Der Ton war freundlich, der Inhalt war es nicht. Binnen zehn Tagen sollte der Adressat antworten. Und damit er merkt, dass der Absender es ernst meint, kam der Brief per Einschreiben. Darin stand auch, dass Geschäftsführer strafrechtlich haften, sollte ihr Unternehmen gegen das Urheberrecht verstoßen.
Dem Gründer eines deutschen Startups war schnell klar, dass er es mit einem Troll zu tun hatte, einem jener dubioser Patentverwerter, die Unternehmen suggerieren, sie hätten ein Patent verletzt, um dann im großen Stil abzukassieren. Die Art und Weise, wie der Absender versuchte, Druck aufzubauen, war ganz typisch für einen Troll. Typisch war auch, wie er den Unternehmer aufforderte, technische Geheimnisse preiszugeben, vorgeblich um sich zu verteidigen. Auf genau diesen Informationen wollte der Troll seine Klage aufbauen.
In diesem Fall durchschaute der Adressat die Taktik. Doch oft genug haben die Trolle Erfolg mit ihrer Masche. „Die hoffen auf die Unbedarftheit der Leute“, sagt der betroffene Unternehmer. Gerade viele Mittelständler wissen noch nicht einmal, was ein Troll ist. Denn hier geht es nicht um nordische Fabelwesen. Die Trolle der Gegenwart sind vor allem in der IT-Branche unterwegs und verdienen ihr Geld mit der Verwertung von Patenten. Sie drohen Unwissenden mit Prozessen. Um diese abzuwenden, zahlen Mittelständler Lizenzgebühren für Patente, die sie gar nicht verletzen. Für die Trolle ist das ein einträgliches Geschäft, selbst wenn nur ein Bruchteil der Opfer zahlt.
Solche dubiosen Geschäfte waren lange Zeit ein amerikanisches Phänomen. Nun aber breitet sich die Plage auch hierzulande aus. Sie könnte sich in den kommenden Jahren sogar noch deutlich verschlimmern, erleichtert doch das neue europäische Gemeinschaftspatent die zweifelhaften Praktiken der Trolle. Die europäische Patentreform, von der Politik vor bald einem Jahr als großer Durchbruch gefeiert, könnte für die Wirtschaft höchst unangenehme Nebenwirkungen haben.
Einige Unternehmen haben die Gefahren erkannt und schlagen nun Alarm. Besorgt haben sich 16 Konzerne an die EU-Institutionen in Brüssel und das technische Vorbereitungskomitee des Gemeinschaftspatents gewandt. Dessen Regeln, so wie bisher entworfen, würden „erhebliche Möglichkeiten für Missbrauch“ eröffnen, heißt es in dem Brief. Angeschlossen haben sich dem Appell alle, die in der IT-Branche Rang und Namen haben: Apple, Microsoft, Google, Yahoo, Hewlett-Packard, Samsung und Cisco zum Beispiel.
Auch drei deutsche Unternehmen sind mit von der Partie: der Sportartikelhersteller Adidas, die Deutsche Telekom und die Deutsche Post DHL. Sie fürchten amerikanische Verhältnisse: In den USA sorgen Trolle längst für die Mehrzahl der Patentauseinandersetzungen vor Gericht. Experten beziffern den volkswirtschaftlichen Schaden für die USA alleine im Jahr 2011 auf 29 Milliarden Dollar. Zwischen 1990 und 2010 summierte sich der Schaden Schätzungen zufolge gar auf eine halbe Billion Dollar. Als Höhepunkt des Unwesens gelten immer noch die 600 Millionen Dollar, die der Smartphone-Hersteller Blackberry im Mai 2006 an den winzigen US-Patentverwerter NTP zahlen musste.
Der Patentverwertungsgigant Intellectual Ventures
Geprägt hat den Begriff Troll der Intel-Jurist Peter Detkin, dessen Unternehmen sich Ende der Neunzigerjahre wegen angeblicher Patentverletzungen mit Forderungen in Milliardenhöhe konfrontiert sah. Er dachte an Märchenwesen, die an einer Brücke Wegzoll einfordern. Aus seiner Assoziation wurde ein stehender Begriff. In den USA profitiert das dubiose Geschäft davon, dass rechtliche Auseinandersetzungen extrem teuer sind und Verklagte – ganz unabhängig von ihrer Schuld – in den finanziellen Ruin treiben können. In der Regel geben die Betroffenen deshalb klein bei und zahlen Patentgebühren.
