Es war einer der Momente, an dem Heinz Hermann Thiele seinem Ruf wieder einmal alle Ehre machte. Vor ihm hatte VW-Chef Martin Winterkorn seinen Weg an die „automobile Weltspitze“ geschildert. Nach ihm durften 1.-FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß und Ex-Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Clemens Börsig über die Finanzkrise streiten. Die Zeit dazwischen sollte unter anderem er füllen, indem er über die „Zentralisierung und Regionalisierung in einem international tätigen Unternehmen“ referierte.
Lustlos schreitet der Brocken von Mann ans Rednerpult im Audimax der TU München und spult seinen Vortrag über Knorr-Bremse herunter – jenes Unternehmen in der bayrischen Landeshauptstadt, das er 1987 übernahm, fast 20 Jahre leitete und seit 2007 als Aufsichtsratschef regiert. Den Umsatz hat er auf 4,3 Milliarden Euro verzwanzigfacht, das Geschäft total globalisiert, Bremsen für Züge und Lastwagen überall auf der Welt gebaut. Noch Fragen?
„Könnten Sie sich vorstellen, dass einmal Ihre Tochter an Ihre Stelle tritt?“, will eine Zuhörerin wissen. „Nein“, blafft Thiele zurück. „Biologisch“ gehe das nicht, Frauen wollten nun mal Kinder kriegen. Um beides zu schaffen, dafür gehe es in Konzernspitzen „viel zu hart und zu brutal“ zu. Raunen im Publikum, in dem auch Thieles Tochter Julia sitzt. Noch Fragen?
Unerbittlich, brachial, zupackend wie Bremsbacken und selbstbewusst bis zum Platzen, ein solches Bild zeichnet der inzwischen 72-Jährige von sich seit gut 25 Jahren. In diesem Zeitraum ist er zu einem der erfolgreichsten, eigensinnigsten und verschwiegensten Industriellen Deutschlands aufgestiegen, der nun als Großaktionär und Aufsichtsratschef des sauerländischen Schienen- und Lokbauers Vossloh endgültig zur ganz großen Nummer aufgestiegen ist.
Zur Person
Thiele, 72, war ursprünglich Manager bei Knorr-Bremse. Als Mitte der Achtzigerjahre der damalige tief religiöse Hauptgesellschafter die Lust am Kapitalismus verlor, ergriff der gelernte Jurist die Gelegenheit. Mit sieben Prozent vom Chef im Rücken kaufte er als geschäftsführender Gesellschafter schrittweise der Mutter und der Ehefrau des Haupteigentümers deren Teile ab. Das Geld dafür gab die Deutsche Bank. Zu Schulzeiten in Bielefeld noch leidenschaftlicher 100- und 400-Meter-Sprinter, erwies sich Thiele in den Folgejahren als hoch innovativer unternehmerischer Dauerläufer und Firmenakquisiteur. Ob Flüsterbremsbeläge für italienische Hochgeschwindigkeitszüge oder automatische Türen für den japanischen Superzug Shinkansen: Mit seinen Bremssystemen und Komponenten ist Knorr-Bremse heute in wichtigen Segmenten des Eisenbahn- und Nutzfahrzeuggeschäfts Weltmarktführer.
Auf 4,8 Milliarden Euro schätzt die US-Zeitschrift „Forbes“ Thieles Vermögen, damit ist er der zwölfreichste Deutsche. Sein Unternehmen, das ihm, seiner Tochter und seinem Sohn gehört, ist längst dem Mittelstand entwachsen. Knorr-Bremse besitzt Fabrikationsstätten und Niederlassungen in den absatzträchtigsten Regionen und wichtigen Niedriglohnländern der Welt, von China und Indien über Ungarn und Tschechien bis Australien und den USA.
Obwohl seit 2007 nur noch Aufsichtsratsvorsitzender, agiert der Erfolgsmensch noch immer wie ein Konzernlenker. Seinen ersten Nachfolger Raimund Klinkner habe er „oft geführt wie ein Schoßhündchen“, so ein Aufsichtsrat. Nach viereinhalb Jahren musste der Ex-Porsche-Manager gehen, offiziell im Einvernehmen, in Wahrheit weil Thiele enttäuscht war.
