Interview mit Jürgen Wessing „Herr Winterkorn würde in den USA verhaftet“

Heute muss Ex-VW-Chef Martin Winterkorn im Skandal um manipulierte Abgaswerte im Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen. Warum Wirtschaftsstrafrechtler Jürgen Wessing dem Manager von einem Florida-Urlaub abrät.

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Jürgen Wessing ist einer der renommiertesten Wirtschaftsstrafrechtler in Deutschland. Quelle: Wessing & Partner

Berlin Jürgen Wessing, einer der renommiertesten Wirtschaftsstrafrechtler in Deutschland, rät dem früheren VW-Chef Martin Winterkorn von einem Florida-Urlaub ab. Er wirft den Amerikanern vor, im Strafrecht Grenzen zu überschreiten.

Warum wird Winterkorn – anders als die VW-Manager in den USA – nicht verhaftet?

Abgesehen von der Unschuldsvermutung wird in Deutschland weniger verhaftet als in Amerika. Dort sitzen im Verhältnis fünfmal so viel Menschen in Haft wie hierzulande. Das hat nichts an der deutlich höheren US-Kriminalitätsrate geändert. Nach deutschen Regeln würde Herr Winterkorn nur dann verhaftet, wenn entweder ein dringender Tatverdacht bestünde oder Fluchtgefahr. Beides ist offensichtlich nicht der Fall. Für einen Arrest müssten sich die Ermittlungsbehörden sehr sicher sein, dass Winterkorn etwas falsch gemacht hat. Fluchtgefahr und Winterkorn geht nicht zusammen. Der Mann hat Familie und will seine Ehre als Firmenlenker retten. Der geht nicht stiften. Ich mache jetzt seit 35 Jahren Strafrecht, meine Erfahrung ist: Unternehmer ergreifen nicht die Flucht. Heutzutage gibt es auch weltweit keinen „free haven“ mehr.

Wird in den USA gnadenloser aufgeklärt?

Keinesfalls klären die USA gnadenloser auf. Dort gibt es ein ganz anderes System, das der Subpoena. Das ist ein Schreiben, das der Staatsanwalt schickt und mit dem verfügt wird, dass alle benannten Beweismittel abzuliefern sind. Da hat es die deutsche Staatsanwaltschaft schwerer, die erst einmal einen Anfangsverdacht braucht und dann einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss.

Welche Strafverfolgung muss Winterkorn in den USA fürchten?

In den letzten Jahrzehnten war es in Amerika eigentlich so, dass man sich nur noch um die Konzerne gekümmert hat, nicht um die Personen. Nun gibt es das politische Statement der Behörden, dass wieder vermehrt nach den Personen geschaut werden soll. VW-Manager in den USA können ein Strafverfahren bekommen. Wenn sie sich nicht auf Strafzahlungen einigen können, dann kann das zu Gefängnisstrafen führen. In die USA zu reisen, ist dem ein oder anderen Konzernmitglied darum nicht zu raten. Es ist denkbar, dass auch Herr Winterkorn in den USA verhaftet würde. Einen Urlaub in Florida sollte er also nochmal überdenken.

Welchen Unterschied macht es hierzulande, ob Winterkorn den Betrug angeordnet oder nur toleriert hat?

Hierzulande gibt den Unterschied zwischen Täterschaft und Beihilfe. Täter ist, wer die Tat als eigene will, also Täterwillen beweist. Wer als Firmenlenker in einer Pflichtenstellung des Unternehmens ist und von einer Tat weiß und diese nicht verhindert, der ist wahrscheinlich Beihelfer. Unter Compliance-Gesichtspunkt müsste eine solche Tat vermieden werden. Das Problem ist häufig, dass die Information von unten nach oben immer dünner wird. Oben kommt häufig nur noch eine kurze Zusammenfassung von Sachverhalten an. Dass Unternehmensführer Betrug mitbekommen ist darum eher selten. Das deutsche Strafrecht hat andere Möglichkeiten, das zu packen. Das kann zu Bußgeldern führen, weil ein Vorstand oder Geschäftsführer die Pflicht hat zu verhindern, dass aus seinem Unternehmen heraus Straftaten begangen werden. Das geht in die Millionen. Eine Haftstrafe für Winterkorn ist eher unwahrscheinlich. Wirtschaftsstraftaten führen selten dazu, es sei denn, eine persönliche Bereicherung im Sinne eines direkten Vorteils ist nachweisbar.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass der VW-Konzern Winterkorn auf Schadensersatz verklagt?

Die Schadensersatzforderungen des VW-Konzerns gegenüber Winterkorn werden kommen müssen, wenn ihm eine Straftat nachzuweisen ist. Dazu ist der Konzern verpflichtet. Die Frage ist, wie eine Industrie kontrollierbar ist, wenn sie eine bestimmte Größe erreicht. Da findet sich immer jemand, der bereit ist, Straftaten zu begehen. Die beste Compliance ist hilflos gegenüber jemandem, der diese bewusst aushebelt. Insofern hat der VW-Skandal weniger mit den Managern zu tun. Ich gehe davon aus, dass nicht Winterkorn aus der Unternehmensspitze heraus bewusst strafbare Dinge angeordnet hat. Meistens handelt es sich um ein Versagen der Aufsicht. Ich wünschte mir, die USA würden sich nicht nur auf deutsche Unternehmen konzentrieren. Ich bin mir relativ sicher, dass eine Überprüfung von Chrysler oder anderen ähnliche Skandale aufdecken würde. Das Herausreichen der Amerikaner über ihre Grenzen im strafrechtlichen Bereich hat durchaus auch etwas mit protektionistischer Politik zu tun.

Herr Wessing, vielen Dank für das Interview.

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