Klageflut Der Bayer-Chef und die Anti-Baby-Pille

Auf der Bayer-Hauptversammlung muss sich Vorstandschef Marijn Dekkers Frauen stellen, die sich durch Antibabypillen wie Yasmin geschädigt sehen. Die Kosten für den Konzern sind kaum absehbar.

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Am Pranger - Bayer-Chef Marijn Dekkers verweist auf intensive Untersuchungen Quelle: dpa

Marion Larat ist zu 65 Prozent schwerbehindert. Vor sieben Jahren war die 25-jährige Französin aus Bordeaux bewusstlos im Badezimmer ihres Elternhauses zusammengebrochen, nachdem sich in ihrem Kopf ein Blutgerinnsel gebildet hatte. Die junge Frau zieht heute das rechte Bein nach, der rechte Arm hängt schlaff herunter, das Sprechen fällt ihr schwer.

Die Schuld dafür gibt die Französin der Antibabypille Meliane des deutschen Pharma- und Chemiekonzerns Bayer, die sie zur damaligen Zeit nahm. Larat hat deshalb in Frankreich Strafanzeige gegen Bayer gestellt – wegen fahrlässiger Körperverletzung.

Öffentliche Abrechnung

Meliane und Yasmin, eine weitere Bayer-Tablette zur Empfängnisverhütung, stehen unter einem schweren Verdacht: Sie sollen mehr Thrombosen (Blutgerinnsel) und Embolien (Verschlüsse von Blutgefäßen) auslösen als ältere, vergleichbare Antibabypillen. In den USA, Kanada, der Schweiz, Deutschland und Frankreich laufen deswegen Klagen gegen Bayer. Gegen Yasmin sind allein in den USA über 10.000 Klagen wegen unerwünschter Nebenwirkungen anhängig. Jean-Christophe Coubris, der Anwalt der schwerbehinderten Larat, hat insgesamt 64 Klagen, darunter zwei wegen fahrlässiger Tötung, bei der französischen Justiz eingereicht.

Bayer bestreitet, dass Pillen wie Meliane und Yasmin ein höheres Thrombose- und Embolierisiko gegenüber älteren, vergleichbaren Pillen heraufbeschwören. Doch das Thema wird Konzernchef Marijn Dekkers so schnell nicht los. Die Bayer-Hauptversammlung am 26. April in den Kölner Messehallen droht für den Holländer zu einer Art öffentlichen Abrechnung zu werden.

Larats Vater wird voraussichtlich zur Bayer-Hauptversammlung nach Köln fahren. Mehrere mutmaßlich geschädigte Patientinnen planen Protestaktionen und werden sich auf der Veranstaltung zu Wort melden. Auch einige Aktionärsvertreter dürften kritische Fragen haben – wegen der hohen Sonderbelastungen, die durch die Klagen verursacht werden.

Meliane und Yasmin sind für Deutschlands größten Pharmakonzern mehr als irgendwelche Pillen. Die Verhütungsmittel waren vom einstigen Dax-Konzern Schering entwickelt worden, den Bayer 2006 übernommen hat. Einerseits stehen die beiden Pillen für einen schönen Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro, der sich allerdings rückläufig entwickelt. Andererseits könnte insbesondere Yasmin für den Leverkusener Konzern zu einem Milliardengrab werden.

Klagen belasten Konzerngewinn

Die größten Chemiekonzerne der Welt
Das Mitsubishi Chemical-Werk in Yokohama Quelle: Pressebild
Platz 8: Dupont Quelle: dpa
Platz 7:LyndellBasell Quelle: AP
Screenshot Formosa Plastics Quelle: Screenshot
Platz 4: Exxon Mobil Quelle: Reuters
Platz 6: Sabic Quelle: dpa
Platz 6: Shell Quelle: Reuters

So ist der Konzerngewinn, der im Jahr 2012 leicht zurückging, durch Rückstellungen vor allem wegen der Yasmin-Prozesse in den USA belastet. Allein für Vergleiche mit US-Klägern – ohne Anerkennung einer Haftung – hat Bayer bereits eine Milliarde Dollar zugesagt. „Bayer hat bereits jetzt mehr Rückstellungen für Yasmin gebildet, als damals für den wegen Nebenwirkungen umstrittenen Cholesterinsenker Lipobay gezahlt wurde“, sagt Ulle Wörner, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg. Bayer nahm Lipobay, das bei Patienten zu Muskelschwund geführt haben soll, 2001 vom Markt. Der Aktienkurs brach damals um mehr als 20 Prozent ein, der gesamte Konzern geriet ins Trudeln, ein Verkauf der Pharmasparte schien kurz bevorzustehen.

Welche Summen Pharmakonzerne für Vergleiche mit Patienten aufbringen mussten (zum Vergrößern bitte anklicken)

„Ich erwarte ganz klar, dass an Belastungen nicht mehr allzu viel hinzukommt“, sagt Marc Tüngler, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, die Tausende Bayer-Kleinaktionäre vertritt, mit Blick auf die Yasmin-Prozesse. Tüngler erwartet dazu auf der kommenden Hauptversammlung klare Aussagen von Bayer-Boss Dekkers.