Gespannt beobachten Mitarbeiter nun, wie lange Thiele mit Klinkners Nachfolger Michael Buscher auskommt, der vom Schweizer Maschinenbauer Oerlikon und dem kanadischen Eisenbahnbauer Bombardier zu Knorr-Bremse kam und seit Juli das Unternehmen lenkt. „Buscher ist ein moderater Typ und passt eigentlich gar nicht zu Thiele“, sagt ein Aufsichtsrat. Doch Thiele braucht Buscher, erst recht nach der Machtübernahme bei Vossloh.
Durch seine Art hat Thiele mit Mitarbeitern seine liebe Not. Einerseits nerven ihn Manager, wenn sie manchmal „sogar zu oft“ zu ihm kämen und seinen Rat suchten. Anderseits würden Leute im Stammwerk in München ihm schon mal den Gruß verweigern, berichtet ein Gewerkschafter. „Der quetscht die Leute aus, das lassen die ihn dann auch spüren.“ Thiele muss damit leben. Immerhin lobt ihn der gewerkschaftliche Kritiker im gleichen Atemzug: „Als Unternehmer ist Thiele brillant, schlau und weitsichtig. Er hat als einer der ersten deutschen Industriellen die Bedeutung der Globalisierung verstanden.“
Der Euro soll bleiben
WirtschaftsWoche: Herr Thiele, wieso verkriechen Sie sich so und nähren auf diese Weise Ihr Image des unerbittlichen, knorrigen Diktators?
Thiele: Von Verkriechen kann keine Rede sein. Ich bin sehr oft in der Öffentlichkeit, treffe Kunden und Geschäftspartner und bin auch sehr viel an unseren Standorten auf der ganzen Welt unterwegs. Letzte Woche erst war ich in Indien und habe eine Pressekonferenz zur Eröffnung unseres neuen Werkes gegeben. Da wir ein nicht börsennotiertes Unternehmen sind, besteht für mich allerdings keine Notwendigkeit, regelmäßig in der Presse zu erscheinen.
Das letzte Mal, als Sie etwas von sich preisgegeben haben, war vor zwölf Jahren zu Ihrem 60. Geburtstag. Seitdem haben Sie mehr zur Legendenbildung beigetragen als zur Klärung Ihrer Strategien.
Ich weiß, Journalisten sehen in mir lieber den exzentrischen, öffentlichkeitsscheuen Unternehmer. Aber das trifft nicht zu. Ich bin viel differenzierter.
Dann beweisen Sie uns das doch. Fangen wir mit der Politik an. Die große Koalition plant eine Frauenquote im Aufsichtsrat von Großunternehmen, einen Mindestlohn von 8,50 Euro sowie Einschränkungen bei Leiharbeit und Werkverträgen. Werden Sie deswegen Beschäftigung in Deutschland abziehen?
Nein, nach heutigem Stand nicht, da kann ich Entwarnung geben...
...obwohl die Eingriffe Ihre unternehmerische Handlungsfreiheit einschränken?
Das müssen Sie im Detail betrachten. Nehmen wir die Frauenquote. Ich bin nicht gegen Frauen eingestellt. Ich habe immer schon darauf gedrängt, in meinem von Männerberufen dominierten Unternehmen qualifizierte Frauen einzustellen. Aber eine Quote, ob im Management oder im Aufsichtsrat, würde ich nie akzeptieren und immer nach Auswegen suchen.
Warum?
Erstens würde das zu unsinnigen Personalentscheidungen im Einzelfall führen. Und zweitens gibt es zwischen Männern und Frauen Unterschiede, die unseren Fortbestand sichern. Es sind nun mal die Frauen, die die Kinder bekommen. Und diese oft sehr qualifizierten Mütter stehen dann dem Arbeitsprozess nicht mehr voll zur Verfügung. Das ist für die Gesellschaft so auch notwendig. Um eine Quote zu erfüllen, fehlt es daher oft an Frauen, die ihr Privatleben zugunsten des Berufes aufgeben oder stark einschränken und dann für eine Position etwa im Aufsichtsrat zur Verfügung stehen könnten.
