K+S Krisen+Sorgen statt Kali+Salz

Der Rohstoffkonzern bekommt seine Umweltprobleme im Bergwerk Werra aktuell nicht in den Griff. Schlimmstenfalls droht laut einem internen Papier ein Milliardenschaden – und dem Unternehmen ein finanzielles Fiasko.

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K+S: Umweltprobleme können einen Milliardenschaden hervorrufen. Quelle: dpa, Montage

Monoton ratternd zieht der Förderturm den Aufzugkäfig aus rund 700 Meter Tiefe an die Erdoberfläche. Stumm eilen Hunderte Männer und einige Frauen durch die sengende Mittagshitze und aus dem Werkstor des Kalibergwerks Werra. „Die Stimmung ist angespannt“, sagt ein älterer Bergmann. „Keiner weiß, ob und wie es hier weitergeht.“

Seit Jahresbeginn stand die Förderanlage des Bergwerks Werra nahe Heringen im hessisch-thüringischen Grenzgebiet schon mehrmals still. Der Betreiber, der Kasseler Rohstoffkonzern K+S, kann die Abfälle aus der Kaligewinnung nicht mehr wie bisher entsorgen – eine wichtige Genehmigung dazu fehlt. Weil das die Produktion bremst, musste K+S die Bergleute zeitweise in Kurzarbeit schicken. Wie es mittelfristig weitergeht, ist offen. Selbst eine komplette Werksschließung scheint möglich. Die 4400 Beschäftigten würden ihre Jobs verlieren.

Für K+S wäre der Schritt ein finanzielles Fiasko. In einem internen Schreiben, das der WirtschaftsWoche vorliegt, rechnen Anwälte des Unternehmens für diesen Fall mit Kosten von mehr als einer Milliarde Euro. Für den Dax-Absteiger mit einem Jahresumsatz von 4,2 Milliarden Euro wäre das ein Tiefschlag mit kaum absehbaren Folgen.



Das Kürzel K+S steht derzeit ohnehin mehr für Krisen und Sorgen als für Kali und Salz. K+S leidet unter dem weltweiten Preisverfall bei Düngemitteln, der Gewinn vor Steuern und Zinsen ist im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr von 180 Millionen auf 10 Millionen Euro gefallen.

Steiner hinterlässt ein vergiftetes Erbe

Wenn K+S-Chef Norbert Steiner im kommenden Mai nach zehn Jahren an der Spitze aus dem Amt scheidet, hinterlässt er ein vergiftetes Erbe. 2015 hatte der heute 61-Jährige das Übernahmeangebot des kanadischen Konkurrenten Potash in Höhe von 41 Euro pro Aktie als nicht ausreichend abgelehnt. Seitdem hat sich der Kurs von K+S von über 35 auf 19 Euro fast halbiert. Entsprechend sauer sind die Aktionäre. Auf der Hauptversammlung Anfang Mai gab es heftige Kritik.

Erst vor zwei Wochen gesellte sich zum Unglück dann auch noch Pech: Denn nun hakt es auch noch bei der größten Zukunftshoffnung von K+S, der kanadischen Kalimine Legacy. Nach einem Arbeitsunfall könnte die Anlage erst verspätet in Betrieb gehen.

Salzlauge wird beim Kali-Werk

Zunehmend in die Bredouille bringen K+S-Chef Steiner aber vor allem die Probleme mit dem Umweltschutz. Salzabfälle des Unternehmens belasten die Werra und möglicherweise das Grundwasser. Die Staatsanwaltschaft Meiningen hat die Entsorgungspraktik des Konzerns in der thüringischen Gemeinde Gerstungen unter die Lupe genommen und im März Anklage gegen Steiner, Aufsichtsratsboss Ralf Bethke und rund ein Dutzend weiterer teils ehemaliger K+S-Leute wegen gemeinschaftlicher Gewässerverunreinigung erhoben. Sollte das Landgericht die Anklage in den kommenden Wochen zur Hauptverhandlung zulassen, könnte Steiner sein Dienstende sogar auf der Anklagebank zubringen müssen. K+S ist hingegen überzeugt, dass kein strafbares Verhalten vorliege und die Vorwürfe unbegründet seien.

Im Visier des Staatsanwalts

Die Anzeige markiert das Ende der von der Staatsanwaltschaft beklagten Kumpanei zwischen Konzern und Landespolitikern. Rund 20 Millionen Tonnen fester Salzabfälle und sieben Millionen Kubikmeter flüssiger Salzlauge entstehen jährlich bei der Kaligewinnung im Werk Werra. Bisher hat der Konzern diese in der Umgebung zu riesigen Halden aufgeschüttet, in den Fluss Werra geleitet oder in tiefe Gesteinsschichten versenkt. Obwohl die Folgen dieser Praxis kaum absehbar sind, haben Behörden und Politiker sie über Jahre geduldet. Die Region ist strukturschwach, es fehlen Arbeitsplätze.

