„Wenn man das Ziel der Industrie 4.0 ernsthaft verfolgen möchte, dann ist dies mit Aufwendungen verbunden, die sich nicht unmittelbar wirtschaftlich rechnen lassen, aber langfristig durch systematisierte und automatisierte Abläufe signifikante Kostenvorteile bietet“, sagt Christian Brecher, Geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen. „Diese Investition in die Zukunft stellt in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für und alle dar.“
Selbst wenn investiert wird: Die Smart Factory ist nicht mit ein paar neuen Maschinen umgesetzt – die Industrie 4.0 verändert nicht nur die Produktion und die Produkte, sondern auch die Unternehmen selbst. Sie wird zu einem zentralen Hebel der künftigen Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit.
Mut zum Wandel
Diese Transformation macht vor keinem Unternehmen halt. Das enthält für jeden einzelnen Betrieb große Chancen, aber auch Risiken. Wie schnell innovative Technologien ganze Branchen umwälzen können, haben die Musiklabels und Filmstudios am eigenen Leib erlebt und der Handel steckt gerade mittendrin.
„Anpassungsfähigkeit und Mut zum Wandel werden zukünftig über Erfolge entscheiden“, sagt Miele-Chef Eduard Sailer. Zwar ist der Hausgeräte-Hersteller kein Maschinenbauer, als Abnehmer von Produktionstechnik aber deren Kunde – und damit daran interessiert, dass die Ausrüster auf dem neuesten Stand der Technik bleiben.
Diese Fähigkeiten dürften sich jedoch nicht auf das klassische Geschäft beschränken, so Sailer. „Mehrwertdienste und Services sowie neue, innovative Geschäftsmodelle werden über die Wettbewerbsfähigkeit mittelständischer Unternehmen entscheiden.“ Sein Beispiel: Die seit zwei Jahren erhältliche Waschmaschine mit automatischer Waschmittel-Dosierung kann – wie gerade auf der IFA vorgestellt – künftig auf das Smartphone melden, wenn das Waschmittel zur Neige geht. Die App leitet dann in den Miele-Shop, wo nachbestellt werden kann. So banal es klingt: Für ein produzierendes Unternehmen ist ein Waschmittel-Direktvertrieb via Internet ein neues Geschäftsmodell, das erst erarbeitet und umgesetzt werden muss. Bevor es ein anderer macht, Amazon zum Beispiel.
Für einen Anlagenbauer kann ein neues Geschäftsmodell etwa sein, nicht mehr die Anlage an sich, sondern deren Betriebsleistung zu verkaufen. Womöglich ein Aufzug, der nach zurückgelegten Kilometern abgerechnet wird. Doch um so etwas umsetzen zu können, müssen erst einmal die passenden Produkte her. „Wir müssen den Entwicklungsprozess auf den Kopf stellen, sonst können wir nicht die geforderte Geschwindigkeit und Komplexität liefern“, sagt Zukunftsallianz-Sprecher Franke. „Heute ist in der Produktentwicklung der Software-Entwickler stärker eingebunden als der Mechaniker – früher war das umgekehrt.“
Die Geschwindigkeit, mit der dieser Wandel zur Software geschieht, ist in einigen Ländern deutlich höher. „In den USA ist die Bereitschaft, in Industrie 4.0 zu investieren, viel höher“, sagt Frankes Vorgesetzter Philip Harting. „Die Amerikaner wollen so viel wie möglich mit Software lösen. Wir sehen auch die Vorteile und haben angefangen, das bei uns im Betrieb Stück für Stück umzusetzen.“
Ein Beispiel: In einem Werkteil hat Harting die Produktionssteuerung von einem Papierkarten-basierten System auf eine digitale Steuerung mit Funk-Chips umgestellt. Damit spart das Unternehmen pro Jahr 90.000 Blatt Papier. Der finanzielle Vorteil im Einkauf hierfür mag noch überschaubar klingen.
Wenn aber jedes dieser Blätter während der Produktion drei Minuten bearbeitet werden musste – etwa um den aktuellen Arbeitsschritt einzutragen –, fielen in der Summe unzählige Arbeitsstunden an. Alleine diese Arbeitszeit, die jetzt effektiver eingesetzt werden kann, spart jährlich 140.000 Euro.
Trotz solcher handfester Vorteile spürt Harting auch die Skepsis gegenüber der neuen Technologien: „Wir müssen auch bei unseren Kunden noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Erfahrungen, die wir mit unseren 4.0-tauglichen Projekten gemacht haben, sind aber durchweg positiv.“