Den Übeltätern kommt in den USA außerdem zugute, dass das US-Patentamt in den Neunzigerjahren in der Computer- und Softwarebranche sehr großzügig Patente erteilt hat. Darunter sind viele aus technischer Sicht höchst fragwürdig, weil sie keine echten Innovationen schützen. Für die Trolle ist die Qualität eines Patents aber nachrangig, lässt sich doch jeder amtliche verbriefte Anspruch aufkaufen und unter der Androhung einer Klage zu Geld machen.
Als größter Patenttroll der Welt gilt Intellectual Ventures aus Bellevue bei Seattle, im Jahr 2000 von Nathan Myhrvold gegründet. Der Mathematiker Myhrvold kennt die Branche bestens. In den Neunzigerjahren war er Chefstratege von Microsoft und engster Berater von dessen Gründer Bill Gates.
Zehn Milliarden Dollar soll Myhrvolds Unternehmen in die Akquise und Verwertung von Patenten gesteckt haben und wurde so zu einem der größten Patentportfoliobesitzer der USA. Seine Ideen kaufte er bei prominenten Adressen wie Google, Apple, Intel und Hewlett-Packard. Myhrvold hatte ihnen versprochen, eine Art vorbeugende Schutzbastion gegen Kläger durch den gezielten Aufkauf von Patenten zu errichten. Investoren hätten sich dadurch das Recht erkauft, die Patente selber nutzen zu können. Doch inzwischen gibt es den Verdacht, dass dieses Anliegen nur vorgeschoben war, um in Wirklichkeit einen Patentverwertungsgiganten zu etablieren. Google, Hewlett-Packard, Microsoft und Apple sehen ihr Investment bei Intellectual Ventures mittlerweile kritisch. Vor allem, weil das Unternehmen, das früher auf gütliche Einigungen setzte, in den vergangenen Jahren verstärkt klagt. Betroffen sind so teilweise die eigenen Investoren wie Google, dessen Tochter Motorola von Intellectual Ventures vor den Kadi gezerrt wurde.
Myhrvold, der sich selbst gerne als Schutzengel von Erfindern präsentiert und argumentiert, er verteidige deren Patente gegenüber großen Unternehmen, hat das Geschäft durch Verkäufe selbst weiter angefacht. Er hat Patente etwa an das berüchtigte texanische Unternehmen Lodsys weitergereicht. Lodsys verlangt nun von App-Entwicklern Lizenzgebühren, wenn über deren Programme zusätzliche Funktionen gekauft werden können. Dabei sichert Apple höchstselbst den Programmierern an anderer Stelle zu, dass die Innovationen durch eigene Patente abgesichert seien.
Deutschland attraktiv für Trolle
Die immer neuen Deals der Trolle untereinander haben in den USA eine Debatte darüber angestoßen, wie dem Unwesen beizukommen sei. So könnten die Klagen finanziell unattraktiv gemacht werden, indem Patentverwerter Strafgebühren zahlen müssen, wenn ihre Klagen mangels Substanz abgelehnt werden.
Doch der Kampf gegen das Unwesen ist eine delikate Angelegenheit, denn Erfinder dürfen nicht um ihre Rechte gebracht werden. Dean Kamen, Erfinder des Segway und Schöpfer von 500 Patenten, warnt davor, den Patentschutz auszuhöhlen – auch wenn er den Ärger über unlautere Patentverwerter teilt. „Erfinder müssen in der Lage sein, ihre Patente vor Gericht zu verteidigen, wenn sie unberechtigt genutzt werden“, sagt Kamen.
Während in den USA diskutiert wird, wie den Trollen Einhalt zu gebieten ist, suchen die längst neue Märkte auf der anderen Seite des Atlantiks. „Immer mehr Trolle machen Büros in Europa auf“, beobachtet der Unternehmensberater und Blogger Florian Müller, der einst als Aktivist das von der EU-Kommission vorgeschlagene Softwarepatent zu Fall brachte.
