Zukunftsallianz Maschinenbau Warum die Industrie 4.0 noch am Anfang steht

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Der Wandel macht vor keinem Unternehmen halt

„Wenn man das Ziel der Industrie 4.0 ernsthaft verfolgen möchte, dann ist dies mit Aufwendungen verbunden, die sich nicht unmittelbar wirtschaftlich rechnen lassen, aber langfristig durch systematisierte und automatisierte Abläufe signifikante Kostenvorteile bietet“, sagt Christian Brecher, Geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen. „Diese Investition in die Zukunft stellt in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für und alle dar.“

Selbst wenn investiert wird: Die Smart Factory ist nicht mit ein paar neuen Maschinen umgesetzt – die Industrie 4.0 verändert nicht nur die Produktion und die Produkte, sondern auch die Unternehmen selbst. Sie wird zu einem zentralen Hebel der künftigen Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit.

Mut zum Wandel

Diese Transformation macht vor keinem Unternehmen halt. Das enthält für jeden einzelnen Betrieb große Chancen, aber auch Risiken. Wie schnell innovative Technologien ganze Branchen umwälzen können, haben die Musiklabels und Filmstudios am eigenen Leib erlebt und der Handel steckt gerade mittendrin.

„Anpassungsfähigkeit und Mut zum Wandel werden zukünftig über Erfolge entscheiden“, sagt Miele-Chef Eduard Sailer. Zwar ist der Hausgeräte-Hersteller kein Maschinenbauer, als Abnehmer von Produktionstechnik aber deren Kunde – und damit daran interessiert, dass die Ausrüster auf dem neuesten Stand der Technik bleiben.

Kollege Roboter lässt grüßen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schäkert bei der Eröffnung der Hannover Messe in Hannover mit indischen Maskottchen. Schon vor der Eröffnung hat sich Merkel für intensivere Handelsbeziehungen zum diesjährigen Messepartnerland Indien ausgesprochen. „Der Handel zwischen Deutschland und Indien kann noch verbessert werden, obwohl Deutschland schon der größte europäische Handelspartner Indiens ist“, sagte Merkel am Sonntagabend. Quelle: dpa
Merkel eröffnete die Messe am Abend gemeinsam mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi. Dabei mahnte sie zur Wachsamkeit: „Wir müssen in Europa einfach einen Zahn zulegen, genauso wie wir auch in Deutschland einen Zahn zulegen müssen“, sagte sie am Sonntag zur Eröffnung der weltgrößten Industrieschau . „Wir müssen uns jeden Tag ändern“, forderte Merkel mit Blick auf das Zukunftsthema vernetzte Produktion. Auch Modis Land will sich in Hannover als fortschrittliches Technologieland präsentieren. Modi versprach Reformen in seinem Land, um Handel zu erleichtern. „Für uns hat es außerdem höchste Priorität, eine Weltklasse-Infrastruktur zu schaffen“, sagte er. Quelle: dpa
Obwohl beide Länder ihre Beziehungen seit der Öffnung Indiens für Europa durch diverse Reformen ab 1991 intensivieren wollen, hat der bilaterale Handel wegen der Wachstumsschwäche der indischen Wirtschaft zuletzt abgenommen. So schrumpfte das Handelsvolumen in der Saison 2013 -2014 im Vergleich zur Vorperiode um 7,4 Prozent auf 16,1 Milliarden Euro. In der Rangfolge der deutschen Handelspartner steht Indien auf Platz 24, bei Ein- und Ausfuhren auf Platz 25. Umgekehrt steht Deutschland in Indien als Lieferant an 9. Stelle und als Abnehmer indischer Waren an 8. Stelle. In Indien werden vor allem Investitionsgüter nachgefragt, also Maschinen, die etwa ein Drittel am Gesamtexport nach Indien ausmachen, sowie Elektrotechnologie, Metallwaren, Chemie, Automobile. Nun will Indien wieder in di Offensive gehen und selbst als Handelspartner attraktiver werden. Mit seiner Milliardenbevölkerung will in diesem Jahr China als wachstumstärkstes Schwellenland überholen. Quelle: dpa
Nach Dampfmaschine, Fließband und Elektronik soll der Wirtschaft nun die vierte Revolution bevorstehen: die Vernetzung von Produkt, Maschine und Werkzeug in der Industrie 4.0. Quelle: dpa
Doch nur schleppend nimmt die nächste Entwicklungsstufe der Produktion in Deutschland Fahrt auf: Nur etwa die Hälfte der großen Unternehmen und 43 Prozent der Mittelständler messen der Industrie 4.0 eine hohe Bedeutung bei, ergab eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom. Quelle: dpa
Ein Grund ist laut Bitkom, dass viele Unternehmen die Chancen der Industrie 4.0 unterschätzen. Bei der Hannover Messe sollen ihre Möglichkeiten Gestalt annehmen. Schon zum dritten mal verschreibt sich die Hannover Messe damit demselben Thema, dieses Mal unter dem Titel „Integrated Industries – Join the Network“. Quelle: dpa
Mensch-Maschine-Kooperation ist ein zentrales Thema bei der diesjährigen Ausgabe der Messe. Die nächste Generation Roboter soll nicht mehr hinter Gittern, sondern Seite an Seite mit dem Facharbeiter werken. Ein Beispiel ist das Greifsystem des Herstellers Schunk. Quelle: dpa

