Karl Zeretzke Der gescheiterte Griff nach den Leifheit-Millionen

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Der Skorpion vom Nürnburgring

Der vermeintliche Prof. Dr. Serres de Condé bekam sogar Zugang zum sogenannten Datenraum - dem Allerheiligsten der Nürburgring GmbH, wo ausgewählte Bieter nach einer Überprüfung ihrer Solvenz vertrauliche Geschäftsunterlagen einsehen durften. Doch bei der Überprüfung der Bieter hatte KPMG zunächst offensichtlich nicht allzu genau hingeschaut: Drei Tage, nachdem die WirtschaftsWoche Ende November 2013 über die dubiosen Hintergründe von La Tene Capital berichtet hatte, schlossen die Insolvenzverwalter und KPMG La Tene aus dem Verkaufsprozess aus.

Zeretzke auf einer privaten Aufnahme. Quelle: WirtschaftsWoche

Klein-Klein war Zeretzkes Sache noch nie, seine Ansprüche schon lange größer als seine Möglichkeiten. In Dortmund geboren, wandert er 1990 in die USA aus. Er ändert seinen Namen in Charles Scorpio, vermutlich nach seinem Sternzeichen, Skorpion. Doch schon in den USA gerät Zeretzke alias Scorpio mehrfach mit der Justiz in Konflikt. Er gründet diverse Firmen, scheitert, kehrt rund 15 Jahre später nach Deutschland zurück. Beantragt schließlich Sozialhilfe.

Am Nürburgring will er dennoch das ganz große Rad drehen. Die Texte für die Webseite von La Tene Capital kopiert er von keinem Geringeren als Blackrock, dem größten Vermögensverwalter der Welt, einen weiteren von Investorenlegende Warren Buffett. In Garmisch nun will er die Stanford University im Schlepptau haben.

Der Gernegroße wird zum Geschrumpften

Koch allerdings glaubt die Stanford-Nummer nicht. Nach dem Leifheit-Hinweis in Zeretzkes Konzept ist sie alarmiert, nach dem Lesen des WirtschaftsWoche-Artikels zum Nürburgring weiß sie genug. Allavena, die Mitarbeiterin der Immobilienmaklerin, erkennt den vermeintlichen Dr. Stenius auf dem Foto im Nürburgring-Artikel: Zeretzke. Karl der Gernegroße ist jetzt Karl der Geschrumpfte.

Die drei Frauen – die Anwältin und Kommunalpolitikerin Koch, Immobilienmaklerin Kern und ihre Mitarbeiterin Allavena – begleiten die Wohnungseigentümer zu einem Termin mit Zeretzke. Der will eigentlich die Wohnung übergeben bekommen. Doch Koch konfrontiert ihn mit den Ungereimtheiten. Verlangt Erklärungen. Zeretzke kann keine liefern. „Er hat unter Tränen gesagt, das hätte er alles schon einmal gehabt, das wolle er kein zweites Mal erleben. Dann war er weg“, erinnert sich Kern. Allavena und Koch haben die Szene genauso in Erinnerung.

Zeretzke bleibt Erklärungen weiter schuldig: Auf Anfragen der WirtschaftsWoche reagiert er nicht. Koch hat er wenige Tage nach dem Termin per Mail aufgefordert, über die Sache zu schweigen. Doch die resolute Bayerin lässt sich nicht einschüchtern. „Wir haben in Garmisch schon einige schräge Vögel erlebt, gerade in den Diskussionen um die beiden Olympiabewerbungen für 2018 und 2022“, sagt die Anwältin. „Da sind reihenweise Goldgräber hier aufgeschlagen, die uns irgendwelche Studien und Konzepte verkaufen wollten. Die waren irgendwo noch fundiert. Aber der Zeretzke toppt alles.“


Ein Streifzug durch das Strafgesetzbuch

Was sie in Garmisch-Partenkirchen erst später erfahren: Zeretzkes Vita liest sich wie ein Streifzug durch das Strafgesetzbuch. 2010 Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Betrugs beim Bezug von Sozialleistungen, 2011 Strafbefehl wegen Diebstahls, 2014 ein Jahr Haft auf Bewährung wegen gemeinschaftlichen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in sieben Fällen, die Bewährung läuft noch bis 2017.

Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt mittlerweile schon in drei weiteren Verfahren gegen Zeretzke. Ein Verfahren läuft wegen falscher Verdächtigung, zwei betreffen Urkundenfälschung. Zeretzke wird unter anderem vorgeworfen, in einem Sorgerechtsstreit gefälschte Dokumente eingereicht zu haben. Er hatte ein angebliches Schreiben der Staatsanwaltschaft Kassel vorgelegt, das seine damalige Ehefrau als Kriminelle denunziert - tatsächlich aber ist die Frau unbescholten. Der zuständige Staatsanwalt hat mitgeteilt: „Ein derartiges Schreiben ist vom Unterzeichner nicht gefertigt worden.“

Die Ehe ist inzwischen aufgehoben - wegen Bigamie. Zeretzke hatte die Frau geheiratet, obwohl er in den USA noch verheiratet war. Knapp bei Kasse ist er offenkundig nach wie vor: In mehreren Auskunfteien ist vermerkt, dass er dreimal seiner Pflicht zur Abgabe einer Vermögensauskunft nach der Zivilprozessordnung nicht nachgekommen ist, vulgo: den Offenbarungseid verweigert hat.

Um die Millionen wird weiter gerungen

Im Rathaus reagiert man mit einer Mischung aus Belustigung und Entsetzen auf Zeretzke. „Wir sind erschrocken, aber auch erleichtert, dass er so schnell aufgeflogen ist“, sagt der Sprecher von Bürgermeisterin Meierhofer. Zeretzke jedoch ist vom Platzen seiner Pläne offenbar wenig beeindruckt.

Frisch enttarnt, lässt er es sich nicht nehmen, sein Millionenangebot formvollendet zu widerrufen. „Hiermit teile ich Ihnen mit, dass wir unser Angebot an den Markt Garmisch-Partenkirchen zurückziehen“, schreibt er in einer Mail. „Wir raten, das angedachte Treffen mit der Bürgermeisterin zu streichen und ziehen jegliche finanzielle und politische Unterstützung mit Bezug zu unserem Angebot zurück.“

Die Gemeinde überlegt nun weiter, was aus den Leifheit-Millionen werden soll. „Der Fall Zeretzke zeigt, dass wir extrem gut aufpassen müssen, was wir mit dem Geld machen“, sagt CSU-Fraktionschefin Koch. Eine Forschungseinrichtung ist nach wie vor Teil der Überlegungen. Karl Zeretzke nicht mehr.

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