Machen die geplanten Beschränkungen von Leiharbeit und Werkverträgen in Kombination mit dem Mindestlohn Ihre Standorte im Hochlohnland Deutschland nicht unattraktiver?
Uns tangiert das kaum. Wir haben zwar Leiharbeitskräfte und benötigen diese auch in Zukunft, um Produktionsspitzen und Sonderprojekte abzudecken. Werkverträge und Produktion auf billigere Kräfte auszulagern ist für uns jedoch kein Thema: Unsere Produktion ist so komplex, dass wir nichts auslagern können. Auch Mitarbeiter mit einfacheren Tätigkeiten sind und müssen sehr qualifiziert sein.
Gefällt Ihnen das Weiterwursteln in der Euro-Frage, auf das sich die Koalitionäre offenbar verständigt haben?
Als Unternehmer ist das für mich aufgrund unserer Standorte weltweit kein großes Thema, umso mehr aber für mich als Staatsbürger. Auch wenn es Ländern wie Spanien oder Portugal langsam besser zu gehen scheint, ist damit keine Tilgung ihrer Schulden verbunden. Ich rechne mittelfristig mit einem Schuldenschnitt, der zum großen Teil zulasten Deutschlands gehen und den Lebensstandard hier berühren wird. Wenn die Bundesregierung das Gegenteil behauptet, ist das eine totale Irreführung der Bevölkerung. Ich bedauere, dass es die Alternative für Deutschland, die AfD, nicht in den Bundestag geschafft hat. Ebenso vermisse ich dort die FDP. Zur Demokratie gehört auch eine ernst zu nehmende Opposition.
Wollen Sie raus aus dem Euro?
Nein, ich möchte den Euro beibehalten. Ich möchte aber, dass wir den Preis bestimmen, den wir für die Vorteile des Euro zu zahlen bereit sind. Jedes Ziel muss einen Preis, eine rote Linie haben, die man nicht überschreiten darf. Das vermisse ich.
Vossloh bleibt an der Börse
Nach vielen glanzvollen Jahren scheint es bei Knorr-Bremse zu knirschen. Mit Daimler streiten Sie sich angeblich um 150 Millionen Euro, die Sie von dem Autobauer verlangen, weil er nicht die vereinbarte Zahl an Lkw-Bremsen abgenommen hat.
Das ist so nicht richtig. Es gibt keine Schadensersatzforderungen gegenüber Daimler. Richtig ist, dass Gespräche mit Daimler im Rahmen unserer Geschäftsbeziehung geführt werden. Dies ist unter Geschäftspartnern normal, auch wenn man nicht in allen Fragen der gleichen Meinung ist. Wir sind seit über 80 Jahren Geschäftspartner.
Auch mit MAN läuft es angeblich nicht rund, weil sich der Lkw-Bauer über Qualitätsmängel ärgere?
Dies ist absolut falsch. MAN und Knorr-Bremse pflegen auf allen Ebenen eine außerordentlich gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Gerade erst dieses Jahr haben wir einen neuen Mehrjahresvertrag über das gesamte Liefervolumen geschlossen mit weiteren Wachstumsmöglichkeiten für die Zukunft. Für den Ausbau der Geschäftsbeziehungen haben wir eine strategische Partnerschaft vereinbart. Von Qualitätsmängeln bei unseren Produkten kann überhaupt keine Rede sein.
Für größte Verwirrung sorgen Sie zurzeit beim Lokomotiven- und Schienensystembauer Vossloh im sauerländischen Werdohl, wo Sie Aufsichtsratschef sind. Sie besitzen mehr als 25 Prozent der Aktien, liegen also knapp unter der 30-Prozent-Schwelle, von der an Sie den verbleibenden Aktionären ein Übernahmeangebot machen müssen. Was haben Sie vor?
Ich habe nicht die Absicht, Vossloh von der Börse zu nehmen. Ich habe auch nicht die Absicht, Vossloh mit Knorr-Bremse zu verschmelzen. Knorr-Bremse ist gar nicht beteiligt an Vossloh, das ist ein Engagement, das ich über eine Holding-Gesellschaft unmittelbar führe. Ich finde das Programm von Vossloh aber sehr interessant und glaube, dass ganz besonders der Infrastrukturbereich große Potenziale hat. Angesichts dessen, was in den kommenden 20, 30 Jahren in der Welt des Eisenbahnverkehrs an Infrastrukturprojekten zu erwarten ist, ist dieses Geschäft eine sinnvolle und entwicklungsfähige Ergänzung unseres Geschäftes mit rollendem Material...
