Industrie 4.0 Kleine Zulieferer, die Verlierer der Digitalisierung

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Angst vor Datenklau

Dabei erweist sich die Angst, bei der digitalen Vernetzung die Hoheit über die Unternehmensdaten sowie streng gehütetes Know-how zu verlieren, als eines der großen Hemmnisse auf dem Weg zu Industrie 4.0. „Die nötige Öffnung der Daten der eigenen Produktion für Zulieferer oder Abnehmer wird jedem Geschäftsführer eines kleinen oder mittleren Betriebes ein mulmiges Bauchgefühl bereiten“, sagt Wirtschaftsförderer Hoerner.

Industrie 4.0: Schwieriger als gedacht. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Das liege zum einen daran, dass die Unternehmer um ihre Betriebsgeheimnisse fürchten. Zum anderen sei dies aber auch ein Zeichen unzureichender IT-Sicherheit. „Keiner im Unternehmen kann die Cyberrisiken realistisch abschätzen, da meist ein dezidiertes IT-Sicherheitskonzept fehlt“, sagt Hoerner. Komme noch hinzu, dass Industrieversicherer für die Abwehr von Cyberrisiken zusätzliche Auflagen machen, sei die Zurückhaltung komplett, meint der Niedersachse. „Manch ein Geschäftsführer wird allein aufgrund dieser zu erwartenden Komplexität von Industrie-4.0-Konzepten Abstand nehmen.“

Für alle Zulieferer sind künftig einheitliche Software- und Schnittstellenstandards zwingend nötig, um Unternehmen im In- und Ausland als Kunden zu behalten und um kostengünstig zu arbeiten. Doch noch immer streiten sich diverse deutsche und europäische Arbeitskreise um die Festlegung dieser Standards. Gleichzeitig beginnen die Großen, eigene Regeln festzulegen – auch für die Zulieferer. Die Großen sitzen dabei oft am Tisch, die Kleinen aber schauen von außen zu.

Viele Möglichkeiten, darauf zu reagieren, haben diese Lieferanten nicht. „Kleine Unternehmen können sich nur an einen der Großen dranhängen. Aber setzen sie auf das falsche Pferd, können sie ihre Investitionen in Industrie-4.0-Konzepte später wieder abschreiben“, sagt Günter Dueck, Ex-Technik-Chef von IBM Deutschland, der heute Unternehmen berät.

Doch ausgerechnet die erhoffte Standardisierung birgt eine grundsätzliche Gefahr für Zulieferer. Denn dadurch sinken sowohl die Marktzugangsbarrieren für Wettbewerber als auch die Hemmschwellen für die Abnehmer, sich von langjährigen Geschäftspartnern zu trennen.

„Mit Standards können die Kunden ihre Zulieferer viel einfacher als bisher austauschen, und es kommt zu einem gewaltigen Preiswettbewerb“, so Dueck. Die mühsame Suche nach dem besseren, bestenfalls auch noch billigerem Anbieter wird leichter. Auch die kleinen Zulieferer wissen genau, welche Vorteile die heutige Intransparenz für sie zurzeit noch hat. „Unübersichtliche Strukturen lassen Nischenanbieter bislang noch überleben“, warnt Dueck. Mit Industrie 4.0 drohe das Ende dieser Idylle.

Ende der Zwischenhändler

Bislang dreht sich bei Industrie 4.0 alles um die Produktion. Kaum jemand spricht von den Händlern und Vertriebsgesellschaften zwischen der Fabrik und dem Endkunden. Gerade denen droht schon bald Ungemach, ist Markus Lorenz, Maschinenbauingenieur und Partner bei Boston Consulting Group, überzeugt: „Dort, wo Standardisierung Produkte austauschbar, ihre Preise vergleichbar und die Lieferkette transparenter macht, versuchen die Kunden, Intermediäre und ihre Handelsstufen auszuschalten und Geld zu sparen.“

Trostlos ist die Zukunft kleiner Zulieferer durch Industrie 4.0 allerdings nicht. Unternehmen, die ihren Kunden auch nach der Warenlieferung weiteren Service anbieten können, werden nach Meinung von Experten überleben. Gemeint sind damit nicht mehr Wartungsarbeiten, sondern Dienstleistungen mit den Daten zu den gelieferten Produkten. Smart Services oder Smart Products heißen solche Angebote.

Smart Products, das sind Waren, Maschinen oder Anlagen, die über das Internet vernetzt bleiben, auch nachdem sie die Fabrik verlassen haben. So kann ein Aufzughersteller einem Unternehmen anbieten, die Lifte in einem Hochhaus auf Energieeffizienz zu trimmen. Je nachdem, ob die U-Bahn nebenan gerade einen Schwung Besucher ausspuckt oder nicht, setzen sich unterschiedlich viele Aufzüge in Bewegung. Konkurrenzangebote ohne den Zusatznutzen dürften künftig im Papierkorb landen.

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