Start-ups und Industrie 4.0 Die Industrie ist eine Spielwiese für Start-ups

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Bei der Idee hilft manchmal der Zufall

In diese Kategorie gehört auch Cassantec aus Zürich. Die Gründer verweisen mit ihrem Firmennamen bewusst auf Cassandra, die Tochter des Trojanischen Königs Priamos. Die tragische Figur der griechischen Mythologie warnte vor dem Untergang Trojas, doch ihre „Kassandrarufe“ blieben ungehört. Dieses Schicksal wäre ihr möglicherweise erspart geblieben, hätte sie mit den mathematischen Methoden von Cassantec argumentiert.

Die schließen aus historischen und aktuellen Prozessdaten, etwa Temperatur oder Schwingungen an Maschinen, auf Risikoprofile und verbleibende Restlebensdauern für Maschinen und Anlagen. Damit bietet das Unternehmen einen Service an, der fast immer mit Industrie 4.0 in einem Atemzug genannt wird: vorausschauende Wartung. Ziel der Software ist es, Managemententscheidungen auf fundierte Fakten zu stellen und gleichzeitig die Komplexität der Informationen für den Nutzer zu reduzieren.

Eine coole Idee reicht nicht immer

Viele der Gründerideen zu Industrie 4.0 stammen aus Universitäten, von Studenten, Doktoranden, selten auch Professoren, die sich mit ihrem Forschungsthema selbstständig gemacht haben. Doch nicht immer sind Start-ups die logische Verlängerung ehemaliger Forschungsarbeit. Manchmal stammt die Gründungsidee aus einem Zufall.

Als Student hatte Paul Günther bei BMW Werksführungen geleitet und festgestellt, dass alle Werker mit Handschuhen arbeiten. Daraus entstand das Konzept eines intelligenten Handschuhs mit verschiedensten Sensoren und Feedback-Möglichkeiten. ProGlove erkennt, ob Arbeitsschritte in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden und dokumentiert die Montagequalität. „Wir machen Hände intelligenter“, sagt Günther. Die Juroren des Neumacher-Gründerwettbewerbs der WirtschaftsWoche waren begeistert und kürten Günther und seine Kollegen zum Sieger 2015. Auf der Hannover Messe 2016 ist ProGlove an den Ständen von Continental, SAP und Deutsche Telekom mit Demos vertreten.

Eine coole Idee und ein überzeugendes Gründerteam reichen nicht immer, um als Winzling einen 2,5 Milliarden Euro schweren Markt aufzurollen. Denn so viel geben deutsche Unternehmen jährlich für das Picken aus, das Lokalisieren und Greifen von Objekten aus einem Regal. Das geschieht heute ausschließlich manuell.

Magazino, ein 2014 in München gegründetes Start-up, möchte das Picken automatisieren. Dazu haben sich die Gründer gleich einen starken Partner gesucht, der ihnen Geld und damit Zeit verschafft, die Idee zur Marktreife zu entwickeln. Gefördert mit dem Gründerstipendium EXIST und anfangs finanziert vom Hightech-Gründerfonds, wird Magazino seit Mai 2015 von Siemens Innovative Ventures als strategischem Partner unterstützt. Magazino baut automatisierte Packroboter, die Logistikprozesse in Betrieben – etwa in Onlineshops mit großem Lagerbestand – effizienter machen sollen.

Das Modell Toru Cube ist eine Art kleiner, vollverkleideter Gabelstapler, der selbstständig durchs Lager navigiert und mit einem Greifer einzelne Objekte wie Bücher, Schuhkartons oder Pakete aus dem Regal in seinen Bauch zieht und diese zum Verpacken bringt. Über Laserscanner erkennt der Roboter, wenn jemand seinen Weg kreuzt, dadurch kann er auch gemeinsam mit seinen menschlichen Kollegen im selben Lager arbeiten. Weitere Modelle mit Greifern zum Picken von Kleinteilen aus Behältern sind in der Entwicklung. Die Vorteile von Toru liegen auf der Hand: Der Logistikroboter arbeitet rund um die Uhr und spart teure und mühsame Handarbeit ein.

Für Siemens ist das Engagement bei Magazino Vorbild für weitere Aktivitäten. Ende 2015 hat der Weltkonzern eine Einheit mit dem Arbeitstitel „Innovation AG“ geformt, die angehende Gründer – sowohl aus dem Unternehmen als auch außerhalb – unter ihre Fittiche nimmt, sie mit Risikokapital versorgt und ihnen so Raum zum Experimentieren und Wachsen gibt. „Forschung im 21. Jahrhundert darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden“, sagt Siemens-Technikvorstand Siegfried Russwurm, „Anleihen im Crowdsourcing, Hackathons im Softwarebereich, Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen genauso wie mit kleinen, wendigen Start-ups – all das gehört bei Siemens heute zum Alltag.“

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