...also mit den Loks und vor allem den Waggons, die Knorr-Bremse ausstattet.
So ist es. Allerdings können Sie beide Geschäfte nicht zusammenwerfen. Infrastruktur ist ein ganz anderes Arbeitsgebiet. Natürlich haben wir in vielen Fällen die gleichen Kunden, nämlich die Eisenbahngesellschaften dieser Welt. Ich bin mit deren Chefs ein-, zweimal im Jahr zusammen und kenne deren Ausbaupläne. Und ich informiere die auch darüber, dass ich mit meinem Engagement bei Vossloh meine Bahnaktivitäten stärken will, auch durch Akquisitionen.
Vossloh hat früher versucht, durch Übernahmen von Lokomotivfabriken zum Konkurrenten von Weltkonzernen wie dem US-Riesen General Electric aufzusteigen. Wollen Sie das rückgängig machen?
Ob das Lokomotivgeschäft langfristig alleine positiv entwickelt werden kann, wird bei Vossloh zurzeit geprüft. Wir sind dabei, zu definieren, welche Schritte wir tun können, um die Performance zu verbessern, und wie die Sparte auf größere Stückzahlen kommen kann. Bis Mitte 2014 werden wir eine Position zu dieser Frage erarbeiten.
Könnten Sie sich vorstellen, dass Vossloh sich von vom Lokomotivbau trennt oder diesen in ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem starken Partner einbringt?
Das sind mögliche Denkmodelle. Das Entscheidende ist, dass Standorte wie zum Beispiel Kiel eine nachhaltige Entwicklung nehmen und die Arbeitsplätze dort verbleiben. Ich bin kein Finanzinvestor, der im Regelfall kein langfristiges Interesse verfolgt, sondern seine finanziellen Interessen kurzfristig realisieren möchte.
Ein Analyst der BHF-Bank meint, Sie könnten mittelfristig Ihren Anteil an Vossloh auf mehr als 30 Prozent aufstocken und den übrigen Aktionären dann ein Übernahmeangebot machen. Das Geld dazu hätten Sie ja.
Es gibt keinen solchen Plan. Das wird auch für die absehbare Zukunft nicht anders sein. Ich habe nicht vor, meinen Anteil auf mehr als 30 Prozent zu erhöhen, auch nicht, nachdem anscheinend die Familienaktionäre von Vossloh für 200 Millionen Euro 22 Prozent der Aktien wohl bei institutionellen Anlegern platziert haben.
Kein substanzielles Wachstum 2013
Es gibt Spekulationen, Sie könnten Ihre Lkw-Bremsen-Sparte an den Getriebehersteller ZF verkaufen und aus dem Rest von Knorr-Bremse zusammen mit der Vossloh-Infrastruktursparte einen weltweiten Schienenchampion formen.
Es ist unbegreiflich und schon beleidigend, mir einen solchen Unsinn zu unterstellen. Mit Systemen für Schienenfahrzeuge und für Nutzfahrzeuge hat Knorr-Bremse zwei starke Standbeine, die die Grundpfeiler für den Erfolg in der Vergangenheit bildeten und eine wichtige Basis für zukünftiges Wachstum sind. Beide Branchen folgen unterschiedlichen Konjunkturzyklen und stellen dadurch ein natürliches Risikomanagement dar, das sich in der großen Krise 2009 bewährt hat. Ich müsste wirklich dumm sein, wenn ich diese Strategie ändern würde. Bin ich aber nicht.
Wie war das Jahr 2013 für Knorr-Bremse?
2013 wird uns kein substanzielles Wachstum bringen. Real werden wir zwar drei bis vier Prozent mehr absetzen, durch Währungseffekte wird der Umsatz jedoch auf dem Vorjahresniveau von rund 4,3 Milliarden Euro verharren.
Was erwarten Sie für die Folgejahre?