Worst-Case-Szenario

Doch seit der Staatsanwalt bei dem Konzern näher hinschaut, entsteht der Eindruck, dass auch die Genehmigungsbehörden genauer prüfen. So muss K+S derzeit um die Erlaubnis bangen, Salzabfälle weiter wie bisher unter der hessischen Erde verschwinden zu lassen. Sollte die Behörde diesen Entsorgungsweg versagen, wären die Folgen katastrophal. Die komplette Schließung des Werks Werra erscheint möglich.

K+S-Anwälte haben das Szenario in einem Brief an das Verwaltungsgericht Kassel Mitte Mai beschrieben: „Eine Untersagung der Versenkung von Salzabwässern hätte erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze im Werk Werra. Ob ein kompletter Stillstand der Produktion auch für einen längeren Zeitraum durch Kurzarbeit aufgefangen werden könnte oder ob es zu betriebsbedingten Massenentlassungen käme, ist in keiner Weise absehbar“, heißt es in dem Schriftstück. Auch die möglichen Schadenssummen haben die Juristen bereits berechnet: Der aus einer „kompletten Stilllegung“ resultierende Schaden beliefe sich demnach „einmalig auf ca. 940 Millionen Euro, nachhaltig auf mehr als 300 Millionen Euro pro Jahr“. „Neben den Umsatzeinbußen“ würde K+S „zugleich Marktanteile verlieren, die sich, wenn überhaupt, nur mit erheblichem Aufwand zurückgewinnen lassen“.

K+S bezeichnet den Inhalt des Schreibens als „Worst-Case-Szenario“, das verdeutlichen soll, dass „die Untersagung der Versenkung sehr weitreichende Folgen haben könnte“, wozu in „letzter Konsequenz auch eine Stilllegung des Verbundwerks Werra mit den daraus resultierenden Umsatzeinbußen“ zählen würde. Zudem betont K+S, das laufende Verfahren „stets sorgfältig vor dem Hintergrund einer möglichen Ad-hoc-Relevanz“ zu bewerten und „hinreichend materialisierte“ Fakten „umgehend“ zu veröffentlichen.

Bei der Hauptversammlung Mitte Mai wollte K+S den Aktionären mit den Schreckenszahlen zum Werk Werra, die dem Konzern damals schon bekannt gewesen sein dürften, nicht den Appetit verderben: Bis heute hat K+S diese Zahlen nicht veröffentlicht.

K+S-Chef Norbert Steiner:

Die Informationspolitik des Konzerns steht ohnehin in der Kritik. So ärgert sich Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, über den Gewinneinbruch im zweiten Quartal: „Bei der Hauptversammlung war davon noch keine Rede, dabei lief das zweite Quartal damals schon einige Wochen.“

Versalzene Landschaft

Im Rathaus des hessischen Städtchens Heringen sitzt Bürgermeister Daniel Iliev mit T-Shirt und Sportschuhen an einem Konferenztisch. Der dynamische 32-Jährige ist erst seit drei Wochen im Amt, leicht ist der Anfang nicht. Wegen des Gewinneinbruchs bei K+S fehlen Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die Stadt muss eine Haushaltssperre verhängen. „Sämtliche Förderungen an Vereine sind bereits gestrichen“, sagt Iliev. Für ihn geht es nun vor allem um Geld, um Jobs. Da müssen Umweltprobleme wohl hinten anstehen.

Dabei sind die Spuren der Entsorgungspraxis in dem 7500-Einwohner-Stadt kaum zu übersehen. „Zur schönen Aussicht“ verheißt ein Schild an der Peripherie von Heringen, die verzinkte Eisenstange darunter ist vom Rost zerfressen. Von hier fällt der Blick auf den Monte Kali, einen 200 Meter hohen Berg aus Salzabfällen. Doch auch aus dem Untergrund soll die Salzlauge schon hochgeschwappt und über Straßen und sogar in Häuser gelaufen sein. Weil das Grundwasser größtenteils versalzen ist, pumpt die Stadt ihr Trinkwasser per Fernleitung in den Ort. Bereits jetzt sind die Wassergebühren doppelt so hoch wie in Frankfurt am Main. Ob und für welche Schäden K+S verantwortlich ist, ist zwischen der Stadt Heringen und K+S strittig.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Trotz solcher Unklarheiten will der Konzern bis 2021 maximal zwölf Millionen Kubikmeter Salzlauge in tiefe Gesteinsschichten versenken. Das Regierungspräsidium in Kassel hat K+S nur eine Übergangsgenehmigung für kleinere Mengen erteilt. Ausgeweitet werden soll die erst, wenn die Folgen der Versenkpraxis abschätzbar sind. K+S hat dafür ein dreidimensionales Simulationsmodell eingereicht. Ob das seinen Zweck erfüllt, ist umstritten: Ein Wissenschaftler eines Prüfinstituts sagte, das Modell sei „nach wie vor nicht prognosefähig“. Inoffiziell heißt es aus der Behörde, das Verfahren ziehe sich in die Länge, weil K+S Unterlagen regelmäßig zu spät einreiche.

