A.S auch den arabischen Raum.
2002 eröffnet Haribo eine Vertriebsniederlassung in Polen.
Haribo gründet die Vertriebsniederlassung Ooo Haribo Konfetey in Moskau.
Ein Jahr später baut das Unternehmen auch in der Slowakei eine Vertriebsorganisation auf.
Im Jahr 2005 kommen zum Goldbären-Imperium noch Vertriebsorganisationen in Australien und Portugal dazu.
Herr Riegel, Ihr Vater Paul und Ihr Onkel Hans haben jahrelang nicht miteinander gesprochen. Jetzt sind Sie als Nachfolger Ihres Vaters in der Geschäftsführung, und Herr Phiesel übernimmt das operative Geschäft, das vorher Ihr kinderloser Onkel verantwortet hat. Wie fällen Sie Entscheidungen, wenn Sie sich uneinig sind?
Phiesel: Das kommt selten vor.
Riegel: Und wenn doch, dann sollte man die Entscheidung besser überschlafen. Aber meistens sitzen wir nicht alleine am Tisch, sondern mit Fachleuten aus den Landesgesellschaften.