Kartellstrafen Wie sich Sünder vor Bußgeldzahlungen drücken

Kartellsünder drücken sich zunehmend vor der Zahlung ihrer Geldbußen. Berlin will das per Gesetz verhindern. Aber wie?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Präsident des Bundeskartellamtes Andreas Mundt bei einer Pressekonferenz Quelle: dpa

Es wird kein gutes Jahr für Andreas Mundt. Wie ein Bauer, dem Unwetter die Ernte verhageln, teilte der Präsident des Bundeskartellamts unlängst mit, von den 136 Millionen Euro Bußgeld gegen das Kartell in der Tondachziegelbranche könne er die Hälfte nicht eintreiben: 70 Millionen Euro – gut 51 Prozent. Auch der Düsseldorfer Baustoffhersteller St. Gobain Weber, eine Tochter der französischen Compagnie de Saint-Gobain, muss zwölf Millionen Euro Kartellbuße trotz Verstrickung in ein Trockenmörtelkartell nicht zahlen.

Grund dafür, dass Mundt als Fahnder ohne Beute dasteht, sind in beiden Fällen gezielte Umstrukturierungen innerhalb der Unternehmen. Deren Folge: Die Kartellsünder existieren nicht mehr, und kein Rechtsnachfolger muss ihre Kartellbuße übernehmen. Als Jäger verlorener Schätze versucht Mundt seit Jahren vergebens, dieses Schlupfloch zu stopfen. Der Jurist rechnet vor, bei der Bußgeldeintreibung stünden aktuell „mehrere Hundert Millionen Euro im Feuer“, die dem Fiskus verloren gehen könnten.

Die größten Kartelle

Der Wettbewerbshüter macht deshalb Druck auf die Regierung in Berlin, das Problem mit einer erneuten Gesetzesänderung zu lösen. Am liebsten würde der Kartellamtschef die Bußgeldhaftung der sündigen Tochtergesellschaften auf die Konzernmütter ausweiten. Das ist machbar, aber umstritten. Das Bundesjustizministerium ließ diese Lösung bisher nicht zu, weil Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten – ob bei Kartellen oder im Straßenverkehr – in Deutschland nur der Verursacher zahlen muss. Vererb- und übertragbar sind sie nicht.

Gesetzesänderung hat wenig gebracht

Begonnen hatte Mundts Unheil 2011, als der Bundesgerichtshof dem Versicherer HDI Gerling 19 Millionen Euro Bußgeld erließ. Das Kartellamt hatte die Strafe 2005 gegen den damals selbstständigen Konzern verhängt. 2006 aber wurde Gerling vom Talanx-Konzern übernommen und mit dessen Tochter HDI fusioniert – und blieb straffrei. „Die Ansprüche haben sich in Luft aufgelöst“, sagte Mundt.

Die spektakulärsten Kartellfälle
Verdacht verbotener Preisabsprachen im Großhandel mit Pflanzenschutzmitteln Quelle: dpa
Jemand fährt Fahrrad auf einem gepflasterten Weg Quelle: dpa/dpaweb
Magna Quelle: AP
Anna Kurnikova Quelle: dpa
U-Bahn Quelle: AP
Schriftzug von Villeroy und Boch Quelle: dpa
Bratwürste Quelle: dpa

Abhilfe schaffen sollte 2013 die achte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und damit zusammenhängend eine Novellierung des Ordnungswidrigkeiten-Gesetzes. Doch zwei Jahre später macht ein spektakulärer Fall klar, dass die Gesetzesänderung wenig gebracht hat. Der Fleisch-Tycoon und Schalke-04-Boss Clemens Tönnies hatte seine Wurstunternehmen Böklunder und Könecke so geschickt zerlegt, dass er sich 70 und 50 Millionen Euro Bußgeld vermutlich erspart.

Wenig Hindernisse bei der Umsetzung

Seit die WirtschaftsWoche das aufdeckte, prüfen flächendeckend auf Kartellrecht spezialisierte Anwälte, ob ihre Mandanten den millionensparenden Tönnies-Trick nutzen können. Man brauche dazu nur „bestimmte Unternehmensstrukturen, mit denen man spielen kann“, sagt etwa Michael Holzhäuser von DLA Piper in Frankfurt.

Sein Kollege Helmut Janssen von der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft in Düsseldorf sieht wenig Hindernisse bei der Umsetzung: „Wer gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt, hat während des Gerichtsverfahrens genügend Zeit, den Ausweg der Umstrukturierung zu nutzen.“ Die Umstrukturierung selbst sei normalerweise „in drei bis sechs Monaten über die Bühne gebracht“ – je nachdem, ob ein Betriebsrat informiert werden oder eine Zwischenbilanz aufgestellt werden muss und wie lange der Eintrag ins Handelsregister dauert.

Um die Welle zu stoppen, laufen seit Wochen die Drähte heiß zwischen den zuständigen Bundesministern Sigmar Gabriel (Wirtschaft) und Heiko Maas (Justiz). „Nach der Sommerpause wird die Bundesregierung die notwendigen Rechtsänderungen auf den Weg bringen“, teilt das federführende Wirtschaftsministerium, dem das Kartellamt unterstellt ist, auf Anfrage mit. Konkreter werden die Ministerialen nicht.

Intimfeind ebnet Weg

Die wahrscheinliche Lösung: eine erneute Änderung des GWB, vermutlich in Paragraf 81. Wie im EU-Recht könnte ein überarbeiteter Paragraf die Haftung für die Bußgelder auf die Konzernmütter ausweiten. Wer nach einer solchen Gesetzesänderung erwischt wird, käme nur durch Nachweis der Unschuld oder als Kronzeuge, der die anderen Kartellanten verpfeift, straffrei davon. Mundt will das schon lange. Nun hat ihm ausgerechnet Intimfeind Tönnies den Weg geebnet.

Allerdings muss Mundt dabei mit Widerstand von Wirtschaftsverbänden rechnen: „Anstatt die konkreten Lücken zu schließen, will das Bundeskartellamt das Kartellbußgeldrecht gänzlich umgestalten. Das wäre die radikalste Lösung“, sagt Ulrike Suchsland, Kartellexpertin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI): „Das Bundeskartellamt bekäme so die Möglichkeit, sich den solventesten Schuldner auszusuchen. Die Unternehmen würden für Einzelfälle in Sippenhaft genommen.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%