Diese Fähigkeiten dürften sich jedoch nicht auf das klassische Geschäft beschränken, so Sailer. „Mehrwertdienste und Services sowie neue, innovative Geschäftsmodelle werden über die Wettbewerbsfähigkeit mittelständischer Unternehmen entscheiden.“ Sein Beispiel: Die seit zwei Jahren erhältliche Waschmaschine mit automatischer Waschmittel-Dosierung kann – wie gerade auf der IFA vorgestellt – künftig auf das Smartphone melden, wenn das Waschmittel zur Neige geht. Die App leitet dann in den Miele-Shop, wo nachbestellt werden kann. So banal es klingt: Für ein produzierendes Unternehmen ist ein Waschmittel-Direktvertrieb via Internet ein neues Geschäftsmodell, das erst erarbeitet und umgesetzt werden muss. Bevor es ein anderer macht, Amazon zum Beispiel.

Für einen Anlagenbauer kann ein neues Geschäftsmodell etwa sein, nicht mehr die Anlage an sich, sondern deren Betriebsleistung zu verkaufen. Womöglich ein Aufzug, der nach zurückgelegten Kilometern abgerechnet wird. Doch um so etwas umsetzen zu können, müssen erst einmal die passenden Produkte her. „Wir müssen den Entwicklungsprozess auf den Kopf stellen, sonst können wir nicht die geforderte Geschwindigkeit und Komplexität liefern“, sagt Zukunftsallianz-Sprecher Franke. „Heute ist in der Produktentwicklung der Software-Entwickler stärker eingebunden als der Mechaniker – früher war das umgekehrt.“

Die Geschwindigkeit, mit der dieser Wandel zur Software geschieht, ist in einigen Ländern deutlich höher. „In den USA ist die Bereitschaft, in Industrie 4.0 zu investieren, viel höher“, sagt Frankes Vorgesetzter Philip Harting. „Die Amerikaner wollen so viel wie möglich mit Software lösen. Wir sehen auch die Vorteile und haben angefangen, das bei uns im Betrieb Stück für Stück umzusetzen.“

Ein Beispiel: In einem Werkteil hat Harting die Produktionssteuerung von einem Papierkarten-basierten System auf eine digitale Steuerung mit Funk-Chips umgestellt. Damit spart das Unternehmen pro Jahr 90.000 Blatt Papier. Der finanzielle Vorteil im Einkauf hierfür mag noch überschaubar klingen.

Wenn aber jedes dieser Blätter während der Produktion drei Minuten bearbeitet werden musste – etwa um den aktuellen Arbeitsschritt einzutragen –, fielen in der Summe unzählige Arbeitsstunden an. Alleine diese Arbeitszeit, die jetzt effektiver eingesetzt werden kann, spart jährlich 140.000 Euro.

Trotz solcher handfester Vorteile spürt Harting auch die Skepsis gegenüber der neuen Technologien: „Wir müssen auch bei unseren Kunden noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Erfahrungen, die wir mit unseren 4.0-tauglichen Projekten gemacht haben, sind aber durchweg positiv.“

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