Wenn Manfred Bode in letzter Zeit auf Post aus Berlin wartete, dann bestimmt nicht auf diese. Gehofft hat der Aufsichtsratsvorsitzende des Münchner Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) auf die endgültige Erlaubnis der Bundesregierung, dem Königreich Saudi-Arabien mehrere Hundert Exemplare seines Top-Modells Leopard 2 verkaufen zu dürfen.
Doch der luftgepolsterte, schlichte, weiße Din-A5-Umschlag aus der Hauptstadt enthielt eine Mischung aus Sarkasmus und Drohung – eine Patrone. Eingewickelt war das Geschoss in einen ausgefransten Zettel mit dem Appell, den Panzerdeal abzublasen. Absender war eine Gruppe Berliner Friedensaktivisten namens „Zentrum Für Politische Schönheit“. Ähnliche Umschläge erhielten die 34 übrigen Gesellschafter, denen der in München und Kassel ansässige Panzerbauer KMW gehört.
Eklat im Ausschuss
Die explosiven Schreiben bringen KMW gleich doppelt in Bedrängnis. Erstens hassen die weltweit noch verbliebenen solventen Aufrüster wie die arabischen Ölstaaten oder China derlei auffällige Aktionen. Damit wird ein diskretes Okay der Politik für den bis zu zehn Milliarden Euro schweren Auftrag nicht leichter.
Zweitens treffen die Patronen per Post KMW an einer empfindlichen Stelle. Miteigentümer Burkhart Braunbehrens entlarvte den Gesellschafterausschuss als zerstrittenen Club, als er gegen den Deal öffentlich opponierte. Daraufhin wurde er laut Presseberichten aus dem Gremium gedrängt. Die Beteiligten wollen sich dazu nicht äußern. Braunbehrens regt außerdem eine Fusion mit Rheinmetall an. „Es wäre sinnvoll, wir würden den Weg mit Rheinmetall in eine gemeinsame AG gehen", sagte er einer großen deutschen Wirtschaftszeitung. Damit legt der Miteigentümer den Finger in eine große Wunde - stößt bei den anderen Gesellschaftern aber auf taube Ohren.
Der Streit im Gesellschaftergremium offenbart, wie dringend Deutschlands fünftgrößte Waffenschmiede das Saudi-Geschäft braucht, weil sie den Wandel verpasst hat. Das in München und Kassel ansässige Familienunternehmen hat auf die Veränderungen in der Rüstungsbranche praktisch nicht reagiert. Während Waffenbrüder wie Diehl auch von Zivilgütern oder Sicherheits-High-Tech leben, setzt KMW noch größtenteils auf Ballermonster des Kalten Krieges wie Kampfpanzer à la Leopard. Die sind jedoch kaum noch abzusetzen. Altkunden wie die Bundeswehr brauchen das schwere Kanonenzeug entweder nicht mehr oder können es sich nicht leisten. Und Exporte brauchen die Genehmigung der Bundesregierung.
So dürfte nach Meinung von Experten der Deal mit den Saudis, so er zustande kommt, vermutlich der letzte dieser Größe für KMW sein. Das gilt umso mehr, seit die arabische Klerikal-Diktatur im vorigen Jahr im Nachbarland Bahrain das tat, wozu deutsche Waffen tunlichst nicht eingesetzt werden sollen: mit Panzern trieb sie demonstrierende Demokraten auseinander. „Nun könnte sich der Verkauf sehr lange hinziehen oder gar ganz kippen“, fürchtet ein Unternehmenskenner.
Der Grund für den Schwund
Das könnte für KMW bedrohlich werden. Zwar zählt die Waffenschmiede laut Presseberichten im Jahr 2011 mit einer Rendite von knapp zehn Prozent des Umsatzes von 936 Millionen Euro zu den profitabelsten Rüstungsbetrieben der Welt. Doch laut Insidern brachte das Auslaufmodell Panzer das Gros des Gewinns. Und nicht zuletzt wegen der Schwächen im Panzergeschäft brach im bislang letzten veröffentlichten Geschäftsbericht aus 2010 der Auftragseingang um drei Viertel ein.
