Marius Schmeding segelt leidenschaftlich gerne. Ein teures Hobby, das sich der Elektrotechnik-Student während seines Studiums eigentlich nicht leisten konnte. Um dennoch ab und zu die Segel setzen zu können, hatten er und zwei Freunde eine clevere Idee: Sie schafften sich gemeinsam ein Segelboot an und entwickelten eine App für einen virtuellen Marktplatz, auf der Segelbegeisterte Boote mieten und vermieten konnten.
Das Konzept kam an, doch die Kommunikation zwischen dem GPS-Tracker, der die Route der Boote verfolgt, dem Reservierungssystem und der App war eine harte Nuss. „Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir dieses Knowhow auch für ganz andere Anwendungen einsetzen können“, erinnert sich Schmeding. Zum Beispiel zur Kommunikation zwischen Maschinen in einer Fabrik.
Vor einem Jahr gründeten die Drei die Cybus GmbH. Das Unternehmen bietet eine Software an, eine so genannte Middleware, die Daten aus Maschinen in der Produktion sammelt und für die weitere Auswertung aufbereitet. Der Kunde muss dabei die Daten nicht in die Cloud legen, sondern kann sie auf eigenen Rechnern speichern – ein großes Plus, findet Schmeding, „denn vielen Mittelständlern ist die Cloud zu unsicher und großen Unternehmen erleichtert es die Integration in ihre bestehende IT“.
Cybus ist eines von zahlreichen Start-ups, die auf der Industrie-4.0-Welle mitsegeln. 40 Milliarden Euro will die deutsche Industrie in den nächsten fünf Jahren für die Digitalisierung ausgeben, schätzen die Wirtschaftsprüfer von PwC. Kein Wunder also, dass auch Gründer ein paar Krümel von diesem Kuchen abhaben wollen. Die Ideen ähneln sich oft: Maschinen, Roboter oder Bauteile erzeugen Unmengen Daten, die an die Fertigungssteuerung oder in die Betriebsplanungssoftware übermittelt und dort zu sinnvollen Informationen verarbeitet werden müssen.
Spielwiese für Start-ups
Diese Kommunikation ist eine Spielwiese für Start-ups. Einige habe Boxen entwickelt, die Sensordaten sammeln und über eine gesicherte Verbindung übermitteln, andere programmieren so genannte Cockpits, die den Datenwust visualisieren, betriebliche Entscheidungen erleichtern und die Basis für neue Geschäftsmodelle sein sollen.
Damit wirbt auch Cybus. Ein Produzent von Klimamodulen für Schaltschränke nutzt die Middleware der Hamburger, um damit vorausschauende Wartung für seine Kunden anzubieten. So sollen drohende Defekte erkannt werden, bevor sie zu einem Ausfall führen und für diesen Service lässt sich der Hersteller der Klimamodule bezahlen.
Langfristig möchte Cybus daran mitverdienen. Die Software kostet derzeit nichts, die Gründer verdienen ihr Geld mit Beratung und Projekten, bei denen Cybus in Anlagen integriert wird. Eine geplante Finanzierungsrunde soll nun frisches Geld ins Unternehmen spülen, damit das Produkt schneller reift und viele Kunden anspricht. Dann, so der Plan, werde man auch über kostenpflichtige Softwarelizenzen nachdenken.
Fast alle Start-ups machen „irgendwas mit Daten“, denn dort sind die Gründer – häufig Akademiker mit Ingenieur- oder Informatik-Hintergrund – fachlich zuhause. Und dort haben Mittelständler einen Bedarf, den sie mit eigenem Knowhow nicht decken können.
Bei der Idee hilft manchmal der Zufall
In diese Kategorie gehört auch Cassantec aus Zürich. Die Gründer verweisen mit ihrem Firmennamen bewusst auf Cassandra, die Tochter des Trojanischen Königs Priamos. Die tragische Figur der griechischen Mythologie warnte vor dem Untergang Trojas, doch ihre „Kassandrarufe“ blieben ungehört. Dieses Schicksal wäre ihr möglicherweise erspart geblieben, hätte sie mit den mathematischen Methoden von Cassantec argumentiert.