Der bisher konkreteste Beweis für die Ankunft der Trolle in Europa ist der Angriff auf die Deutsche Telekom von der IPCom aus Pullach bei München. Das Unternehmen, an dem der amerikanische Private-Equity-Fonds Fortress zu 50 Prozent beteiligt ist, bezeichnet sich selbst als „Lizenzmanager für Patente“, von denen es mehr als 1000 für den Mobilfunk besitzt. Den Großteil hatte IPCom Anfang 2007 vom Autozulieferer und Elektronikkonzern Bosch übernommen und damit seither eine ganze Reihe von Prozessen gegen Nokia oder HTC geführt. Die Deutsche Telekom wurde von IPCom in insgesamt 20 Verfahren verwickelt. Statt es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen zu lassen, sollen sich die Bonner Insidern zufolge im Juli auf die Zahlung eines dreistelligen Millionenbetrags an IPCom geeinigt haben. „Die Telekomindustrie in Europa hat in der jüngeren Vergangenheit viele konkrete Erfahrungen mit Patentverwertungsgesellschaften gemacht, die ein sehr aggressives Klagegebaren an den Tag legen“, heißt es bei der Deutschen Telekom.
Fachleute wie Dietmar Harhoff, Vorsitzender der Expertenkommission Innovation der Bundesregierung, sieht im Telekom-Fall daher auch nicht weniger als „den Beginn einer Welle“. Dass die Telekom auf den Troll eingegangen ist, werde dem künftig weiterhelfen. „Für den Troll ist es ganz wichtig, einen ersten Lizenznehmer zu haben“, erklärt Harhoff. Wenn der Troll nun weitere Unternehmen verklagt, kann er vor Gericht seinen Lizenznehmer Deutsche Telekom ins Feld führen.
Besonderheiten im Rechtssystem macht gerade Deutschland für solche Attacken attraktiv. „Hierzulande finden Patentinhaber weltweit einmalige Voraussetzungen vor“, urteilt Patentanalyst Müller. So ist es in Deutschland vergleichsweise einfach, Verkaufsverbote zu erreichen: „Das gibt Trollen einen besonderen Hebel.“ In den USA würden diese dagegen kaum noch mit solchen Anträgen durchkommen.
Den Schaden tragen die Kunden
Auch die Gabelung der Prozesse machen die Klagen vor deutschen Patentgerichten attraktiv. Während in den USA ebenso wie in Großbritannien und den Niederlanden ein und dasselbe Gericht prüft, ob ein vermeintlich verletztes Patent überhaupt gültig ist, werden diese Fragen hierzulande in zwei separaten Prozessen untersucht. Die Verletzungsverfahren finden an Landgerichten, meist in München, Mannheim und Düsseldorf, statt. Dagegen muss die Gültigkeit eines Schutzrechts vor dem Bundespatentgericht in München angefochten werden.
Das kann dazu führen, dass die Landgerichte Patentklagen stattgeben und sogar Verkaufsverbote verhängen, obwohl die entsprechenden Erfindungen nachträglich aberkannt werden. So haben die Münchner Patentrichter allein in diesem Jahr drei Apple-Patente für nichtig befunden.
In einem Fall ging es um das Europäische Patent 2 059 868, das die „Foto-Verwaltung auf tragbaren elektronischen Geräten“ beschreibt. Dummerweise hatte Apple-Gründer Steve Jobs die Funktion bei der Vorstellung des ersten iPhone 2007 demonstriert, das europäische Bündelpatent dazu jedoch erst danach angemeldet. Nach deutschem Recht ist eine Erfindung damit nicht mehr neu und schützenswert.
Den Schaden solcher Prozesse tragen letztlich die Kunden. Auf sie werden entweder die Kosten der Verfahren umgelegt, oder sie müssen Einschränkungen im Angebot in Kauf nehmen. Welche Folgen das haben kann, bekamen beispielsweise deutsche iPhone-Nutzer in den vergangenen Monaten zu spüren. Sie bekamen E-Mails von Yahoo, AOL oder Apples eigenem Maildienst iCloud nicht mehr automatisch auf das Telefon geschickt. Denn der inzwischen zu Google gehörende Handybauer Motorola hatte im Februar 2012 am Landgericht Mannheim eine einstweilige Verfügung gegen Apple erwirkt, die dem Unternehmen die Nutzung eines Patents untersagte. Dabei hatten verschiedene Experten die Rechtmäßigkeit angezweifelt, ein britisches Gericht hatte es beispielsweise aus gleich vier Gründen für ungültig erklärt. Trotzdem musste Apple daraufhin die sogenannte Push-Funktion abstellen.