Als wichtigsten Grund für den Schwund sehen Experten hausgemachte Versäumnisse. „Die klassische Rüstungsbranche gibt es fast gar nicht mehr“, sagt Christian-Peter Prinz zu Waldeck, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Michael Hessenbruch, Branchenexperte des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte, ergänzt: „Die Verteidigungsbranche in Deutschland steht zunehmend für High Tech sowie Sicherheitstechnologie und Produkte zur Terrorabwehr.“ Gerade der Markt für Systeme zur Terrorabwehr wie Überwachungstechnik dürfte explodieren: von heute rund 50 auf jährlich 800 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Das wäre mehr als das klassische Waffengeschäft.
Von Wettbewerbern lernen
Zwar bemüht sich KMW, zu diversifizieren, und versucht sich mit der Produktion von Schutzsystemen für Feldlager oder Brückenlege-Panzern für humanitäre Hilfsmissionen. Um künftig Panzerungen in Limousinen einzubauen, übernahm KMW im Frühjahr dieses Geschäft von dem ebenfalls verschwiegenen osthessischen Milliardär Lutz Helmig. Doch noch immer dominieren bei KMW aus Sicht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri die Offensivwaffen. „Darum fällt ihnen die Vermarktung schwerer als anderen“, sagt Sipri-Experte Paul Holton.
Das könnten die Eigentümer ändern, indem sie von Wettbewerbern lernen. „Deutschlands Rüstungsbranche hat Erfolg, weil sie durch Zivilgeschäfte das Risiko streut und konsequent mit High Tech enge Märkte dominiert“, sagt Kai Burmeister, bis vor Kurzem bei der IG Metall für die Branche zuständiger Vorstand.
Hilfe aus Brüssel
Wie das geht, zeigt die Diehl-Stiftung. Seit dem Ende des Kalten Kriegs haben die Nürnberger das Waffengeschäft auf ein Viertel vom Umsatz heruntergefahren. Dagegen dominieren Zulieferungen für die Autobranche oder Technik für die Smart Grid genannte intelligente Nutzung des Stromnetzes das Geschäft. Das sorgt nicht nur für eine privatwirtschaftlichere Kultur und mehr Kostenbewusstsein. „Die technischen Fortschritte im Zivilgeschäft fördern auch die Technologie im Rüstungsgeschäft – und umgekehrt“, sagt Unternehmenschef Thomas Diehl. Den Ansatz dazu hat KMW bereits. Stephan und Felix Bode, die Söhne von Aufsichtsratschef Manfred, leiten den Autozulieferer Wegmann aus dem unterfränkischen Veitshöchheim sowie Schleifring aus dem bayrischen Fürstenfeldbruck, die Übertragungstechniken für Kräne und Panzer baut.
Zweiter Ausweg aus der Panzerfalle wäre für KMW ein Umbau des eigentlichen Rüstungsgeschäfts. Das beginnt mit Direktinvestitionen in Importländern, wie Rheinmetall dies in Südafrika vorgemacht hat. Dazu kommen Produkte, die im Gegensatz zu Panzern weniger leicht als Kriegswaffen auszumachen sind wie der Unterwasserroboter SeaOtter von Atlas Elektronik, der auch in trübsten Gewässern mehrere Hundert Meter weit sieht.
Einzelteile statt Komplettpaket
Zu guter Letzt könnte KMW vermehrt Einzelteile bauen, weil die im Zweifel leichter ins Ausland zu verkaufen sind als komplettes Kriegsgerät. So liefert Rheinmetall eine besonders präzise Glattrohrkanone, und Autoflug aus Rellingen bei Hamburg lebt von extrem sicheren Panzersitzen, und „die müssen sogar die sonst bei Importen zurückhaltenden USA kaufen, wenn sie ihre Soldaten optimal schützen wollen“, sagt Daniel Darling vom US-Marktforscher Forecast International.
Beim Export des unauffälligeren Kriegsgeräts kann KMW zudem auch auf Brüssel hoffen. Die EU-Staaten haben schon 1998 einen gemeinsamen Verhaltenskodex zum Waffenexport abgesegnet. Längst wird an verbindlichen Standards gearbeitet – nicht zuletzt deshalb, weil Rüstungskonglomerate wie Thales und die EADS grenzüberschreitend produzieren. Friedensforscher warnen, dass die neuen europäischen Regeln eher weniger restriktiv werden – zum Ärger der Friedensaktivisten vom „Zentrum Für Politische Schönheit“, dafür zur Freude von KMW.