MWC Wie 5G den Mobilfunk revolutioniert

Seite 3/3

Die Rechner verlassen die Rechenzentren

Im Projekt Tracovino – das Wortspiel verbindet Wein und Tracking – erfassen solarbetriebene Sensoren in den Weinbergen etwa von Kilian und Angelina Franzen Temperatur, Luft-, Boden- und Blattfeuchtigkeit sowie Sonnenstrahlung. Die Daten landen per Funk auf den Tablet-Computern der Winzer. So können die erkennen, ob nach heftigem Regen Pilzbefall droht oder bei Dürre Trockenstress. Tester Franzen hofft, dank Funk und Sensoren „viel gezielter als bisher spritzen und bewässern zu können“.

Für Industriekunden wie Klaus Fröhlich, Entwicklungsvorstand des Autobauers BMW, wiederum ist – neben der Stabilität der Netze – vor allem eins entscheidend: Damit Autos einander etwa vor Unfällen oder Eisglätte warnen können, müssen sie nicht nur ständig, sondern auch extrem schnell miteinander kommunizieren, sagt Fröhlich. „Ohne neue Netze geht das nicht. Auf dem Weg zum autonomen Fahren gehören Fahrzeugsensorik und 5G zusammen.“

Wie alle deutschen Hersteller schickt daher auch Fröhlich seine Entwickler mit Ingenieuren der Netzausrüster auf Probefahrten. Eine der wichtigsten Teststrecken ist die Autobahn 9, quasi ein asphaltiertes Labor.

Im November demonstrierten dort Telekom, Nokia, Autozulieferer Continental und das Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik, wie sie die Reaktionszeit des Netzes beim Datenaustausch um rund 90 Prozent verkürzen wollen. Dazu rüsteten sie Basisstationen an der Autobahn mit Computertechnik aus.

Wie das Internet der Dinge die Wirtschaftsleistung ankurbelt

Heute wandern die Daten noch über mehrere Netzknoten zu entfernten Rechenzentren, um die Fahrzeuge zu koordinieren. Das dauert. An der A 9 erledigen dies die Prozessoren in den garagengroßen Betonwürfeln. „Das Kommunikationsnetz wird zum flächendeckenden Rechenzentrum, die Datenverarbeitung wandert in die Basisstationen“, beschreibt Telekom-Technikchef Jacobfeuerborn den radikalen Umbruch.

Google und Facebook sehen sich bedroht

Das hat Folgen, weit über die Mobilfunkwelt hinaus. „Der Übergang zum Internet der Dinge mit 5G kehrt den Megatrend zum Cloud Computing (Datenverarbeitung im Internet; die Red.) teilweise wieder um“, prognostiziert Mobilfunk-Professor Fitzek. Die Vorstellung, autonom fahrende Google-Autoflotten aus Cloud-Rechenzentren in den USA zu steuern, sei angesichts der langen Übertragungszeiten der Signale über die Transatlantikkabel illusorisch.

Für die Netzbetreiber wie Telekom oder Vodafone, die sich von den Internetkonzernen seit Langem in die Rolle des billigen Datentransporteurs gedrängt sehen, ist das eine gute Nachricht. „Mit 5G sitzt die Cloud nicht mehr im Rechenzentrum, sondern wandert ständig mit – von Funkmast zu Funkmast“, sagt Vodafone-Deutschlandchef Hannes Ametsreiter. „Damit eröffnen die intelligenten Netze der Zukunft auch Kunden und Betreibern ganz neue Geschäftsfelder.“

Robert Stumpf, Netzexperte bei der Unternehmens- und Technologieberatung Accenture, beschreibt das Risiko für Amazon, Google, Microsoft und Co. „Das bisherige Infrastrukturmodell mit seinen riesigen, abgelegenen Rechenzentren funktioniert im 5G-Zeitalter bei zeitkritischen Anwendungen nicht mehr.“ Das hebe die Chancen der Netzbetreiber, „ihre Wertschöpfung auszubauen und die Margen zu steigern“.

Den Internetriesen scheint die Gefahr für ihr lukratives Cloud-Geschäft durchaus bewusst zu sein. Längst investieren sie Millionen in die Entwicklung eigener Funksysteme. Facebook etwa hat vergangenen Sommer Aquila vorgestellt – eine riesige solarbetriebene Drohne. Sie soll drei Monate in der Luft bleiben und ganze Landstriche mit Internet versorgen. Google entwickelt im Projekt Loon ebenfalls fliegende Funkstellen in Form von Ballons und testet unter dem Codenamen Skybender im US-Bundesstaat New Mexico spezielle Drohnen und Empfangstechnik am Boden für 5G-Mobilfunkfrequenzen.

Viel Zeit bleibt den Europäern also nicht, wollen sie nicht erneut ins Hintertreffen geraten. Nokia-Innovationsmanager Held fordert daher, rasch auch in Europa ein fixes Startdatum für das Übernetz festzulegen, so wie die Koreaner und Japaner. Den perfekten Zeitpunkt hat er schon: „2020 findet, einen Monat vor den Olympischen Spielen in Japan, die Fußballeuropameisterschaft in 13 europäischen Städten statt. Gibt es einen besseren Startschuss für 5G?“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%