Neue Untersuchung

Dabei dürfte auf dem Aktionärstreffen in den Kölner Messehallen auch ein 196-seitiges Papier zur Sprache kommen, das der frühere Chef der US-Arzneizulassungsbehörde FDA, David Kessler, verfasst hat. Darin hat der Amerikaner in 554 Absätzen schwere Vorwürfe gegen Bayer aufgelistet: Der Konzern aus Leverkusen soll die Behörde über die Sicherheit von Yasmin unzureichend informiert haben.

Was Dekkers dazu seinen Kritikern antworten wird, ist weitgehend vorhersehbar. Bayer verweist darauf, dass die Verhütungspräparate ständig intensiv untersucht würden, dass alle Informationen zu Nebenwirkungen im Beipackzettel stünden und dass letztendlich der Arzt gemeinsam mit den Patientinnen die Entscheidung über die richtige Pille treffe. Finanzvorstand Werner Baumann wetterte schon vor Wochen gegen die „Klageindustrie“ in den USA. Um langwierige Prozesse zu vermeiden, hat sich der Pharmakonzern auf die Vergleichszahlungen eingelassen.

Ein Ende des Ärgers um Meliane und Yasmin bedeuten die Überweisungen an mutmaßlich geschädigte Patientinnen jedoch nicht. Die europäische Arznei-Zulassungsbehörde untersucht die sogenannten Pillen der dritten und vierten Generation jetzt noch einmal neu. Und der Bericht des ehemaligen US-Arzneimittelkontrolleurs Kessler enthält etliche Vorwürfe, die Bayer noch sehr unangenehm werden könnten. Der Konzern bestreitet die Vorwürfe, möchte sich aber mit Verweis auf die laufenden Verfahren dazu nicht äußern.

Verletzte Pflichten

Die größten Arzneimittel-Skandale
Contergan
Logo des Pharmaherstellers Wyeth
Packung des Cholesterinsenker Lipobay
Schmerztabletten Vioxx
Packung des Diabetesmittels Avandia

So schreibt Kessler am 17. April 2001, kurz vor der Zulassung von Yasmin, habe eine damalige Mitarbeiterin des Unternehmens in einer E-Mail an einen Kollegen über eine Embolie bei einer Patientin berichtet. Das sei dem FDA-Gutachter nach den ihm vorliegenden Informationen vor der Entscheidung nicht mitgeteilt worden, schreibt Kessler.

In seinem Report führt der frühere FDA-Chef auch ein unternehmensinternes Papier vom Juni 2004 an, wonach bei Yasmin gegenüber drei anderen Verhütungstabletten mehr Thrombose- und Embolieerkrankungen auftraten. Auch diese Information habe die FDA so nicht erreicht. „Bayer hat seine Pflichten gegenüber der FDA verletzt, indem es selektive Daten präsentiert hat, durch die FDA, Ärzte und Konsumenten nicht adäquat informiert wurden“, behauptet Kessler.

20 Minuten lang tot - Die Badenerin Rohrer klagt gegen Bayer. Ihr Prozess könnte noch in diesem Jahr beginnen Quelle: Dan Cermak für WirtschaftsWoche

Schließlich legt der Report nahe, dass Bayer bei der Vermarktung von Yasmin unlautere Methoden angewandt hat. So habe eine Ärztin und Autorin 450.000 Dollar von Bayer erhalten – unter anderem, um ihr Buch zu promoten, in dem sie den ausführlichen Gebrauch von Yasmin empfiehlt. Eine Anfrage der WirtschaftsWoche ließ die Autorin unbeantwortet.

Zu positiv dargestellt

Verbürgt ist, dass Bayer 2009 einen TV-Spot für Yasmin in den USA, wo für verschreibungspflichtige Arzneimittel geworben werden darf, auf Geheiß der FDA abändern musste. Den Aufsehern waren die Schilderungen der positiven Wirkungen – etwa gegen leichte Kopfschmerzen – zu weit gegangen.

Neben den USA sind auch in Kanada 13 Sammelklagen gegen Bayer anhängig. In der Schweiz fordert die Krankenkasse CSS, dass Bayer die Behandlungskosten für eine junge, schwerbehinderte Frau ersetzt, die für ihr Leid die Bayer-Pille Yasmin verantwortlich macht..

In Deutschland vertritt der Rechtsanwalt Martin Jensch aus dem fränkischen Coburg mittlerweile sieben Frauen gegen Bayer. Unter ihnen ist die Badenerin Felicitas Rohrer, die vor vier Jahren eine doppelte Lungenembolie erlitt und 20 Minuten lang klinisch tot war. Rohrer sieht sich durch Yasminelle, eine Schwesterpille von Yasmin, geschädigt. Im Herbst dieses Jahres könnte es zur Gerichtsverhandlung kommen.

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