Heinrich Weiss Der Chef der SMS Group kämpft um sein Lebenswerk

Der Gewinn ist im Keller, die Kunden zögern und die Konkurrenz wird aggressiver. Beim Anlagenbauer SMS Group herrscht Krisen-Stimmung. Mit einer neuen Strategie will der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich Weiss das Ruder rumreißen.

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Heinrich Weiss, Miteigner und Aufsichtsratchef der SMS Group, kämpft um die Zukunft des Hütten- und Anlagenbauers. Quelle: imago images

Mit federnden Schritten betritt er die Lobby des Negresco, Nizzas feinster Hoteladresse. Die schneeweiße Promi-Absteige an der Côte d’Azur hat Heinrich Weiss als Treffpunkt gewählt, um mit der WirtschaftsWoche über ein unbequemes Thema zu sprechen. Zum ersten Mal in seinem Leben muss der 72 Jahre alte Familienunternehmer in vierter Generation, Mehrheitsgesellschafter und Aufsichtsratsvorsitzender der Düsseldorfer SMS Group, mit schwerwiegenden Problemen kämpfen.

Der Gewinn des mehr als 140 Jahre alten Herstellers schlüsselfertiger Stahl-, Walz- und Röhrenwerke rauschte 2013 um fast ein Drittel nach unten. In Russland stocken Investitionen in Höhe von einer Milliarde Euro, weil der Westen das Putin-Regime wegen der Krise in der Ukraine isoliert. In Asien zögern Kunden oder wollen die Preise drücken. Noch verfügt SMS über Finanzpolster, aber Weiss ist alarmiert, klinkt sich wieder stärker ins Geschäft ein und will der Gruppe jetzt eine Rosskur verschreiben.

Siemens im Visier

Seine Strategie: 250 Millionen Euro will er vor allem bei den Herstellungskosten einsparen, damit SMS günstiger anbieten kann. Auch betriebsbedingte Kündigungen werden, besonders beim Stahlwerksbau, nicht ausgeschlossen. Die Anlagen für das Kochen und Walzen von Stahl und Röhren sollen technisch einfacher ausgelegt werden, damit die Margen auch bei niedrigen Preisen wieder steigen. Dazu ruft Weiss jetzt Arbeitsgruppen ein.

Darin sollen SMS-Techniker aus dem Ausland den deutschen Ingenieuren den Weg weisen, wie man die Anlagen weniger komplex und damit billiger bauen kann. Zudem will Weiss Siemens angreifen. Früher von den Münchnern bezogene elektronische Bauteile für den Eigenbedarf stellt er schon selbst her. Künftig wird eine eigene Geschäftseinheit daraus erwachsen, die die Teile auch an andere Unternehmen verkauft.

20 Prozent Überkapazität

Noch verfügt die SMS Group mit 3,5 Milliarden Euro Umsatz und 13 600 Beschäftigten, davon 6350 in Deutschland, laut Weiss über liquide Mittel von 1,6 Milliarden Euro. Aber zu hohe Kosten und ein Gewinneinbruch sind Alarmzeichen, „bei dem ein Unternehmer handeln muss“, stellt Weiss fest und nippt an seinem Tee.

Er hält 54 Prozent an SMS, die restlichen Anteile haben seine beiden Schwestern an ihre sieben Kinder abgegeben. Die Satzung schreibt vor, dass in der Regel nur zehn Prozent vom Gewinn an die Familie geht. Der Rest bleibt im Unternehmen. Der Gewinn lag 2013 vor Steuern bei 178 Millionen Euro, das ist eine Umsatzrendite von fünf Prozent. Die reiche aber nicht, „wir benötigen in der Regel zehn Prozent, und die fordere ich auch“, sagt Weiss, um die Abhängigkeit von Banken zu senken.

