Christian Rudders Visitenkarte könnte eine der außergewöhnlichsten der Welt sein: Zahlenfreak und Liebesengel müsste dort eigentlich stehen. Denn der Mitgründer der amerikanischen Onlineplattform Okcupid, vergleichbar mit deutschen Partnerbörsen wie Parship oder Friendscout24, hat eigentlich Mathematik an der Eliteuniversität Harvard studiert. Rudder mag Zahlen. Doch noch mehr liebt er es, große Datenmengen zu lesen, auszuwerten und zu verstehen. Vor allem, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht.
Was das Internet über Sie weiß
Warum hat sich das eine Pärchen gefunden und das andere nicht? Wer bekommt die meisten Anfragen kontaktfreudiger Singles? Doch auch wer nicht auf einen solchen digitalen Verkuppler setzt, hinterlässt Spuren im Netz, die v erfasst und ausgewertet werden. Laut einer noch unveröffentlichten Studie des Browser-Herstellers Cliq verfolgt Google zum Beispiel mehr als 60 Prozent aller Seitenaufrufe. Entwickler untersuchten dafür anhand von 200.000 deutschen Nutzern des Browsers Firefox, ob sie Daten mittels spezieller Tracking-Programme nach außen leiten.
Konkrete Big-Data-Beispiele
Im Gesundheitswesen werden wertvolle Informationen über Nebenwirkungen von Medikamenten und die Wirksamkeit neuer Behandlungsmethoden gewonnen, indem Erfahrungsberichte von Patienten und Ärzten im Internet anonym ausgewertet werden.
Die Stadt Stockholm realisiert ein intelligentes Verkehrsmanagement, um Staus und Unfälle zu vermeiden. Grundlage ist die Analyse von Verkehrs- und Wetterdaten.
Einen Beitrag zur Energiewende leistet die Messung und Analyse des Stromverbrauchs mit Smart Metern, um den Bedarf genauer vorherzusagen und den Verbrauch zu reduzieren.
Bei mehr als sechs von zehn Webseiten-Aufrufen in Deutschland wird Google über den Besuch informiert. Facebook ist immerhin bei zwei von zehn Aufrufen dabei. Christian Rudder würde das kaum überraschen. Angereichert mit Daten aus den sozialen Netzwerken, hat er ein Buch darüber geschrieben, das in diesen Tagen auf Deutsch erscheint. Darin zeigt er, was nicht nur seine eigene Plattform, sondern auch Facebook, Twitter oder Google bereits jetzt über unsere Beziehungen, Freundschaften, sexuelle Orientierung, sprich: über unser Leben, wissen.
Ein Auszug aus seinem Buch.
Sie denken, ein Facebook-Like ist harmlos? Hoffentlich werden Sie nicht arbeitslos.
"Im Jahr 2009 führte Facebook den „Gefällt mir“-Button ein und veränderte damit die Art, wie Internetnutzer Inhalte gemeinsam wahrnehmen. Facebook fügte einem bereits sehr robusten sozialen Netzwerk noch das Element der Kuration hinzu – jeder, der etwas auf Facebook postete, konnte sich jetzt ganz einfach eine positive Rückmeldung des Publikums in Form dieses kleinen ikonischen hochgereckten Daumens abholen. Dadurch entstand eine neue, überall akzeptierte Mikrowährung – ich zahle Ihnen vielleicht nichts für Ihren Aufsatz, Ihren Song oder was auch immer, aber ich gebe Ihnen ein winziges Stückchen Anerkennung und teile Ihr Werk mit meinen Freunden. Im Mai 2013 verzeichnete Facebook 4,5 Milliarden „Gefällt mir“ pro Tag und im September desselben Jahres eine Gesamtzahl von 1,1 Billionen. Eine britische Gruppe hat 2012 dokumentiert, dass sie folgende Eigenschaften eines Nutzers nur aus seinem Einsatz des „Gefällt mir“-Buttons ableiten kann:
Eigenschaft des Nutzers | Trefferquote in Prozent |
homo- oder heterosexuell (Männer) | 88 Prozent |
homo- oder heterosexuell (Frauen) | 75 Prozent |
Weiße(r) oder Schwarze(r) | 95 Prozent |
Mann oder Frau | 93 Prozent |
Demokrat oder Republikaner | 85 Prozent |
Drogenkonsument | 65 Prozent |
Scheidungskind | 60 Prozent |
Das Muster der „Gefällt mir“-Klicks taugt sogar als Ersatz für einen Intelligenztest – dieser Algorithmus kann die IQ-Punkte, die man in einem separaten Test erzielen würde, ziemlich zuverlässig voraussagen. So viel kann man schon aus drei Jahren angesammelter Daten von Menschen ableiten, die Facebook -Nutzer geworden sind, nachdem sie zuvor Jahrzehnte ohne dieses Netzwerk ausgekommen waren. Was wird dann erst alles möglich sein, wenn man Daten zur Verfügung hat, die bereits in der Kindheit des Nutzers einsetzen?