Die schließen aus historischen und aktuellen Prozessdaten, etwa Temperatur oder Schwingungen an Maschinen, auf Risikoprofile und verbleibende Restlebensdauern für Maschinen und Anlagen. Damit bietet das Unternehmen einen Service an, der fast immer mit Industrie 4.0 in einem Atemzug genannt wird: vorausschauende Wartung. Ziel der Software ist es, Managemententscheidungen auf fundierte Fakten zu stellen und gleichzeitig die Komplexität der Informationen für den Nutzer zu reduzieren.
Eine coole Idee reicht nicht immer
Viele der Gründerideen zu Industrie 4.0 stammen aus Universitäten, von Studenten, Doktoranden, selten auch Professoren, die sich mit ihrem Forschungsthema selbstständig gemacht haben. Doch nicht immer sind Start-ups die logische Verlängerung ehemaliger Forschungsarbeit. Manchmal stammt die Gründungsidee aus einem Zufall.
Als Student hatte Paul Günther bei BMW Werksführungen geleitet und festgestellt, dass alle Werker mit Handschuhen arbeiten. Daraus entstand das Konzept eines intelligenten Handschuhs mit verschiedensten Sensoren und Feedback-Möglichkeiten. ProGlove erkennt, ob Arbeitsschritte in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden und dokumentiert die Montagequalität. „Wir machen Hände intelligenter“, sagt Günther. Die Juroren des Neumacher-Gründerwettbewerbs der WirtschaftsWoche waren begeistert und kürten Günther und seine Kollegen zum Sieger 2015. Auf der Hannover Messe 2016 ist ProGlove an den Ständen von Continental, SAP und Deutsche Telekom mit Demos vertreten.
Eine coole Idee und ein überzeugendes Gründerteam reichen nicht immer, um als Winzling einen 2,5 Milliarden Euro schweren Markt aufzurollen. Denn so viel geben deutsche Unternehmen jährlich für das Picken aus, das Lokalisieren und Greifen von Objekten aus einem Regal. Das geschieht heute ausschließlich manuell.
Magazino, ein 2014 in München gegründetes Start-up, möchte das Picken automatisieren. Dazu haben sich die Gründer gleich einen starken Partner gesucht, der ihnen Geld und damit Zeit verschafft, die Idee zur Marktreife zu entwickeln. Gefördert mit dem Gründerstipendium EXIST und anfangs finanziert vom Hightech-Gründerfonds, wird Magazino seit Mai 2015 von Siemens Innovative Ventures als strategischem Partner unterstützt. Magazino baut automatisierte Packroboter, die Logistikprozesse in Betrieben – etwa in Onlineshops mit großem Lagerbestand – effizienter machen sollen.
Das Modell Toru Cube ist eine Art kleiner, vollverkleideter Gabelstapler, der selbstständig durchs Lager navigiert und mit einem Greifer einzelne Objekte wie Bücher, Schuhkartons oder Pakete aus dem Regal in seinen Bauch zieht und diese zum Verpacken bringt. Über Laserscanner erkennt der Roboter, wenn jemand seinen Weg kreuzt, dadurch kann er auch gemeinsam mit seinen menschlichen Kollegen im selben Lager arbeiten. Weitere Modelle mit Greifern zum Picken von Kleinteilen aus Behältern sind in der Entwicklung. Die Vorteile von Toru liegen auf der Hand: Der Logistikroboter arbeitet rund um die Uhr und spart teure und mühsame Handarbeit ein.
Für Siemens ist das Engagement bei Magazino Vorbild für weitere Aktivitäten. Ende 2015 hat der Weltkonzern eine Einheit mit dem Arbeitstitel „Innovation AG“ geformt, die angehende Gründer – sowohl aus dem Unternehmen als auch außerhalb – unter ihre Fittiche nimmt, sie mit Risikokapital versorgt und ihnen so Raum zum Experimentieren und Wachsen gibt. „Forschung im 21. Jahrhundert darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden“, sagt Siemens-Technikvorstand Siegfried Russwurm, „Anleihen im Crowdsourcing, Hackathons im Softwarebereich, Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen genauso wie mit kleinen, wendigen Start-ups – all das gehört bei Siemens heute zum Alltag.“