Krebsbekämpfung Pharmaforscher rüsten Immunabwehr auf

Vielversprechende Ergebnisse für eine neue Waffe gegen Krebs: Die ersten Immuntherapie-Wirkstoffe stehen in den USA vor der Zulassung. Die Pharmariesen BMS, Merck & Co, AstraZeneca und Roche geben den Ton an.

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Pharmaforscher rüsten mit Antikörpern das körpereigene Abwehrsystem auf, das die Tumorzellen besiegen soll. Quelle: Reuters

Frankfurt Im Kampf gegen tödliche Krebserkrankungen haben Pharmaforscher eine neue Waffe entwickelt. Sie rüsten mit Antikörpern das körpereigene Abwehrsystem auf, das die Tumorzellen besiegen soll. Mehrere neue immuntherapeutische Wirkstoffe zeigten bereits vielversprechende Ergebnisse in Patientenstudien. Zulassungen in den USA und in Europa stehen kurz bevor. Forscher und Analysten trauen den neuen Arzneien zu, die Krebsbehandlung einen großen Schritt voranzubringen.

„Immuntherapien werden wahrscheinlich in zehn Jahren in bis zu 60 Prozent aller Krebsfälle das Rückgrat einer Behandlung sein“, schreiben etwa die Pharma-Analysten der Citigroup. Vier internationale Konzerne haben in der Arznei-Entwicklung derzeit die Nase vorn. Aber auch in den Laboren deutscher Pharmafirmen wird kräftig an solchen Immuntherapien geforscht.

Die Einsatzgebiete dieser neuen Wirkstoffe, die in der Fachwelt als Anti-PD-1- und Anti-PD-L1-Wirkstoffe bekannt sind, sollen vielfältig sein – darunter verschiedene Formen von Hautkrebs sowie Lungenkrebs, Blasenkrebs und Nierenkrebs. Folglich werden ihre Zukunftschancen hoch angesetzt - entweder als Allein- oder in Kombinationstherapien. Der Weltmarkt für solche Medikamente wird von Experten in zehn Jahren auf etwa 30 bis 35 Milliarden Dollar im Jahr taxiert. Einzelnen Arzneien werden Jahresumsätze von mehreren Milliarden Dollar zugetraut.

Anders als zielgerichtete Krebspräparate oder Chemotherapien greifen Immuntherapie-Arzneien den Tumor nicht direkt an – ihr Ziel ist vielmehr die Immunabwehr. Viele Krebszellen schaffen es dem Immunsystem zu entschlüpfen, dessen Aufgabe es ist, aus dem Ruder gelaufene kranke Zellen und fremden Eindringlinge zu bekämpfen. Genau an dieser Stelle setzen die neuen Substanzen an. Sie wollen den Tumorzellen ihre Fähigkeit nehmen, die Immunabwehr zu unterlaufen.

Besonders im Visier der Pharmaforscher: Das Protein PD-L1, das der Tumor nutzt um einen Angriff der T-Zellen des Immunsystems zu verhindern sowie das entsprechende Gegenstück PD-1 auf den T-Zellen. Werden PD-1 oder PD-L1 blockiert, so die Grundidee der neuen Wirkstoffe, verlieren Krebszellen ihre Tarnfähigkeit, werden als feindlich erkannt und bekämpft.


Die Konkurrenz schläft nicht

Tonangebend bei Immuntherapie-Wirkstoffen sind die US-Konzerne Bristol-Myers Squibb (BMS) und Merck&Co sowie der Schweizer Pharmariese Roche und das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca. Auch der Darmstädter Merck-Konzern forscht an solchen Arzneien – die Entwicklung ist aber noch nicht so weit wie bei den amerikanischen Rivalen.

Ein älterer Immuntherapie-Wirkstoff, das Mittel Yervoy von BMS, hat Fachärzten zufolge bereits die Behandlung von Hautkrebs deutlich vorangebracht. „Das war das erste Medikament, das Überlebensverlängerung gezeigt hat beim Melanom“, sagt etwa Oberärztin Jessica Hassel vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. Etwa 20 Prozent der Patienten könnten inzwischen mit einem chronisch kontrollierten Tumor leben. Bei den neuen PD-1-Antikörpern scheine das noch besser zu sein.

„Wir vermuten, dass da etwa das doppelte herauskommt, so dass wir dann sagen, wir können die Krankheit in einen chronischen Zustand versetzen durch Aktivierung des Immunsystems“, hofft die Hautärztin. Eine Kombination von Immuntherapie-Wirkstoffen wirke womöglich noch besser. Hassel zufolge besteht bei diesen Arzneien zudem eine große Chance, dass sie im Unterschied zu vielen anderen Medikamenten nicht zu einer Resistenzbildung führen.

Bislang ist in den USA und in Europa noch kein Anti-PD-1- oder Anti-PD-L1-Wirkstoff zugelassen. Am weitesten fortgeschritten ist Merck & Co: Die US-Gesundheitsbehörde FDA will bis zum 28. Oktober die Zulassung der Anti-PD-1-Substanz Pembrolizumab gegen Hautkrebs prüfen. Mit dem Vorgang vertrauten Insidern zufolge könnte schon in den nächsten Wochen eine Entscheidung fallen. Auch in Europa läuft der Zulassungsantrag.

Die Konkurrenz schläft aber nicht. So will BMS noch im dritten Quartal in den USA die Zulassung für sein Anti-PD-1-Mittel Opdivo mit dem Wirkstoff Nivolumab beantragen. Geplantes Einsatzgebiet auch hier zunächst: Hautkrebs. Aber auch zur Lungenkrebs-Behandlung will BMS das Mittel auf den Markt bringen. In Japan, wo Ono Pharmaceutical die Rechte hat, ist Nivolumab bereits zur Hautkrebsbehandlung zugelassen.


Auch in Deutschland wird geforscht

Hautkrebs ist aber nicht das einzige Anwendungsfeld. Roche hatte Ende Mai mit Daten aus einem Patiententest mit dem Anti-PD-L1-Wirkstoff MPDL3280A zur Behandlung von Blasenkrebs Furore gemacht. Danach schrumpfte in der Studie bei 43 Prozent der Patienten der Tumor.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA stufte die Substanz inzwischen als „Therapiedurchbruch“ bei Blasenkrebs ein. Auch AstraZeneca hat mit der Substanz MEDI4736 eine PD-L1-Substanz in der Entwicklung, die der Konzern unter anderem zur Behandlung von Lungenkrebs testet.

AstraZeneca traut dem Wirkstoff allein und in Kombinationstherapien Spitzenumsätze von 6,5 Milliarden Dollar im Jahr zu. Der Konzern hatte unlängst angekündigt, das Studienprogramm auszuweiten.

Auch in Deutschland wird an dieser neuen Wirkstoff-Gruppe geforscht. So arbeitet die Entwicklungsabteilung des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck mit Hochdruck an der Anti-PD-L1-Substanz MSB0010718C. Vor einigen Wochen wurde die zweiten Phase der klinischen Tests eingeleitet.

Behandlungsgebiet ist das Merkel-Karzinom, eine seltene und besonders gefährliche Form von Hautkrebs. Der Test soll mit 84 Patienten die Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz prüfen. Als Studienende wird Januar 2017 angepeilt. Bis zur Marktreife dürften daher noch einige Jahre verstreichen.

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