K+S sagt, dass es „keinen wissenschaftlichen belastbaren Nachweis“ gebe, „dass es durch die Versenkung zu nachteiligen Auswirkungen auf das Grundwasser“ kommen würde. Zudem teilt K+S mit, dass die Dauer des Genehmigungsverfahrens nichts „mit dem Abgabezeitpunkt der Unterlagen zu tun“ habe.

„K+S hat über Jahre eine Verzögerungstaktik bemüht und den Behörden mit dem Abbau von Arbeitsplätzen gedroht“, sagt Ronald Schminke, der für die SPD im niedersächsischen Landtag sitzt. Alternativen wie eine Verdampfungsanlage, mit der sich Rückstände angeblich fast völlig vermeiden lassen, habe der Konzern nie ernsthaft geprüft. „Die Versenkung war der billigste Weg, um die Brühe loszuwerden“, sagt Schminke. K+S bestreitet, dass die Versenkung der billigste Weg der Entsorgung wäre, und betont, „durch die Entwicklung und den Einsatz moderner Aufbereitungsverfahren die Menge an Salzabwasser seit Jahrzehnten drastisch gesenkt“ zu haben.

K+S sucht händeringend nach Alternativen

Doch seit der endgültige Entzug der Genehmigung droht, läuft die Suche nach Entsorgungsalternativen bei K+S offenbar auf Hochtouren. So berichtet Heiner Marx, Geschäftsführer von K-Utec, einem Hersteller von Verdampfungsanlagen, von seit Jahresbeginn intensivierten Gesprächen. K+S lässt indes wissen, dass der Konzern ein Untertagelager in einer Erdgaskaverne und in eigenen Bergwerken prüfe. Rasch umsetzen lassen sich solche Konzepte wohl kaum.

Auch ohne die Produktionsausfälle wegen Umweltproblemen verdüstern sich die Perspektiven des Konzerns. Schwer wiegt der Preisverfall bei Kali. Überangebot und sinkende Nachfrage haben den Preis von 490 Dollar pro Tonne innerhalb von drei Jahren auf 250 Dollar gedrückt. „Da kommt sehr viel Negatives zusammen. Der Kalipreis fällt, und bei den Umweltproblemen ist überhaupt nicht klar, was wann entschieden wird“, sagt Commerzbank-Analyst Lutz Grüten, der das Kursziel für die Aktie direkt nach der jüngsten Gewinnwarnung von 29 Euro auf 19,50 Euro reduziert hatte.

Vorstandschef Steiner will mit dem Legacy-Projekt gegensteuern, einer Kalimine in der kanadischen Provinz Saskatchewan. Rund drei Milliarden Euro hat K+S in die Mine investiert. Zwei Millionen Tonnen Kali soll die Mine jährlich fördern. Der K+S-Chef setzt auf einen „Kurssprung“ der Aktie, „spätestens zum Jahresende 2016, wenn wir die erste Tonne Kali in Kanada produziert haben“.

Vor zwei Wochen aber löste sich bei einem Unfall im Legacy-Werk ein rund 30 Meter hoher Behälter aus einer Verankerung. Menschen wurden nicht verletzt, doch ob der Starttermin 23. August gehalten werden kann, ist fraglich. Doch selbst wenn die Mine rechtzeitig in Betrieb gehen sollte, bleibt Anlegervertreter Hechtfischer skeptisch: „Legacy verschärft noch die hohen Überkapazitäten in der Branche; in der Folge könnten die Kalipreise noch weiter sinken.“

Beim Werk Werra ist der Schichtwechsel fast abgeschlossen. Vereinzelt kommen noch Kumpel aus dem Werkstor. „Kennen Sie ,GZSZ‘? Genau das spielen wir hier: Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, sagt einer. Derzeit ist es wohl eher eine Episode der „schlechten Zeiten“ für K+S und die Beschäftigten.

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