Davon ist seine SMS Group weit entfernt. Der Konkurrenzkampf auf dem Markt für Stahl- und Walzwerke ist hart, die Preise unter Druck. Die Gruppe wird von ihren Konkurrenten regelrecht gejagt. Weltweit gibt es nur noch zwei: den italienischen Familienkonzern Danieli, etwa genauso groß wie SMS, und den etwas größeren Hütten- und Großanlagenbauer VA-Tech. Der gehört zu Siemens, aber Vorstandschef Joe Kaeser will 70 Prozent der Anteile an den japanischen Konzern Hitachi Heavy Industries verkaufen, der in Sachen Großanlagenbau eine Europa-Offensive starten will.

"Wachstum ist nicht alles"

Weiss kennt solche Bedrohungen. Er hat immer versucht, das Familienunternehmen durch Zukäufe so groß werden zu lassen, dass es in der Weltliga mitspielen konnte. Daher fusionierte er die 1871 von seinem Urgroßvater als Schmiede gegründete Siemag Anfang der Siebzigerjahre mit dem Düsseldorfer Schwermaschinenkonzern Schloemann zu SMS – SM steht für Schloemann, das zweite S für Siemag. 1999 folgte der nächste Schlag: „HW“, wie Weiss intern genannt wird, kaufte anlässlich der Übernahme von Mannesmann durch den britischen Mobilfunker Vodafone das Hüttengeschäft der Düsseldorfer.

Nach dem Parforceritt zur Weltgeltung weiß der Unternehmer heute: „Wachstum ist nicht alles, der Gewinn muss stimmen.“ Genau da hapert es. Weiss bekommt zurzeit zwar Aufträge, aber nur für kleine Anlagen, und die bringen nicht genug Ertrag. Grund für die Zurückhaltung seiner Kunden ist die Stahlkrise: Weltweit gibt es nach Expertenschätzung 20 Prozent Überkapazität. Die Preise sinken, der Kostendruck wird von den Stahlproduzenten an die Hüttenlieferanten weitergegeben, deren Margen ebenfalls schmelzen.

Zu teure Angebote

Ein gutes Beispiel für diese Kettenreaktion ist der Auftrag, den die SMS Group vorvergangene Woche bekam. Der Stahlkocher Big River Steel aus Mississippi County baut im US-Staat Arkansas für 1,6 Milliarden Dollar ein neues Werk. Doch die Düsseldorfer bekamen nicht den Komplettauftrag für das gesamte Werk, sondern nur einen Auftragsanteil von 400 Millionen Euro.

In den mehr als fünf Jahre dauernden Verhandlungen drückte Big River Steel den Preis zudem immer weiter. Die Folge: SMS fand keine Geschäftsbank mehr, die das Großprojekt finanzieren wollte. Erst als die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Exportkredit in Höhe von 794 Millionen Dollar gewährte, konnte die SMS Group den Vertrag unterschreiben.

Umsätze und Gewinne der SMS Group

Dass es anderen Anlagenbauern ähnlich geht, weil Geschäftsbanken große Risiken scheuen, ist für Weiss ein schwacher Trost. Denn die Krise bei SMS ist zumindest zum Teil hausgemacht. Weiss verliert Aufträge an Konkurrenten, die ihm lukrative Großaufträge vor der Nase wegschnappen.

Nicht nur, dass SMS häufig zu teuer ist, es gibt auch ein kulturelles Problem. Das Top-Management handelt nicht so, wie es Weiss von seinem Vater gelernt und selbst immer praktiziert hat: direkt zum Kunden gehen, persönliche Beziehungen aufbauen, bei Problemen auf der Matte stehen. Daher wolle Weiss jetzt eine neue „We-try-harder-Atmosphäre“ schaffen, schildert ein Mitarbeiter den Stil des 72-Jährigen.

Vor zwei Jahren suchte Benteler aus Paderborn für seine Stahlröhrenproduktion mit fast einer Milliarde Euro Umsatz einen Lieferanten für ein neues Werk im US-Staat Louisiana. Monatelang hing der Großauftrag im Volumen von 300 Millionen Euro in der Schwebe. SMS kam nicht zum Zug, Konkurrent Danieli bot preiswerter an. Dennoch verzieh Weiss seinem Vorstandssprecher Joachim Schönbeck, den er 2004 von Siemens geholt hatte, um das Röhrengeschäft zu leiten, und machte ihn zu seinem Nachfolger als Holding-Chef.