Wir wollen 2014 und 2015 wieder an das frühere Wachstum anknüpfen und jeweils mehr als fünf Prozent zulegen, wobei wir mit solchen Schätzungen eher vorsichtig sind. Wir wollen immer mehr zum System- oder Subsystemlieferanten von Bremsanlagen und sonstigen Komponenten für Schienen- und Nutzfahrzeuge werden, die den Käufern eine wirtschaftlichere Nutzung ihrer Züge, Bahnen und Lkws ermöglichen und auch darüber hinaus Mehrwert für unsere Kunden schaffen.
Sie gelten in der deutschen Industrie als harter Knochen, weil sie vor gut zwei Jahrzehnten aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind. Was hat dieser Schritt Knorr-Bremse gebracht?
Solange wir im Arbeitgeberverband waren, hatten wir keinen Einfluss auf die Ziele der Tarifverhandlungen und deren Ergebnisse. Durch den Austritt ist es uns gelungen, die Bedingungen selbst festzulegen, die wir benötigen, um erfolgreich zu sein. Wir haben mit der IG Metall vereinbart, auf welchen Feldern wir uns an die Tarifverträge anlehnen und wo nicht. Bei den Gehaltsabschlüssen ziehen wir mit und gehen sogar hie und da über die Tarifvereinbarungen hinaus. Im Gegenzug haben wir die Hoheit über die Arbeitszeitmodelle und die 42- anstelle der sonst üblichen 38,5-Stunden-Woche, wobei durchschnittlich in der deutschen Industrie ohnehin 40,5 Stunden pro Woche geleistet werden.
Das haben Sie erreicht, indem Sie mit der Verlagerung von Produktion ins Ausland drohten. Trotz der 42-Stunden-Woche arbeitet heute nur die Minderheit der Knorr-Bremse-Beschäftigten in Deutschland. Haben Sie die Belegschaft getäuscht?
Überhaupt nicht. Wir hatten den Leuten klar die Alternativen genannt: 1000 Jobs in Deutschland durch Arbeitszeitverlängerung zu stabilisieren oder ins Ausland zu verlagern. Am Ende stimmten 98 Prozent der Beschäftigten individuell zu. Wir haben für stabile Jobs in Deutschland gesorgt, indem wir einen gesunden Mix aus Hoch- und Niedriglohnstandorten über alle Funktionen hinweg organisiert haben. Ohne diese Kombination hätten wir uns weltweit nicht so erfolgreich weiterentwickeln können. Heute arbeiten rund 50 Prozent unserer Mitarbeiter in Niedriglohnländern. Unsere deutschen Mitarbeiter machen immerhin noch knapp 20 Prozent der Beschäftigten aus.
Ein großartiges Bekenntnis zum Standort Deutschland klingt aber anders.
Dann verrate ich Ihnen etwas: Wir bauen 2014 ein neues, etwa 50 Millionen Euro teures Entwicklungszentrum an unserem Stammsitz in München. Wir hätten das auch in Ungarn tun können, wo wir zwei Werke haben. Wir haben das bis zur Entscheidungsreife durchgerechnet und hätten in Ungarn gegenüber München einen großen Millionenbetrag sparen können. Wir kalkulieren in Ungarn bei ähnlicher Qualifikation ja nur mit halb so hohen Personalkosten. Wir haben uns aber anders entschieden, um München und Deutschland als Entwicklungsstandort von Knorr-Bremse neue Impulse für künftige Innovationen zu geben.
Und dafür machen Sie einfach so einen größeren Millionenbetrag locker?
Nicht einfach so. Geld ist für mich nicht alles. Ich werde da vielleicht verkannt. Ich bin nicht nur Kapitalist. Ich möchte natürliche vernünftige Ergebnisse erzielen, Märkte optimal besetzen und Kundenbedürfnisse maximal erfüllen. Ich sehe Knorr-Bremse aber auch als Unternehmen mit einer ausgeprägten sozialen Komponente. Wenn ich mitbekomme, dass im sozialen Bereich etwas nicht richtig läuft, gerade bei den kleinen Leuten, dann lasse ich das nicht zu.
Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeiter
Als Wohltäter sind Sie bei Ihren Beschäftigten dennoch nicht bekannt. Ihr Nachbar BMW zahlte 2012 jedem Mitarbeiter eine Erfolgsprämie von rund 7650 Euro, Audi machte 8030 Euro locker.
Damit können wir nie mithalten. Wir bieten auch keine Beschäftigungsgarantie wie BMW. Unsere Leute können sich aber darauf verlassen, dass wir das Richtige machen. Geld ist nicht alles. Wir bieten unseren Mitarbeitern persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheiten, die sie in größeren Konzernen nicht haben. Bei uns können und sollen die Mitarbeiter Initiativen entfalten. Mir ist es lieber, wenn jemand einmal übers Ziel hinausschießt und ich ihn zurückpfeifen muss, als Hunde zum Jagen zu tragen. Ich kann nicht erkennen, dass wir große Probleme haben, die Leute zu bekommen, die wir brauchen.
Ist ein Milliardenkonzern ohne Erfolgsbeteiligung auf dem Arbeitsmarkt langfristig wirklich zukunftsfähig?
Ich glaube, ja. Wir haben vor ein paar Jahren eine Mitarbeiterbeteiligung diskutiert. Da gab es die Vorstellung, dass die Mitarbeiter etwa hier in München am gesamten Konzernergebnis beteiligt werden sollten. Für mich ist das aber eine abstruse Vorstellung, wenn der Gewinn stark vom Erfolg unserer ausländischen Standorte abhängt. Eine Mitarbeiterbeteiligung per Gießkanne, die diese Unterschiede nicht abbildet, finde ich nicht richtig.
Könnte das auch daran liegen, dass Sie von den Mitarbeitern der verschiedenen Standorte unterschiedlich viel Wertschätzung oder gar Dankbarkeit erfahren?
Da gibt es sehr große Unterschiede. Die Mitarbeiter in Marzahn im Osten Berlins sind meine loyalsten. Die rund 500 Beschäftigten dort spüren, dass ich an diesem Standort ganz persönlich festhalte. Es gab viele Vorschläge des Managements, die Fertigung dort aufzugeben. Wir könnten diese ohne Weiteres in einen anderen Standort integrieren. Das lehne ich aber ab, obwohl uns das einen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr nach Abzug der Verlagerungskosten sparen würde.
Warum leisten Sie sich so etwas?
Erstens will ich keinen Beitrag zur weiteren Deindustrialisierung Berlins leisten. Zweitens wurde Knorr-Bremse in Berlin gegründet. Mir ist es wichtig, die historischen Wurzeln zu erhalten. Solange ich das kann, lasse ich mir das etwas kosten.
Der harte Knochen ein Patriot?
Nein, nein, ich möchte damit nur sagen, es geht mir nicht nur um die Maximierung des finanziellen Erfolges. Ich habe eine sehr persönliche Beziehung zu unseren Standorten und Mitarbeitern. In Aldersbach bei Passau gefällt mir zum Beispiel die Bodenständigkeit der Niederbayern. Die Rendite – und wir haben eine angemessene Rendite – ist einfach nicht alles.
Was sagen Ihr Sohn und Ihre Tochter dazu, denen Knorr-Bremse mit Ihnen zusammen zu gleichen Teilen gehört?
Die akzeptieren das. Wir reichen die Hälfte des Nettogewinns an unsere Besitzholding weiter, die uns dreien gehört und wo wir Finanzanlagen machen, aber nichts an mich und meine Kinder ausschütten. Die andere Hälfte wird auf der Ebene der Knorr-Bremse AG investiert.
Dem haben Ihre Kinder, die über zwei Drittel der Aktien verfügen, zugestimmt?
Das mussten sie nicht, denn ich besitze die Mehrheit der Stimmrechte. Ich habe ihnen eine ordentliche Ausbildung ermöglicht, meinem Sohn das Studium und die Promotion in Volkswirtschaft, meine Tochter ist Volljuristin. Mein Sohn ist in Hongkong als einer von drei Geschäftsführern für das Eisenbahngeschäft in Asien mitverantwortlich, meine Tochter leitet unseren gemeinnützigen Verein Global Care und den Bereich Corporate Responsibility.