Anfang Oktober verkündete Apple dann: „Push-E-Mail Service in den deutschen Grenzen verfügbar“. Denn das Bundespatentgericht in München hatte erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Patents geäußert und es Mitte November endgültig für nichtig erklärt. Experten befürchten, die Zahl solcher Patentschlachten werde mit dem neuen Gemeinschaftspatent noch zunehmen, auf das sich die EU-Staaten im Dezember 2012 geeinigt haben. Auf Drängen der Bundesregierung wurde die Gabelung der Prozesse nämlich in die europäischen Regeln übernommen, etliche andere Mitgliedstaaten waren dagegen.
Billige Patente erleichtern das Spiel
Die 16 Konzerne, die in Brüssel Alarm geschlagen haben, warnen nun, dass dadurch der Fall eintreten könnte, dass ein Troll bei einem Gericht wegen einer Patentverletzung ein Verkaufsverbot erwirken könnte, ohne dass ein anderes Gericht entschieden hat, ob das Patent überhaupt gültig ist. Verkaufsverbote wären beim Gemeinschaftspatent aber sehr viel schmerzhafter für Unternehmen, weil sie für alle EU-Länder außer Italien und Spanien gelten, die beim Gemeinschaftspatent nicht mitmachen. Das Unternehmen würde mit einem Schlag einen Markt mit knapp 400 Millionen Verbrauchern verlieren.
Mit Sorge sehen Unternehmen auch, dass Trolle künftig Gerichte in allen 26 beteiligten EU-Staaten anrufen können, um einen Verkaufsstopp für das gesamte Territorium zu erreichen. „Es ist schwer vorstellbar, dass die Gerichte in allen Mitgliedstaaten gleich gut sind“, sagt Patentexperte Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht. Und so ist absehbar, dass die Trolle sich Gerichte suchen werden, bei denen sie mit ihrer Taktik durchkommen. „Sie werden an Standorten klagen, wo die Richter wenig Erfahrung mit Patentprozessen haben“, prognostiziert Müller. Rumänien und Griechenland dürften solche Standorte sein.
Die Wirtschaft hofft, dass die schlimmsten Auswüchse noch eingedämmt werden können. Die Verfahrensregeln für das Gemeinschaftspatent werden erst im Juli 2014 verabschiedet. Beamte der Mitgliedstaaten arbeiten derzeit an den Details, die einen großen Unterschied ausmachen können. Um Trolle auszubremsen, hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in seiner Stellungnahme beispielsweise angeregt, in den Verfahrensregeln das Prinzip festzuschreiben, dass der Verlierer die Kosten des Patentprozesses trägt. Dies könnte Trolle vor Klagen zurückschrecken lassen.
Bisher ist noch nicht einmal klar, wie viel das neue Gemeinschaftspatent kosten wird. Die Politik war angetreten, Patente in Europa billiger zu machen. Die Patentreform sollte die Zersplitterung aufheben und Patentschutz im europäischen Markt erschwinglich machen. Nun zeigt sich, dass dies nicht automatisch zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit führt. „Viele Politiker glauben, dass billige Patente zu mehr Innovation führen“, sagt Experte Harhoff. „Doch das Gegenteil trifft zu.“ Billige Patente erleichtern den Trollen das Spiel.
Politiker messen die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft oft an der Zahl der Patente. So rechnet EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier gerne vor, die USA vergebe im Jahr mehr als drei Mal so viele Patente wie die EU. Beim Versuch, zu der Innovationskraft der USA aufzuschließen, haben die Europäer aber möglicherweise den falschen Weg gewählt. Harhoff befürchtet: „Die Problematik der Trolle haben die Europäer viel zu wenig bedacht.“