Revidierte Fehlentscheidungen

Bis Schönbeck sich einen zweiten Patzer erlaubte: Anfang des Jahres ging ein weiterer Großauftrag an der SMS Group vorbei. Diesmal suchte der russische Oligarch Anatoli Sedych einen Hüttenzulieferer, der ihm ein neues Großröhrenwerk in Vyksa, 500 Kilometer südwestlich von Moskau, errichtet. Volumen: 400 Millionen Euro. Doch obwohl Weiss Sedych seit Jahren gut kennt, konnte Schönbeck auch diesen Auftrag nicht gewinnen, weil SMS zu teuer war.

Für Weiss war das Maß damit voll: Nach nur neun Monaten im Amt musste Schönbeck im März dieses Jahres seinen Hut nehmen. Seitdem führt Burkhard Dahmen die Holding. Dahmen ist ein Eigengewächs. Er leitete zuvor die Sparte SMS Siemag im Siegerland, die im Weiss-Reich für die Planung, Projektierung und Errichtung von Stahl- und Walzwerken zuständig ist. Der Patriarch korrigiert mit seiner Personalentscheidung auch eine eigene Fehleinschätzung: Er hatte Schönbeck Dahmen vorgezogen, weil Letzterer zu sehr operativer Großanlagenbauer und zu wenig Stratege zu sein schien. Nun übertrug er Dahmen die Verantwortung für das Restrukturierungsprogramm bei der Gesamtgruppe.

Hilfe von Chinesen

Dahmen soll vor allem Kosten kappen. Einen Kostenblock von 250 Millionen Euro soll der neue Vormann aus dem Konzern herausschneiden. „Die Gemeinkosten haben wir bereits ziemlich weit heruntergebracht, jetzt sind die Herstellkosten an der Reihe, die bei uns 70 Prozent vom Auftragswert betragen“, sagt Weiss.

Dazu wurden jetzt 15 Arbeitsgruppen gebildet, die Komplexität aus dem Anlagenbau herausnehmen und Doppelfunktionen eliminieren sollen. „An den Arbeitsgruppen sollen auch unsere ausländischen Mitarbeiter teilnehmen, die einen Sinn für einfache Lösungen haben. Ihnen soll genau zugehört werden“, sagt Weiss – vor allem den chinesischen Ingenieuren, die einen praktischen Sinn für Einfachheit haben. SMS beschäftigt in Shanghai 1000 Mitarbeiter. Von denen sollen einige nun helfen, Anlagen einfacher und billiger zu machen, damit SMS wieder mehr verdient.

Neue Aufträge erhofft sich Weiss durch einen Angriff auf Siemens. So will er beim Geschäft mit elektronischen Steuerungen stärker mitmischen. Bis 2006 kaufte SMS solche Komponenten bei der Siemens-Sparte Automation and Drives in Erlangen, seitdem baut SMS die Relais in Eigenregie. Elektrik und Automation haben bei Stahlwerken einen Anteil von 25 Prozent, 75 Prozent ist Mechanik. Den Elektronikbereich will Dahmen jetzt erweitern, um auch anderen Unternehmen die Automation anzubieten und das Ersatzteilgeschäft auszubauen. 300 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet die neue SMS-Sparte bereits.

Ein Problem bleibt ungelöst: die Nachfolge von Weiss als Chefkontrolleur und Vertreter der Eigentümerfamilie. Weiss hat zwar einen Sohn. Der ist aber erst 23 Jahre alt und studiert noch Wirtschaftswissenschaften. Bis der Filius managementtauglich ist, wird es noch dauern. Wer wird sein Nachfolger? Weiss, sonst nie um eine Antwort verlegen, schweigt.

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