Keine Absicht sich zurückzuziehen
Wird Ihr Sohn oder Ihre Tochter einmal in Ihre Fußstapfen treten und eine Top-Position bei Knorr-Bremse bekleiden?
Meine Tochter fühlt sich in ihrer Position wohl und kann ihre Rolle als Mutter damit gut vereinbaren. Mein Sohn ist auf gutem Weg. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er es in den Vorstand schafft. Aber das hängt einzig und allein von seiner Leistung ab und ist zurzeit kein Thema.
Sie sind 72 Jahre alt. Wann wollen Sie sich bei Knorr-Bremse zurückziehen?
Solange ich das gesundheitlich kann, habe ich nicht die Absicht, mich ins Privatleben zurückzuziehen. Ich sehe mich als jemanden, der viel mehr ist als ein Chefkontrolleur. Ich verbringe 90 Prozent meiner Zeit mit Arbeit für Knorr-Bremse. Oft nehme ich auf Wunsch der Führungskräfte an Gesprächen mit Kunden teil oder führe sie auch alleine. Und ich besuche regelmäßig unsere Standorte in der ganzen Welt. Ein herkömmlicher Aufsichtsratschef würde nur einen Bruchteil seiner Zeit für ein Unternehmen aufbringen können.
Gefällt Ihnen, dass Ihr Nutzfahrzeugchef Klaus Deller eventuell Chef des Wälzlagerherstellers Schaeffler werden soll?
Die Sache ist im Fluss. Herr Deller hat in seinen viereinhalb Jahren bei Knorr-Bremse gewaltig an Format gewonnen, auch weil ich ihn sehr gefördert habe. Sein Vertrag läuft noch bis 2015. Wenn er die große Chance bei Schaeffler bekommt, werde ich ihn nicht blockieren. Ich habe ihn deswegen nicht auf den Chefsessel bei Knorr-Bremse gehoben, weil ich dort einen Eisenbahnkenner brauche. Den habe ich im März dieses Jahres mit Michael Buscher gefunden, der zuvor bei dem Schweizer Maschinenbauer Oerlikon und dem kanadischen Eisenbahnbauer Bombardier sehr erfolgreich gearbeitet hat.
Was macht ein Superreicher wie Sie mit seinem vielen Geld?
Ich bin Unternehmer und muss für schlechte Zeiten vorsorgen. Was auch immer passiert, ich möchte nie am Tropf der Banken hängen. Und ich möchte weiter unternehmerisch aktiv sein. Dabei ist Vossloh nur eine meiner Aktivitäten. Die wichtigsten anderen sind zwei private landwirtschaftliche Projekte: eine Rinderzucht in Uruguay mit rund 8500 Tieren und eine Mangoplantage mit 350.000 Bäumen und 600 Festangestellten in Hoedspruit im Nordosten Südafrikas.
Warum wird ein Bremsenhersteller Mangofarmer?
Das entspringt einer ausgeprägten Neigung für Landwirtschaft. Ich bin ein Flüchtlingskind. Meine Mutter ist mit meiner kleinen Schwester, meinem großen Bruder und mir mit Kinderwagen und Handkarren wochenlang auf der Landstraße aus Ostdeutschland geflohen, als die Russen kamen. Da mussten wir hungern und waren auf die Hilfe von Landwirten angewiesen. Ich habe gelernt, in harten Zeiten zu überleben. Das ist ein wesentlicher Treiber für meine Art zu arbeiten. Ich verlasse mich stark auf mich selbst und meine Durchsetzungsfähigkeit, aber ich verlange nichts Unangemessenes. Ich bin fair im Umgang mit anderen, möchte aber ebenso behandelt werden.
Solche Charakterzüge erwarten Sie auch von Ihren Vorständen?
Sie finden heute überall gut ausgebildete Kräfte. Aber finden Sie mal solche, die dazu noch ein starkes Persönlichkeitsprofil haben und Leadership praktizieren, die sich durchsetzen können und trotzdem die Mitarbeiter, ohne die sie ja nichts bewegen können, hinter sich bringen. Als Führungskraft geht es auch um andere Dinge als um einen guten Uni-Abschluss. Das lebe ich vor, wenn es sein muss, Tag und Nacht.